Ein formelles Misstrauensvotum gegenüber Bürgermeistern sei in Baden-Württemberg zwar nicht möglich, heißt es in einem offenen Brief, den der Daisendorfer Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung an Bürgermeisterin Jacqueline Alberti richtete. Doch genau dies las sich aus den knapp 40 Zeilen heraus, die Gemeinderat Heinrich Straub in der öffentlichen Sitzung vortrug. Die „Vertrauensbasis für eine gedeihliche Zusammenarbeit“ sei „weitestgehend infrage gestellt bis nicht mehr vorhanden“, hieß es in dem Schreiben. Unterzeichnet ist der Brief von acht der zehn Gemeinderäte im Daisendorfer Gremium.

Damit sei für das Gremium die in der baden-württembergischen Gemeindeordnung formulierte Grundsatzkompetenz des Gemeinderats nicht mehr leistbar. Denn diese erfordere ein Zusammenwirken der beiden Organe, Bürgermeister und Gemeinderat. Der dafür nötige „Austausch, um miteinander Wege zu gestalten und Zukunftsvisionen umsetzen zu können“, fehle. Wörtlich heißt es im Brief: „Das erscheint uns in Daisendorf absehbar ausgeschlossen zu sein.“
Räte beklagen „anhaltende Kommunikationsprobleme“
Derart klare Worte kommen üblicherweise nicht aus dem Nichts. Was also war passiert? Bereits seit längerem scheint das Verhältnis zwischen Bürgermeisterin und Gemeinderat angespannt. Mit „zumindest großen Teilen im Gemeinderat“ habe sich dieses Verhältnis als „zunehmend schwierig bis problematisch“ entwickelt, steht in dem offenen Brief. Konkrete Themen werden zwar nicht genannt, doch wie herauszulesen ist, geht es nicht so sehr um inhaltliche Differenzen zwischen Bürgermeisterin und Rat, sondern vor allem um „anhaltende Kommunikationsprobleme“.
Nach „anhaltender Frustration, zeitweiser Sprachlosigkeit und dem Rücktritt eines Gemeinderatskollegen“ habe der Gemeinderat mithilfe eines professionellen Coaches seine Anliegen an die Bürgermeisterin formuliert. „Um das Ganze von der emotionalen auf eine sachliche Ebene zu bringen“, wie Straub sagt. Der externe Berater habe die Kernprobleme dann bei einem Termin am 30. November mit Jacqueline Alberti erörtert, die sich daraufhin „nachvollziehbare Bedenkzeit“ für eine Antwort erbeten habe, wie es im Brief heißt.
„Alternative wäre, alles hinzuschmeißen“
Dass man seither aber überhaupt keine Antwort erhalten habe, auch nicht auf zwischenzeitliche Nachfrage, sei nicht nachvollziehbar. Der nun formulierte offene Brief – der „nicht mal so schnell daher geschrieben, sondern viele Stunden Arbeit gekostet habe“, wie einer der Unterzeichner sagt – mutet in diesem Kontext wie eine Ultima Ratio an, eine letzte Möglichkeit. „Die Alternative wäre, alles hinzuschmeißen“, sagt einer der ehrenamtlich tätigen Gemeinderäte.
Unterzeichner schlagen moderierte Klausurtagung vor
Gemeinderat Heinrich Straub sieht in dem Schreiben auch eine Art Handreichung. Denn man wolle ja gemeinsam die Zukunft des Ortes gestalten, auch wenn es dazu naturgemäß unterschiedliche Meinungen gebe. Nötig sei dafür aber eine gute Kommunikation. Und so schließt der Brief mit einer Aufforderung an die Rathauschefin, ihre „Passivität aufzugeben“ und den „konstruktiven Austausch“ zu suchen – zum Beispiel bei einer extern moderierten Klausurtagung, wie die Unterzeichner vorschlagen.
So reagiert die Bürgermeisterin auf das Schreiben
Und was sagt die Bürgermeisterin dazu? Das Verhalten des Gemeinderates habe sie „erschrocken“, teilt Jacqueline Alberti mit, da es sie „sehr stark an die Geschehnisse vor acht Jahren“ erinnere. Damals, also noch unter ihrem Vorgänger, seien tiefe Gräben zwischen Bürgermeister nebst Verwaltung, Gemeinderat sowie „dem einen oder anderen Verein“ entstanden. Eine Hauptaufgabe zu Beginn ihrer Amtszeit 2017 sei es gewesen, diese Gräben wieder zu schließen.
In den vergangenen Monaten habe zudem „kein Mitglied des Gemeinderates das Gespräch mit mir gesucht, um über Probleme der Zusammenarbeit zu sprechen“. Bis heute seien ihr „keine Kernprobleme genannt“ worden. Ihre Tür stehe für konstruktive und ehrliche Gespräche stets offen. Damit stehen zwischen Räten und Bürgermeisterin Aussage gegen Aussage.
Im Gemeinderat, in dem offenbar etliche daran denken, ihr Amt aufzugeben, sieht man nun allerdings erst einmal die Bürgermeisterin am Zug. Der offene Brief schließt mit den Worten: „Wir erwarten von Ihnen eine Antwort bis zum 6. Februar 2024.“
Zwei Räte haben den Brief nicht unterschrieben
Nicht unterschrieben haben den Brief die beiden Gemeinderäte Otto Köhler und Andreas Illich. Letzterer ist erst im November für den ausgeschiedenen Thomas Ritsche nachgerückt. Köhler will den offenen Konflikt vermeiden – er erklärte, er halte es eher mit einer alten Weisheit: „Wenn du eine Situation nicht ändern kannst, ändere deine Einstellung dazu.“