Haben wir Medien da was verpasst? Jugendliche und Politik – das verband man in den vergangenen zwei Jahren vor allem mit Fridays for Future, mit beeindruckenden und bunten Demos, bestens organisiert, teilweise rund um den Globus. Die Jugend geht wieder auf die Straße, zuletzt am Freitag vor der Bundestagswahl – natürlich für den Klimaschutz. Angesichts des großen Zulaufs für FFF ging man davon aus, dass die Mehrheit der Jugendlichen bei der Partei ihr Kreuz machen, die am überzeugendsten für den Klimaschutz eintritt – bei den Grünen.

Und jetzt das: Bei Erstwählern, vermeldet Infratest Dimap noch am Wahlabend, hat die FDP die Nase vorn. Mit 23 Prozent schneidet die FDP demnach in dieser Gruppe bei der Bundestagswahl am besten ab. Knapp dahinter liegen die Grünen mit 22 Prozent. Abgeschlagen dahinter folgen die Volksparteien SPD (15 Prozent) und CDU/CSU (zehn Prozent). Die Linke kommt auf acht Prozent, die AfD auf sieben Prozent.
Hohn und Spott für Klima-Snobs
In sozialen Medien hagelte es Hohn und Spott für vermeintliche Klima-Snobs, die im Angesicht von brennenden Wäldern erstmal in Ruhe golfen gehen würden. Der Rest der Republik spekuliert seither über mögliche Gründe. Lag es an Corona und den Einschränkungen? Oder etwa am coolen Spitzenkandidaten? Oder hat die Welt die Jugend einfach nur falsch eingeschätzt? Der SÜDKURIER hat sich bei Jungen Liberalen, kurz Julis, umgehört. Die Antworten, so viel sei verraten, entsprechen keinem Klischee.
„Ich habe das Gefühl, dass die Groko die Interessen von Fridays for Future nicht richtig ernst genommen hat.“Tassilo Stewanowitsch, Julis Kreis Konstanz
Tassilo Stewanowitsch, 19 Jahre, dunkles, sauber gescheiteltes Haar, helles Hemd, hat gerade sein Abi gemacht. Seit wenigen Tagen studiert der Kreisvorsitzende der Julis im Landkreis Wirtschaftswissenschaften in Konstanz. Bei den Freitagsdemonstrationen war er noch nie, er sei nicht der Demonstrationstyp, wie er unumwunden einräumt – also doch Klischee? Stewanowitsch sieht das anders. Auch für ihn sei das Thema Klima „wahnsinnig wichtig“. Einen Gegensatz zwischen Fridays-Demonstranten und FDP-Wählern würde der junge Allensbacher gar nicht aufmachen. Im Gegenteil: Er hält den Umgang mit den Fridays für symptomatisch für den Umgang mit der Jugend in unserem Land. „Ich habe das Gefühl, dass die Groko die Interessen von Fridays for Future nicht richtig ernst genommen hat.“ So wie die Politik allzu oft die Interessen von jungen Menschen nicht ernst nehme.
Jugend sorgt sich um die Zukunft
Zum Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, gesellt sich noch eine andere unangenehme Befürchtung: die, dass auf die heute Jungen noch große Probleme zukommen. Junge Leute machten sich Sorgen um die Zukunft, sagt Stewanowitsch. Das werde oft unterschätzt. „Eigentlich ging es jeder Generation seit dem Zweiten Weltkrieg immer besser. Viele haben das Gefühl, dass das gerade kippt.“ Der Klimawandel, die vernachlässigte Bildung, die Defizite bei der Digitalisierung. „Der demografische Wandel wird die Probleme noch vergrößern.“ Die Rente – an die denken junge Leute, weil sie sich nicht sicher sein können, ob die noch zum Leben reicht, wenn sie einmal darauf angewiesen sind.
Stewanowitsch ist ein Kind der Ära Merkel. Einen anderen Kanzler hat er nicht bewusst erlebt. So geht es in dieser Altersgruppe allen. Und viele seiner Generation sehnten sich nach etwas Neuem. „Politik des Stillstands“, sagt Stewanowitsch über Angela Merkel und klingt dabei sehr nach der Juli-Mutterpartei FDP. Er sagt aber auch, was viele junge Menschen nach seiner Einschätzung konkret ärgert: die gefährdete Freiheit des Internets, mit dem die Digital Natives selbstverständlich aufgewachsen sind, Debatten über Klarnamen-Pflicht im Netz – es entstehe der Eindruck des Nichtverstandenwerdens, aber auch der von Inkompetenz in diesem Bereich.

