Jede Stunde werden in Deutschland mehr als 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. So sagt es das Bundeskriminalamt. Fast täglich versucht demnach ein Partner oder Ex-Partner, eine Frau zu töten. Alle drei Tage gelingt es. Die registrierten Gewaltfälle stiegen von 2021 auf 2022 um neun Prozent an, auf über 150.000. 80 Prozent der Opfer sind Frauen.
Heute, am 25. November, ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. An diesem Tag soll auf die Opfer körperlicher und sexualisierter Gewalt aufmerksam gemacht, soll das Thema aus der Tabuzone geholt und öffentlich sichtbar werden. Denn die Übergriffe finden oft in den eigenen vier Wänden statt, bleiben im Verborgenen.
Vier Fälle erschütterten die Region 2023
2023 jedoch war ein Jahr für die Region, in der diese Gewalt wie selten zuvor die Öffentlichkeit erschütterte. Zwei Frauen sterben mitten am Tag, eine bei der Arbeit, eine auf offener Straße. Vor Gericht müssen sich ihre Expartner verantworten. Eine weitere von ihrem Exfreund erdrosselte Frau wurde tagelang gesucht, bis man ihre Leiche fand. Und eine vierte, mutmaßlich tot, mutmaßlich vom Expartner ermordet, wird bis heute vermisst.
13. Januar 2023, Stockach: Sabrina P., 24 Jahre alt, wird von ihrem Partner mit einem Ladekabel erwürgt. Anschließend wirft der 22-Jährige die Leiche vom Balkon. Auch das Kätzchen von Sabrina P. tötet er. Das gemeinsame Kind, ein vier Monate altes Baby, schlief während der Tat. So sagte es der Angeklagte vor Gericht aus.
Tagelang suchen Familie und Freunde verzweifelt nach Sabrina. Vier Tage später wird ihre Leiche gefunden. Zeugen sagten im Prozess vor dem Landgericht Konstanz aus, dass der Täter vor der Geburt des Kindes geschrieben haben soll: „Hoffentlich stirbst du und das Kind auch. Ich will euch nicht.“ Auch Todesdrohungen gegen die 22-jährige, die ihre Schwester als gutmütige, lebensfrohe, eher zurückhaltende junge Frau beschrieb, soll es gegeben haben.
Im Juni urteilte das Landgericht: 13 Jahre Haft wegen Totschlags für Marcel K.. Doch Staatsanwaltschaft und Nebenklage wollen den Prozess neu aufrollen. Andreas Mathy, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz, sagte dem SÜDKURIER: „Wir wollen nicht ohne Weiteres hinnehmen, dass das Urteil nur auf Totschlag und nicht auf Mord lautet.“ Nun entscheidet der Bundesgerichtshof.
21. Januar 2023, Markdorf: Es ist kurz vor Ladenschluss, als ein 47-Jähriger den Schnäppchenmarkt Megamix in Markdorf betritt. Dort arbeitet seine von ihm getrennt lebende Frau Sebastiana F.. Die Trennung ist erst wenige Monate her, mit dem zehnjährigen Sohn war Sebastiana von Pfullendorf nach Markdorf gezogen, hatte ein neues Leben begonnen, eine Arbeit im Megamix gefunden. Am 21. Januar endet dieses Leben, als ihr Expartner sie mit einer Waffe vor den Augen von Kunden und Kolleginnen erschießt.
Die ältere Tochter von Sebastiana F. erzählt, dass es in der 25-jährigen Ehe der Eltern Gewalt gegeben habe. Die Mutter sei nach der Trennung glücklich gewesen, habe sich auch auf der Arbeit wohlgefühlt. Der Vater habe die Trennung nicht verkraftet, mehrfach davon gesprochen, der Mutter etwas antun zu wollen und sie in Markdorf aufgesucht. Zweimal zeigte Sebastiana F. ihn bei der Polizei an. „Wir hatten Angst vor ihm“, sagte die Tochter dem SÜDKURIER.
Im August verurteilt das Landgericht Konstanz den Angeklagten zu lebenslanger Haft. „Die Tat verdient nur eine Überschrift: Kaltblütiger Mord“, sagte der Richter bei der Urteilsverkündung.
Dass Täter ihre Expartnerinnen nach oder während einer Trennung ermorden, ist ein typisches Muster solcher Taten. „Die Trennungsphase ist die gefährlichste Phase„, sagt der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer im SÜSKURIER-Gespräch.
19. Februar 2023, Eigeltingen: Jasmin M., 21 Jahre alt, aus Eigeltingen-Heudorf verschwindet spurlos. Am 25. Februar verhaftet die Polizei Robert S.. Der 42-Jährige gilt als dringend tatverdächtig, seine Ex-Freundin getötet zu haben. Mehrfach durchkämmten Beamte die Region, suchten immer wieder nach der Leiche der 21-Jährigen. Bis heute fehlt jede Spur.
Die gebürtige Hilzingerin, die von ihren vielen Freunden als selbstbewusst und liebevoll beschrieben wird, die gerne Motorrad fuhr oder in Karaoke-Bars sang, lernte ihren Exfreund und mutmaßlichen Mörder offenbar als Kollegen auf ihrer Arbeitsstelle in Stockach kennen. Der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter läuft derzeit, er ist neben gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge auch des Stalkings angeklagt. Die Polizei geht davon aus, dass der Angeklagte Jasmin M. nach der Trennung seit Oktober 2021 nachgestellt hat, er soll sie durch ihr Wohnzimmerfenster gefilmt haben, ihr Auto mit GPS-Trackern versehen haben.
2. Juni 2023, Bonndorf: Die 35-jährige Jennifer T. stirbt am späten Nachmittag vor ihrem Wohnhaus in Bonndorf-Ebnet. Sie soll von ihrem getrennt lebenden Ehemann Sven T. erstochen worden sein. Mindestens eines von zwei gemeinsamen Kindern soll die Tat mit angesehen haben, ebenso Nachbarn und ihr neuer Partner. Ein Nachbar ringt Sven T. nieder und startet einen Wiederbelebungsversuch. Laut Polizei jedoch war bereits der erste Messerstich tödlich.
Aktuell wird Sven T. in Waldshut der Prozess gemacht, angeklagt ist er wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen. Vor Gericht sagen Zeugen, dass er in der Beziehung gewalttätig und krankhaft eifersüchtig gewesen sei. Die Trennung im April 2023 habe er nicht verkraftet. Nach der Tat soll er gerufen haben: „Das hast du verdient.“
Besitzansprüche der mutmaßlichen Täter – dies ist ein wiederkehrendes Muster bei Femiziden, also Tötungen von Frauen durch ihre Partner oder Expartner.
Möglicherweise fünfter Femizid
Möglicherweise fällt auch noch ein fünfter Fall Ende September in die Kategorie, als eine 84-Jährige in einem betreuten Wohnheim in Friedrichshafen erschossen aufgefunden wurde. Ihr 83-jähriger Lebensgefährte sitzt in Untersuchungshaft. Die Hintergründe sind aber noch unklar.