Giovanna Lo Ciceros Geschichte klingt unfassbar. Am Anfang habe der Rauswurf aus dem Frauenhaus gestanden, beginnt die 35-Jährige zögernd zu erzählen. Dorthin sei sie mit ihren vier Kindern im Oktober 2016 geflüchtet, aus dem Schwarzwald an den Bodensee. „Mein Mann hatte mich krankenhausreif geschlagen. Ich lag drei Monate im Koma“, sagt Lo Cicero mit gesenktem Blick.
Doch die Zuflucht vor dem gewalttätigen Ehemann war nicht von Dauer. Eines ihrer Kinder rief den Vater vom Frauenhaus aus an: „Wir mussten dann raus, da er wusste, wo wir sind, und wir dadurch auch zu einer Gefahr für die anderen Frauen wurden.“ Die Kinder kamen zu ihrem Vater. „Sonst hätten sie in Obhut oder ins Heim gemusst.“ Und die Kinder habe ihr Mann auch nicht geschlagen.
Giovanna Lo Cicero selbst stand nun auf der Straße, war von einem Tag auf den anderen obdachlos
„In der Herberge gab es keinen Platz und auf den Ämtern sagte man mir, dass sie nichts haben.“ Lo Cicero schlief fortan in ihrem Auto. „Zum Duschen und Wäschewaschen bin ich jeweils ins Asylheim.“ Denn schließlich musste sie morgens gepflegt zur Arbeit in einem Burger-Restaurant erscheinen.

Bereits während ihrer Zeit im Frauenhaus hatte Lo Cicero versucht, eine Wohnung für sich und ihre Kinder zu finden. Doch die Suche blieb erfolglos, auch später, als sie bereits in ihrem Auto hauste und nur noch für sich eine Wohnung brauchte.
Schließlich lernte Lo Cicero ihren jetzigen Partner kennen. Auch er sucht bis heute eine Wohnung, lebt deshalb noch bei seinen Eltern. „Er brachte mich damals auf die Idee, vorübergehend eine Ferienwohnung zu mieten.“ Es klappte: Nach drei Monaten auf der Straße hatte Lo Cicero wieder ein festes Dach über dem Kopf.
Vorübergehende Lösung wird schnell zum Dauerzustand
Für Lo Cicero begann eine Odyssee von einer Ferienwohnung in die nächste: „Ich habe bereits acht Ferienwohnungen durch.“ In der Nebensaison konnte sie sich jeweils eine Ferienwohnung in Friedrichshafen leisten, während der Hauptsaison musste sie in die weitere Umgebung ausweichen, nach Langenargen und Meckenbeuren. Inzwischen arbeitet Lo Cicero wie ihr Partner bei ZF, in Vollzeit als Shuttlebus-Fahrerin. Ihre älteste Tochter ist zu ihr gezogen. Die 17-Jährige macht in Friedrichshafen eine Ausbildung.
Suche nach bezahlbarer Dreizimmerwohnung bleibt erfolglos
Doch Lo Cicero findet für sich und ihre Tochter einfach keine bezahlbare Dreizimmerwohnung in Friedrichshafen oder den Umlandgemeinden. „Ich habe mich schon für über 200 Wohnungen beworben, suche über Ebay-Kleinanzeigen und bin auf allen möglichen Immobilienplattformen im Internet angemeldet.“ Ohne Erfolg: „Bei einem Gehalt von 1400 Euro im Monat kann ich mir das meiste nicht leisten.“
„Bei einer Besichtigung sind immer mindestens 50 Leute gleichzeitig dabei. Da wird man dann im Zehn-Minuten-Takt durch die Wohnung geschleust.“ Oft erhalte sie danach nicht einmal eine Antwort. „Und wenn ich dann jeweils selbst nochmals anrufe, heißt es: Tut uns leid, aber die Wohnung ist schon vergeben. Man erhält nie eine Begründung, weiß nicht, was man hätte anders machen können.“ Oder es heiße: „Wir wollen weder Kinder noch Haustiere.“
Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs: „Es gibt schon sehr dreiste Vermieter“, sagt Lo Cicero
Viele Wohnungen seien in einem miserablen Zustand: „Ich habe schon alles gesehen: Rohre, die aus den Wänden herausragen, Tapeten und Laminatböden, die sich ablösen, Badezimmer, die anstelle von Fliesen einen Boden im Rohzustand haben, kaputte Balkone. Da hätte ich teilweise nochmals mindestens 3000 Euro reinstecken müssen, um dort überhaupt leben zu können.“ Geld, das Lo Cicero nicht hat.
