Viereinhalb Minuten. So lange dauerte es, bis die 49 Meter lange „Säntis“ im Bodensee verschwunden war. 1933 wurde das Dampfschiff versenkt, 90 Jahre später soll es nun gehoben werden – zumindest, wenn sich für das Vorhaben genügend Unterstützer finden lassen.
Bei einem Pressetermin in der Romanshorner Werft präsentiert Silvan Paganini das spektakuläre Vorhaben. Paganini ist Technischer Betriebsleiter der Nautik bei der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt AG (SBS) und Präsident des am Vortag gegründeten Schiffsbergevereins Romanshorn, der die Hebung gerne umsetzen würde. Man merkt Paganini die Aufregung über das Projekt an. Den Anfang seines Vortrags hält er in Schweizerdeutsch, bis er sich an die deutschen Journalisten vor sich erinnert und zum Hochdeutsch wechselt.
Das Vorhaben
„Das ist ein Riesenwrack, was wir hier heben möchten“, sagt der Schiffsexperte. Er verweist auf andere Bergungsprojekte, etwa das Flugzeug „Piper“, das 2021 in 80 Metern Tiefe aus dem Bodensee geborgen wurde. Der Flieger wog 2,4 Tonnen, die „Säntis“ stolze 124 – und ihr Wrack liegt in 210 Metern Tiefe. Als „bahnbrechendes Vorhaben“ bezeichnen die Verantwortlichen daher ihr Projekt. Die SBS hat bereits eine Machbarkeitsstudie finanziert, die Paganini mit Experten, darunter Sedimentologen, Geologen und Schiffsbauer, durchgeführt hat. Das Ergebnis: „Die einzigartige Bergungsmission ist technisch möglich.“

Wegen der Tiefe und der Beschaffenheit des Seegrundes um die „Säntis“ sei die Bergung dennoch eine Reise ins Ungewisse, heißt es in der Machbarkeitsstudie. Da es an dem Wrack keine Ansatzpunkte gebe, an denen man Hebeseile befestigen könne, haben Paganini und sein Team einen Tauchroboter für ihr Vorhaben entwickelt. Rupflin haben sie diesen getauft, nach einem Matrosen, der 1864 bei der Kollision zweier Dampfschiffe auf dem Bodensee starb.

Der Rupflin soll mit einer Lanze den Seegrund unter der „Säntis“ durchstoßen, sodass anschließend Seile unter dem Wrack platziert werden können, an denen das Schiff dann aus der Tiefe gehoben werden kann. In der großen Werfthalle haben Paganini und sein Team den Tauchroboter aufgebaut, zur Demonstration für die Medienvertreter ist er allerdings an dem deutlich kleineren Schiff Seerhein. An dem Roboter sind Kameras angebracht, von denen Livebilder an einen Computer gesendet werden. So kann der Rupflin von einem Boot an der Wasseroberfläche aus gesteuert werden.
Zwei mögliche Vorgehensweisen
Sobald die Seile unter dem Schiffswrack platziert sind, gibt es zwei mögliche Vorgehensweisen, erklärt Paganini. Die eine ist riskanter, die andere teurer. Für Plan A, die teurere Variante, würde die „Säntis“ mithilfe eines Bergeschiffs gehoben werden. Ins Auge gefasst wurde dafür die Motorfähre „Euregia“ der SBS, die eine Tragfähigkeit von 360 Tonnen hat. Auf der „Euregia“ würde ein sogenannter Litzenheber installiert, ein hydraulisches Gerät, über das mit schweren Drahtseilen das Wrack unter die Motorfähre gehoben werden würde. „Diese Variante ist teuer, weil die Litzentechnik sehr aufwendig ist“, erklärt Paganini dazu. Sie ermögliche aber auch eine vergleichsweise kontrollierte Bergung.

Für Plan B, die riskantere Variante, würden Hebesäcke verwendet werden. Diese werden am Wrack befestigt und mit Luft befüllt, bis die Auftriebskraft das Gewicht der „Säntis“ übersteigt und das Wrack in Richtung Oberfläche steigt. Paganini rechnet mit einem Vakuum, das bei der Bergung unter dem Schiff entsteht und der Hebung entgegenwirkt. Die dadurch entstehende Dynamik wäre mit den Hebesäcken schwer zu kontrollieren, heißt es in der Machbarkeitsstudie.

Wer finanziert das Projekt?
Die Bergung des Wracks mit der Motorfähre Euregia würde laut Paganini etwa 522.000 Schweizer Franken kosten, die Variante mit den Hebesäcken knapp 200.000 Schweizer Franken. Da die SBS als Finanzier ausfällt, will der junge Schiffsbergeverein die Unternehmung nun per Crowdfunding finanzieren – über das Programm lokalhelden.ch der Schweizer Raiffeisenbanken. Der Finanzierungszeitraum läuft vom 21. April bis zum 5. Juli. Zunächst werden nun 100 Personen gesucht, die das Projekt für unterstützenswert halten, danach kann gespendet werden. Wenn nicht genügend Geld zusammen kommt, bekommen die Spender ihr Geld zurück. Aber: „Wenn wir über der Schwelle sind, bergen wir“, sagt Paganini. Ob mit Hebesäcken oder der „Euregia“ hängt also vom Spendewillen der Interessierten ab.
Entdeckt wurde das Wrack der „Säntis“ vor zehn Jahren, im Rahmen einer Vermessung des Bodensees. „Es liegt etwa fünf Kilometer vor Romanshorn Richtung Langenargen“, sagt Paganini. In den vergangenen Jahren konnte die rechtliche Situation geklärt werden: Das Schiff gehört weiterhin der SBS, die 2007 von den Schweizer Bundesbahnen (SBB) an fünf Investoren verkauft wurde. Hermann Hess ist der Hauptaktionär des Unternehmens, er sitzt bei dem Pressetermin neben Silvan Paganini. Warum die SBS das Projekt nicht selbst finanziert, erklärt Hess so: „Wir sind kein Museum, wir denken nicht historisch, dafür haben wir keine Zeit.“ Und nicht das nötige Budget.

Die finanzielle Situation des Unternehmens habe sich in den vergangenen Jahren verschlechtert, unter anderem weil die Nachfrage nach Kursfahrten abgenommen habe. Künftig wolle die SBS sich vermehrt auf Gastronomie, Charter- und Sonderfahrten konzentrieren. Dennoch unterstützt die SBS die Bergung, wie Hess erläutert. Im Rahmen des Pressetermins wird etwa die versunkene „Säntis“ an den Verein übergeben – für den symbolischen Preis von einem Schweizer Franken.
Wie es nach der erfolgreichen Bergung mit dem Schiff weitergehen könnte, ist noch unklar. Das Schiff könnte als historisches Monument in Romanshorn ausgestellt werden, dafür würde die SBS ein Gelände zur Verfügung stellen. Eine andere Option wäre der Transport des Wracks in flacheres Gewässer, wo es für Taucher zugänglich wäre. Silvan Paganini jedenfalls hofft, dass die Bergung langfristig Schule macht: „Vielleicht kann man unser Know-How zukünftig für weitere Bergungen nutzen.“