Auf dem Vorplatz des Klinikums wird geschwiegen und geflüstert. Ansprachen sind nicht vorgesehen. Kleine Grüppchen kommen mit Kerzen in den Händen, stehen beisammen, reden leise oder schweigen ganz. Kurz vor 20 Uhr sind etwas mehr als 20 Menschen zusammengekommen, einige Zeit später sind es etwa 50. Manche von ihnen sind aus dem Inneren des Gebäudes dazugekommen, stellen sich kurz dazu und gehen dann wieder hinein. Drei Rettungssanitäter in Uniform kommen vorbei. Eine Patientin im Rollstuhl lässt sich nach draußen schieben, hält ein Windlicht auf dem Schoß.

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Nicht in Vergessenheit geraten

Nach Bekanntwerden des Freitods der ehemaligen Leitenden Internistischen Oberärztin am Medizin Campus Bodensee (MCB) in Friedrichshafen trauern viele Kollegen und Patienten, die Bestürzung ist groß. Der Aufruf zur Mahnwache erfolgte über ausgehängte Zettel und wurde von einem Mitarbeiter initiiert. Bild und Kerzen, die vor dem Klinikum an die Ärztin erinnert hatten, wurden an ihrem Geburtstag umgestellt, schildert der Mann seine Beweggründe: „Ich hatte zuerst gehört, die Klinikleitung war das, möchte aber keine Falschinfos verbreiten.“ Es sei vor allem wichtig, dass die Sache wirklich aufgeklärt werde und nicht in Vergessenheit gerate. Seinen vollen Namen möchte er nicht nennen. Er sagt: „Das ist einfach eine heikle Sache, um die es hier geht.“

Seit Jahresbeginn gedenken Klinikmitarbeiter monatlich am Todestag der Oberärztin bei einer Mahnwache.
Seit Jahresbeginn gedenken Klinikmitarbeiter monatlich am Todestag der Oberärztin bei einer Mahnwache. | Bild: Lena Reiner

Pressesprecherin Susann Ganzert schildert, dass der kleine Gedenkort vor dem Eingang des Klinikums während der internen Trauerfeier aufgebaut worden sei: „Wir wissen nicht, wer das initiiert hat, es ist aber schön, dass das gemacht wurde.“ Im Folgenden sei intern eine kleine Debatte entstanden. Eine Mehrheit derer, die sich äußerten, schien eine Gedenkstätte – wenn auch vorerst als Provisorium – am Hubschrauberlandeplatz gut zu finden, sozusagen an der Wirkungsstätte der verstorbenen Ärztin. Dort stehen nun auch ihr Bild und einige Kerzen. Mit dem Umstellen habe die Klinikleitung aber nichts zu tun, sagt Ganzert.

Hoffnung auf Veränderungen

„Ich bin aus Sorge hier, dass die Vorwürfe einfach unter den Teppich gekehrt werden“, sagt einer der Teilnehmer. Er ist seit zwölf Jahren Mitarbeiter am Klinikum und hofft auf deutliche Veränderung: „Ich bekomme daher auch viel aus erster Hand mit, was hier so läuft.“ Er wünsche sich einen neuen Führungsstil, der müsse wieder menschlicher werden. Bisher wirke es für ihn so, als gehe es einfach weiter wie bisher.

Ingrid Radius hat 32 Jahre lang als Pflegerin am Medizin Campus Bodensee gearbeitet, Ende 2021 musste sie aus gesundheitlichen Gründen aufhören. „Sonst hätte ich weitergemacht, ich wäre geblieben“, sagt sie, auch wenn es in den vergangenen sieben Jahren immer schwieriger geworden sei. „Der, der den Beruf vom Herzen ausübt, der macht das einfach für die Patienten“, sagt sie. Die verstorbene Ärztin sei eine gewesen, die aus einer solchen Überzeugung von innen heraus ihren Beruf ausgeübt hätte. Wieso sie bei der Mahnwache dabei ist? „Weil ich stur bin“, sagt sie – ihr sei es wichtig, an die Ärztin zu erinnern. Die Wahrheit müsse herauskommen.