Da ist nicht nur eine Kanzlerin, die auch noch 20 Jahre nach dem Durchbruch des Internets von „Neuland“ spricht. Spätestens seit der Corona-Krise ist offenbar, wie sehr Deutschland bei der Digitalisierung hinterherhinkt. Auch sonst ist der Eindruck: Es geht zu wenig voran. Im Wahlkampf habe er ganz oft das Gefühl gehabt, dass der Mut fehle, berichtet Stewanowitsch: „In den Triellen wurde nur darüber geredet, was der Klimaschutz kostet. Man hätte auch sagen können: Ja, der Preis für CO2 steigt, aber dafür haben wir eine bessere Umwelt.“
Fast in der SPD gelandet
Seit 2018 ist Stewanowitsch bei der Jungen Liberalen. Fast wäre er in der SPD gelandet, erzählt er. Aber der politische Liberalismus der FDP überzeugte ihn mehr. „Dass man die Dinge nicht akzeptiert, wie sie sind. Und dabei auch an den im Grunde guten Menschen und die Eigenverantwortung glaubt“, wie wichtig ihm das ist, hat er in der Coronakrise festgestellt. Dabei beschwert er sich nicht über die Maßnahmen. Als Geimpfter spüre er keine großen Einschränkungen. Ob man jetzt noch mehr lockern sollte? „Ich weiß es nicht, mir fehlt die Fachkompetenz.“ Dafür brauche es halt Profis, sagt er, ganz wie der FDP-Parteichef, dem das Zitat – gemünzt gegen die Klimaaktivisten – einst als herablassend angekreidet wurde. Nicht von Stewanowitsch allerdings. Christian Lindner habe doch vollkommen recht gehabt, sagt er. „Wir wissen eben nicht, was eine Tonne CO2 wert ist – deswegen wollen wir einen CO2-Deckel und lassen den Markt den Preis regeln.“
„Man möchte nach vorne kommen“
Philip Brozé, 31 Jahre, ist Landeschef der Jungen Liberalen. Der Student der Rechtswissenschaften wohnt in Tübingen und ist eigentlich gelernter Physiotherapeut. Sein Abitur hat er auf dem zweiten Bildungsweg gemacht und als erster in der Familie ein Studium begonnen.
„Die Jugend wurde sehr weit hinten angestellt“, sagt auch Brozé über den Umgang mit der Pandemie im Land. Es werde sehr viel erwartet von jungen Menschen. „Man erwartet, dass wir das Land in Zukunft tragen, aber der eigene Lebensweg, das junge Familienglück wird nicht unterstützt.“ Brozé hat darum der große Zuspruch nicht überrascht, der in Baden-Württemberg, wo die FDP traditionell punktet, noch stärker ausfällt: Nicht nur die Erstwähler stimmten hier mehrheitlich für die Liberalen, sondern die Mehrheit aller Unter-25-Jährigen – 26 Prozent in Baden-Württemberg, gefolgt von den Grünen (24 Prozent).
Mitgliederzuwachs bei den Julis
„Während sich auf Twitter die Frage gestellt wird, was bei den #Erstwählern ,falsch‘ gelaufen ist, dass sie die FDP zur stärksten Kraft wählen, rennen sie bei uns offene Türen ein, lol.“ – So reagierten die baden-württembergischen Julis auf die Häme im Netz. Seit der Wahl verzeichnen die Jungen Liberalen großen Zulauf: „Am Tag nach der Wahl wurde unser Postfach geflutet“, erzählt Philip Brozé. Mittlerweile hätten sie 100 Mitglieder dazugewonnen.

Ob das am Coolness-Faktor von Christian Lindner liegt? Brozé lacht. Ja, der sei ein starker Rhetoriker. „Das hat auch mich angesprochen. Aber wir sehen, dass die Leute vor allem wegen des Wahlprogramms für uns gestimmt haben.“ Das Thema Digitalisierung sei bei der FDP ein Kernthema, nicht nur ein „Buzzword“ – englisch für Schlagwort. Die FDP setze außerdem auf Bildung und mache denen ein Angebot, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen – zum Beispiel mit dem Midlife-Bafög. Das soll erleichtern, dass auch Menschen im reiferen Alter noch studieren – so wie er selbst. „Man erwartet keine Realityshow am Kabinettstisch. Man möchte nach vorne kommen und die Politik soll dabei unterstützen.“ Das Wahlrecht ab 16, die kontrollierte Abgabe von Cannabis – mit solchen Inhalten haben sich auch die Julis im Wahlprogramm durchgesetzt.
Warum hat die FDP bei jungen Wählern so gut abgeschnitten? Das sagen Experten
Und dazu kommt die Art der Ansprache. Das Wahlprogramm der FDP gibt es im Internet nicht nur auf deutsch, sondern auch in Englisch, Spanisch, Italienisch, Französisch, Türkisch, Polnisch, Hebräisch, Russisch, Arabisch und Kurdisch. Überhaupt habe man große Anstrengungen unternommen, um das Programm unter die jungen Leute zu bringen. Den Podcast „#vielzutun – Das Wahlprogramm der FDP“ gibt es auch bei iTunes und bei Spotify. „Man hat jeden Reiz genutzt, um den Leuten klarzumachen, was unsere Antworten auf morgen sind“, sagt Philip Brozé. „Politik, die nicht gehört wird, bringt nichts.“