Nach dem Suizid einer Oberärztin und den Vorwürfen gegen das Häfler Klinikum lässt ein Chefarzt und Medizinischer Direktor des Klinikums Friedrichshafen sein Amt so lange ruhen, bis die Untersuchungen abgeschlossen seien. Das berichtet das Klinikum in einer Pressemitteilung. Hintergrund ist ein Beschluss des Aufsichtsrats am Mittwoch.
Das Gremium hatte im Dezember die Kanzlei Feigen Graf mit der Aufklärung der Vorwürfe gegen das Klinikum beauftragt, nun wurden dem Aufsichtsrat die Schwerpunkte der Untersuchung erläutert. Zudem wurde über die vorgeschlagenen Maßnahmen abgestimmt. In diesem Rahmen bot der Medizinische Direktor dem Aufsichtsrat an, seinen Posten vorerst ruhen zu lassen – was die 14 Mitglieder des Aufsichtsrates annahmen.
Laut Pressemitteilung hätten die von den Vorgängen betroffenen Mitglieder der Geschäftsleitung zudem darum gebeten, nicht in die „Steuerung und Berichterstattung der Compliance-Untersuchung einbezogen zu werden“. Konkret bedeutet das: Geschäftsführer Franz Klöckner wird auf eigenen Wunsch nicht über die Untersuchungen unterrichtet werden.
Oberärztin mit harten Vorwürfen gegen Chefarzt
Die ehemalige Leitende Oberärztin der Internistischen Intensivstation hatte dem Chefarzt unter anderem vorgeworfen, dass aus ihrer Sicht fachlich ungeeignete Kolleginnen auf der internistischen Intensivstation arbeiteten. Zudem kritisierte sie die übermäßigen Belastungen der Arbeitskräfte. Die Frau sah darin eine potenzielle Gefährdung des Patientenwohls. Die Verstorbene machte schon im Dezember 2021 darauf aufmerksam und wies auf mangelnde Kompetenz von Assistenzärzten hin.
Im März 2022 soll ein Assistenzarzt den Tod eines Patienten fahrlässig herbeigeführt haben, so die Vorwürfe der Frau. Später wollte die Klinikleitung die kritische Oberärztin befördern, womit diese allerdings nicht einverstanden war – und klagte gegen die Versetzung. Für Mitte Dezember war ein Termin beim Arbeitsgericht anberaumt. Dort ging es um die Frage, ob die Versetzung der Ärztin rechtens gewesen wäre. Der Prozess wurde nicht mehr geführt. Die Frau verstarb.
„Selbsttötung hat uns alle betroffen gemacht“
Der Häfler Oberbürgermeister und MCB-Aufsichtsratsvorsitzende, Andreas Brand, wird ebenfalls in der Mitteilung zitiert: „Die Selbsttötung der Oberärztin hat uns alle betroffen gemacht“, sagt er. „Wir können nachvollziehen, wie die Angehörigen, die Kolleginnen und Kollegen der Verstorbenen auf dieses Ereignis reagieren. Deshalb ist es uns wichtig, dass eine eingehende und allumfassende Aufklärung der Vorhalte erfolgt.“

Die Rechtsanwälte der Kanzlei Feigen Graf wollen unter anderem Ärzte, Pflegerinnen sowie weitere Beschäftigte des Klinikums befragen, heißt es. Diese sollen sich dabei von Zeugenbeiständen begleiten lassen können. Ziel der Untersuchung sei es zu prüfen, ob die seitens der Oberärztin erhobenen Vorwürfe zutreffend waren. „Wir werden die Untersuchung mit aller Sorgfalt durchführen“, wird Andreas Minkoff, leitender Rechtsanwalt der Kanzlei Feigen Graf, zitiert. „Unser Ziel ist es, die tatsächlichen Abläufe akribisch aufzuklären, damit auf Basis der Erkenntnisse Empfehlungen für das weitere Vorgehen innerhalb des Klinikums ausgesprochen werden können.“
Welche Fragen soll die Kanzlei beantworten?
