Ob Remo Klinger es geahnt hat? Als die Kammervorsitzende Kerstin Wilke am Verwaltungsgericht Stuttgart am späten Donnerstagnachmittag die Abweisung der Klage der Deutschen Umwelt-Hilfe (DUH) gegen die Kappung der Gäubahn verkündet, ist der DUH-Anwalt und Verwaltungsrechtsgelehrte Klinger jedenfalls schon längst abgereist.
Nach der Klage des Landesnaturschutzverbands (LNV), die das Gericht bereits am Vortag als nicht zulässig zurückgewiesen hatte, hat die Kammer am Donnerstag nun auch die DUH-Klage abgewiesen. Der Versuch der von DUH und LNV, die für April 2026 geplante Kappung der Gäubahnstrecke auf dem verwaltungsjuristischen Weg zu verhindern, ist damit gescheitert. Zumindest in dieser Instanz.
Die Gäubahnstrecke, zentrale Schienenverbindung von Stuttgart über Singen bis nach Zürich in der Schweiz und weiter nach Süden, soll im Zuge das Großprojekts Stuttgart 21 im April 2026 für unbestimmte Zeit unterbrochen werden.
Dagegen gibt es seit Jahren breiten Protest entlang der Strecke, neben Fahrgastverbänden und Pro-Gäubahn-Initiativen haben sich auch die Oberbürgermeister entlang der Gäubahn für einen Erhalt stark gemacht, um den Südwesten und den Bodenseeraum nicht von einer schnellen Schienenverbindung nach Stuttgart abzuhängen.
Bei einer Kappung müssten Fahrgäste von und nach Stuttgart oder Singen und Zürich auf einem Regionalbahnhof in Stuttgart-Vaihingen auf S-Bahn, Busse oder Straßenbahn umsteigen – solange, bis eine neue direkte Anbindung der Gäubahn zum Hauptbahnhof über den Stuttgarter Flughafen und einen erst noch zu bauenden Tunnel – den Pfaffensteigtunnel – gebaut ist.
„Also forever“
Die Bahn spricht von einer Bauzeit von sieben Jahren, Kritiker von mindestens 10 bis 15 Jahren – wenn der derzeit auf Kosten von mindestens zwei Milliarden Euro taxierte Pfaffensteigtunnel denn überhaupt gebaut wird, was Kritiker des Vorhabens bezweifeln. Für Verkehrsrechtler und Jurist Klinger etwa ist klar: „Bei der geplanten Unterbrechung handelt es sich nicht um ein Interim, sondern eine unbestimmte Zeit – also forever.“
Die Begründung der Kammer zur Ablehnung: Die DUH-Klage sei – im Gegensatz zu der des LNV -, zwar zulässig, aber nicht begründet. Die DUH hatte argumentiert, dass eine mehrjährige Unterbrechung der Gäubahn und die Kappung der Direktverbindung zum Stuttgarter Hauptbahnhofs im Rahmen von Stuttgart 21 nicht von der Planfeststellung des Projekts gedeckt sei.
Die Verwaltungsgerichtskammer folgte dem nicht. Sie kam zu dem Schluss, dass die Planfeststellung keine zeitlichen Vorgaben enthalte. Sprich: Wie lange die Unterbrechung der Gäubahn und somit die Interimslösung mit Umsteigen in Stuttgart-Vaihingen dauern dürfe, sei in der Planfeststellung nicht geregelt – damit könne eine lange Unterbrechungsdauer auch nicht beklagt werden.
DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch sieht den Kampf um den Erhalt der Gäubahnstrecke dennoch nicht am Ende. „Das ist kein Anlass zum Jubeln, man freut sich schon mehr, wenn man gewonnen hat“, sagt Resch im Anschluss an die Verkündung der Entscheidung in Stuttgart.
Ein wichtiger Erfolg sei in jedem Fall, dass das Gericht festgestellt habe, dass die DUH grundsätzlich auch klageberechtigt gegen die Planfeststellung sei. „Das ist ein enormer Erfolg, das hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Es ist natürlich schade, dass das Gericht uns heute noch nicht Recht gegeben hat und leider die Planfeststellung als ausreichend angesehen hat, die Gäubahn zu unterbrechen, obwohl auf der anderen Seite der Pfaffensteigtunnel noch nicht planfestgestellt geschweige denn finanziert ist.“
Resch jedenfalls peilt die nächste Instanz bereits an: Die DUH werde im beschleunigten Verfahren Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einlegen. „Wir sind zuversichtlich, dass die Kappung vom Verwaltungsgerichtshof gestoppt wird“, kündigt Resch an, „wir haben noch 14 Monate Zeit“ Er ist sicher: „Die Gäubahn wird bleiben.“
Stefan Frey vom LNV zieht den Schluss: „Die Bahn kappt die Gäubahn nicht, weil sie es aus Baugründen oder für Stuttgart 21 muss, sondern weil sie es darf. Rechtlich aber dürfte sie drauf verzichten, es hätte niemand einen Nachteil; doch viele Reisende und die Umwelt hätten einen Vorteil.“
Gelächter im Gerichtssaal
Das zweitägige Verfahren war begleitet von Unmutsäußerungen der zahlreichen Zuhörer im Saal des Verwaltungsgerichts Stuttgart – für ein solches Verfahren unüblich. Ungläubiges Gelächter wurden immer dann laut, wenn die Juristen der Bahn bei ihren Ausführungen Sätze sagten wie: „Als Deutsche Bahn geht es uns ja auch um unsere Fahrgäste.“
Sätzen wie diesen schenkt auch Nikolas Baur keinen Glauben – aus eigener Erfahrung, wie er sagt. „Leider hatte das Gericht keinen Mut, hier eine andere Entscheidung zu treffen“, sagt er. Der Anästhesist aus Singen, Initiator der Singener Pro-Gäubahn-Gruppe, ist an beiden Verhandlungstagen eigens nach Stuttgart gekommen, umsteigefrei in zwei Stunden. Mit der Gäubahn.