Lo Cicero hat sich auch bei der Kreisbaugenossenschaft Bodenseekreis (KBG), der Zeppelin Wohlfahrt und der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshafen (SWG) erfolglos um Wohnungen bemüht, wie sie erzählt: „Mir wurde gesagt, dass die Wartezeiten auf eine Wohnung zwischen zwei und fünf Jahren betragen.“
Wir haben bei KBG, SWG und Zeppelin Wohlfahrt nachgefragt
Einzelne echte oder vermeintliche Vermieter wollten Lo Ciceros Not ausnutzen und sie zu sexuellen Gefälligkeiten zwingen
„Das erste Mal passierte es, als ich mich auf ein Mietangebot im Internet gemeldet hatte: 700 Euro für eine Dreizimmerwohnung in der Stadtmitte! Ich dachte, das gibt es nicht.“ Gab es auch nicht: Der vermeintliche Vermieter habe von ihr verlangt, dass er zwei Mal in der Woche bei ihr vorbeikommen könne, um an ihren Füßen zu riechen. Lo Cicero brach den Kontakt sofort ab. Später stellte sich heraus, dass es diese Wohnung gar nicht gab.
Doch es blieb nicht bei dem einen Mal: „Ein Mann wollte Sex von mir und hat mich nachts über WhatsApp angerufen. Eine Frau wollte, dass ich für sie in einem Bordell in Ravensburg arbeite.“ Der Ablauf sei immer gleich gewesen: Anfangs habe man sich normal ausgetauscht. Die tatsächlichen oder vermeintlichen Vermieter fragten Lo Cicero irgendwann nach ihrer persönlichen Situation. Kaum hatten sie ihre Not erkannt, begannen die anzüglichen Angebote.
Seit diesen Vorfällen macht Lo Cicero nur noch ihre E-Mail-Adresse öffentlich, ihr Handy unterdrückt anonyme Anrufe automatisch, auf dem Briefkasten und Klingelschild ihrer Ferienwohnung steht kein Name. „Man kriegt schon Panik“, sagt die 35-Jährige. Anzeigen bei der Polizei verliefen bisher ins Leere.
Neben der Wohnungssuche hat Lo Cicero auch schon alle möglichen Ämter abgeklappert
„Ich habe auf dem Landratsamt und im Häfler Rathaus um Hilfe gebeten. Derzeit bin ich fast jeden Tag auf Ämtern unterwegs.“ Aber überall erhalte sie immer dieselben Antworten: „Es gibt nichts“ oder „Wir bieten keine Wohnungen an“. Immerhin habe sie jetzt die Zusage für einen Mietzuschuss. „Ich könnte mir nun eine Wohnung für 1200 Euro warm leisten.“ Aber was hilft das, wenn sie schlicht keine Wohnung findet? Dass es bei der Stadt eine „Fachstelle Wohnungsnotfälle„ gibt, die Menschen unterstützen soll, die von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind, erfährt Lo Cicero erst vom SÜDKURIER: „Davon habe ich noch nie etwas gehört.“
Wie helfen Landratsamt und Stadt Wohnungssuchenden?
Der ständige Wechsel von einer Ferienwohnung in die nächste zermürbt Lo Cicero immer mehr
„Es ist nicht schön: Man fühlt sich nicht zuhause, hat nur einen Teil seiner Privatsachen bei sich, lebt in einer Wohnung, die nicht die eigene ist.“ Und ständig sitze die Gewissheit im Nacken, dass sie nach vier oder fünf Monaten wieder ausziehen muss. Verbunden mit der Angst, bis dahin nichts zu finden. „Man kann nie ausschalten, ist ständig am Suchen. Das ist es, was einen kaputtmacht.“
Sie wisse einfach nicht, was sie noch machen solle, sagt Lo Cicero. Sie habe sich auch schon überlegt, in eine WG zu ziehen: „Aber wer zieht mit seiner 17-jährigen Tochter in eine WG? Und dann müsste ich für zwei Zimmer, ohne eigene Küche und eigenes Bad, 800 Euro bezahlen.“
Bis Ende Mai kann sie noch in der Ferienwohnung bleiben
Ende Mai muss Lo Cicero ihre jetzige Ferienwohnung in Friedrichshafen verlassen, weil dann die touristische Hauptsaison beginnt. Bis jetzt hat sie noch keine Anschlusslösung für sich und ihre Tochter gefunden. „Wenn ich bis Ende Mai nichts habe, stehe ich wieder auf der Straße. Alle wissen Bescheid, aber keinen interessiert es.“
Den einzigen Halt, den sie derzeit habe, sei ihre Tochter, sagt Lo Cicero: „Ohne sie wäre mir inzwischen alles egal. Aber sie kommt immer und sagt: Mama, wir schaffen das.“
Falls Sie Giovanna Lo Cicero bei ihrer Suche nach einer Wohnung helfen können, nehmen Sie mit uns Kontakt auf: Die SÜDKURIER-Lokalredaktion in Friedrichshafen (Karlstraße 35, 88045 Friedrichshafen) ist von Montag bis Freitag per Telefon (0 75 41/70 70 57 48), Fax (0 75 41/70 70 57 90) und E-Mail (friedrichshafen.redaktion@suedkurier.de) erreichbar.