Nach Beschluss des Aufsichtsrates soll die Kanzlei den folgenden Fragen nachgehen:
- Welche Vorwürfe gegen Vorgesetzte und die Geschäftsführung wurden durch die Ärztin seit ihrer Ernennung zur Oberärztin der Internistischen Intensivstation erhoben? Wurden in Zusammenhang mit der Internistischen Intensivstation und der Kardiologischen Abteilung ähnlich gelagerte Vorwürfe schriftlich an die Geschäftsführung oder den Aufsichtsrat herangetragen?
- Waren die durch die Oberärztin erhobenen Vorwürfe zutreffend und zulässig?
- Welche Reaktionen auf die erhobenen Vorwürfe erfolgten durch Vorgesetzte und die Geschäftsführung und zu welchem Zeitpunkt erfolgten diese?
- Waren die durch Vorgesetzte und die Geschäftsführung erfolgten Reaktionen zulässig und wurden alle erforderlichen Maßnahmen getroffen?
- Haben Vorgesetzte oder die Geschäftsführung in Zusammenhang mit den untersuchten Vorgängen in sonstiger Weise Pflichtverletzungen begangen?
In der Pressemitteilung heißt es zudem, dass die beauftragte Kanzlei den Aufsichtsrat über den Fortgang der Untersuchung unterrichten wird. Ein erster Termin sei für Ende Februar geplant. Finale Ergebnisse der Untersuchung sollen bis Ende März vorliegen.
OB Brand fordert „Zeit und Geduld“
Oberbürgermeister Brand bittet in dieser Hinsicht um Geduld. „Wir sind uns bewusst, dass diese Aufklärung Zeit und Geduld erfordert“, sagt er. „Wir bitten die Angehörigen, Kolleginnen und Kollegen der Verstorbenen sowie die Öffentlichkeit um Verständnis dafür.“ Der Aufsichtsrat sei fest entschlossen, die Aufklärung so gründlich wie möglich durchzuführen. „Nur so können wir das Vertrauen in das Klinikum und die gute Arbeit der Mitarbeitenden zurückgewinnen.“
Neben der Aufklärung der Vorwürfe hat der Aufsichtsrat beschlossen, eine Mediationsstelle einzurichten. Diese soll den Mitarbeitenden des Klinikums ermöglichen, unabhängig von der Untersuchung mit Anfragen und Anregungen an die Leitung des Klinikums herantreten zu können. „Wir wollen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Klinikums mit dieser Maßnahme ein zusätzliches Angebot machen, um ihre Sorgen und Bedenken zu äußern“, sagt Roman Huber, ebenfalls Medizinischer Direktor des Klinikums Friedrichshafen. „Wir sind uns bewusst, dass die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate für alle Beteiligten sehr belastend waren. Wir wollen alles tun, um die Situation zu verbessern, um weiterhin in einem Klima des Vertrauens und des gegenseitigen Respekts zu arbeiten.“
Mitarbeiter sprechen von „halbherziger“ Entscheidung
„Wieder kein ernst zu nehmender Schritt“, kritisieren Mitarbeiter des MCB nach der Sitzung des Aufsichtsrats und beschreiben die Entscheidungen als „halbherzig“. Dass der Medizinische Direktor bis zum Abschluss der Untersuchungen sein Amt ruhen lasse, sei bei Weitem nicht genug. Wie Pflegekräfte bereits im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung in einem Brief formuliert hatten, fordern sie stattdessen weiterhin die Freistellung der von den Vorgängen betroffenen Mitglieder der Geschäftsleitung.
Es sei unverständlich, dass diese nach den massiven Vorwürfen weiter in ihren Funktionen tätig sein dürfen, so die Kritik der Pflegekräfte. Das Vertrauensverhältnis sei aufgrund der Vorfälle und mangelnden Krisenkommunikation derart belastet, dass eine Zusammenarbeit nur schwer vorstellbar sei. Ein unverzügliches Handeln ist insbesondere aus Gründen des Patientenwohls unumgänglich, heißt es im Brief der Pflege an den Aufsichtsrat.