Was sind eigentlich Pflichtaufgaben und was sind freiwillige Aufgaben einer Gemeinde? Mit dieser Frage begann Anja Meitner ihren Vortrag zur Kommunalpolitik im Daisendorfer Ratssaal. Sie ist Leiterin der Tübinger Außenstelle der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung (LpB).
Bei der Ausgabe von Personalausweisen war die Sache noch klar: Das ist eine Pflichtaufgabe. Ebenso beim Schwimmbad: Das ist freiwillig. Etwas schwieriger wurde es schon bei Kinderspielplätzen, deren Schaffung tatsächlich freiwillig ist, oder beim öffentlichen Nahverkehr, der mit Ausnahme von Schulbussen ebenfalls keine Pflicht ist. Verpflichtend ist dagegen der Katastrophenschutz durch die Feuerwehr – auch wenn diese in den meisten Kommunen eine „freiwillige Feuerwehr“ ist.
Forum für Politik und Kultur plant weitere Veranstaltungen
Veranstaltet wurde der Abend zur Kommunalpolitik vom Daisendorfer Forum für Politik und Kultur. Nach einem Vortrag zu Verschwörungstheorien im vergangenen Jahr habe man nun mit dem Thema Wahlen die Mitte der Gesellschaft stärken wollen, sagte Forumsvorsitzender Hasan Ögütcü. Künftig wolle man jedes Jahr eine Veranstaltung auf die Beine stellen, so Ögütcü, der erstmals auch für den künftigen Daisendorfer Gemeinderat kandidiert. Eigentlich sollte es im Anschluss an die Veranstaltung noch eine Diskussion über die konkrete Lokalpolitik mit Bürgermeisterin Jacqueline Alberti geben. Doch hierzu kamen aus dem Publikum keine Fragen.

Extrem hohe Beteiligung an der Wahl 2019
Es gab einiges zu lernen an dem kurzweiligen Abend – etwa, dass die Wahlbeteiligung bei der letzten Kommunalwahl in Baden-Württemberg 2019 bei 58,7 Prozent lag. Das mag zunächst niedrig erscheinen, war tatsächlich aber der höchste Wert seit 1994. In Daisendorf dagegen war die Wahlbeteiligung mit 72,2 Prozent außerordentlich hoch.
Was vermutlich auch wenige wussten: Seit 2019 gibt es in Baden-Württemberg eine Sollbestimmung, nach der auf Wahllisten abwechselnd männliche und weibliche Kandidaten stehen sollen. Allerdings werde dies in einer Situation, in der man es vielerorts kaum schaffe, die Listen überhaupt voll zu bekommen, schwierig, sagte Meitner. In Baden-Württemberg sind knapp 27 Prozent der Gemeinderäte weiblich, so die Statistik, in 22 von 1101 Kommunen gibt es gar keine Frauen im Rat.
Großen Parteien verlieren kommunal an Bedeutung
Ebenfalls interessant: Politische Parteien oder die große Politik spielen in den Gemeinden kaum eine Rolle. Dass wie in Daisendorf die CDU keine Liste mehr zusammenbekommt und auch die SPD bereits seit etlichen Wahlen nicht mehr, ist keine Ausnahme. Bereits seit 30 Jahren sinke die Bedeutung der großen Parteien – mit Ausnahme der Grünen – bei Kommunalwahlen, zeigte Meitners Grafik. Immer weiter vorn liegen dagegen sonstige Wählervereinigungen.
Gewählt wird, wen man kennt
„Die Kommunalwahl ist eine Personenwahl“, sagte die Expertin denn auch. Gewählt werde, „wen man kennt oder wer etwas gilt“. Zu dem Thema gebe es zwar nur wenige Studien, so Meitner, doch sagten diese grob Folgendes aus: Gemeinderäte genießen ein „sehr hohes Vertrauen“. Sie seien im Schnitt über 45 Jahre alt, gehörten „durchweg zu den Besserverdienenden“ und verfügten üblicherweise über Grundbesitz in der Gemeinde, in der sie meist schon lange lebten. Und wenig überraschend seien Gemeinderäte oft auch anderweitig in ihrer Kommune engagiert.
Allerdings sei die Gemeinderatsarbeit auch ein „aufwendiges Ehrenamt“, in das die Mitglieder laut Studien im Schnitt rund 35 Stunden pro Woche investierten. Für das in kleinen Kommunen geringe Sitzungsentgelt tue man dies sicherlich nicht, so Meitner. In Daisendorf sind es lediglich 50 Euro pro Sitzung.
Welche Macht hat eigentlich ein Gemeinderat?
Zur Macht des Gemeinderats sagte die LpB-Leiterin Folgendes: Der Trumpf der Gemeinderäte sei ihre starke Position in der Phase rechtsgültiger Entscheidungen. Dem gegenüber stehe das „mächtige Amt“ des Bürgermeisters, der in Baden-Württemberg – anders als in anderen Bundesländern – nicht abwählbar sei. Nicht umsonst werde hier oft von „kleinen Königen“ gesprochen.
Situation mit einer Liste hätte kurios werden können
Die Referentin ging auch auf aktuelle Entwicklungen in Daisendorf ein, wo sich noch kurz vor Terminschluss mit der Energiegruppe eine zweite Liste bildete. Ansonsten hätte es in der kleinen Kommune nur eine einzige Liste gegeben, die der Freien Wähler. In diesem Fall hätte statt einer Verhältniswahl eine Mehrheitswahl stattgefunden – dann hätte auch praktisch „jeder seinen Nachbarn auf die Liste schreiben können“, sagt Meitner. Auf diese Weise hätten unter Umständen Menschen in den Gemeinderat kommen können, die gar nicht auf der Liste gestanden hätten. Bei zwei Listen ist das nicht mehr möglich. Hier sind sämtliche handschriftlichen Eintragungen außer der Stimmabgabe tabu. Ansonsten wäre der Stimmzettel ungültig, wie Meitner anhand von Beispielen aufzeigte.