„Es ist, als würden alle die Luft anhalten!“ So beschreiben Mitarbeiter des Medizin Campus Bodensee (MCB) momentan die Stimmung am Häfler Klinikum. Sie befürchten, dass der seit März freigestellte Chefarzt schon bald ans Krankenhaus zurückkehren könnte. Entscheidend für die Dauer der Freistellung ist das interne Compliance-Verfahren, hatte die Klinik im März mitgeteilt.
Auch bei der jüngsten Mahnwache für ihre Kollegin ist die Sorge der Mitarbeiter spürbar. Die verstorbene Oberärztin hatte besagtem Chefarzt vorgeworfen, das Patientenwohl zu gefährden. „Was passiert, wenn er am 19. Juli wirklich wiederkommt“, fragen sich gleich mehrere Anwesende, „wie soll eine Zusammenarbeit überhaupt noch möglich sein?“ Den Namen des Chefarztes spricht hier keiner aus. Es ist immer nur von „ihm“ die Rede. Und doch weiß jeder, wer gemeint ist.

Noch ein Brief an den Aufsichtsrat
Auch der Betriebsrat soll seine Bedenken vorgebracht, einen Brief an den Aufsichtsrat formuliert haben. Mit Spannung würde nun der Abschlussbericht des Compliance-Verfahrens erwartet, heißt es bei der Mahnwache. „Mit einer transparenten Aufarbeitung könnte Vertrauen zurückgewonnen werden. Das muss man aber auch nutzen“, sagt ein Klinikmitarbeiter. Andere sehen dafür nur wenig Chancen.
Abschlussbericht im Aufsichtsrat?
Zuletzt hieß es, der Abschlussbericht solle spätestens Anfang Juli vorliegen. Bei der Sitzung des Aufsichtsrats der Klinikum Friedrichshafen GmbH am Mittwoch sei das Gremium aber nur über die vorläufigen Ergebnisse der Compliance-Untersuchung informiert worden, teilte das Unternehmen danach mit. Aktuell liegt also nach wie vor kein Abschlussbericht zu den Vorwürfen vor, die das Krankenhaus seit dem Freitod der Oberärztin beschäftigen.
Erste Fälle seien „ausermittelt“
Im Januar 2024 beauftragte der Aufsichtsrat die Anwaltskanzlei Feigen Graf, die Vorgänge zu überprüfen. In den vergangenen Monaten wurden mehr als 100 Aufklärungsgespräche mit Mitarbeitenden des Klinikums und Externen geführt sowie umfangreiche Unterlagen und Daten ausgewertet hat, heißt es weiter. Die ersten ausermittelten Behandlungsfälle wurden demnach bereits von einem medizinischen Sachverständigen begutachtet.
Untersuchung „gründlich abschließen“
„Die Compliance-Untersuchung ist weit vorangeschritten, jedoch noch nicht abgeschlossen“, heißt es weiter in der Mitteilung. Die bisherigen Erkenntnisse würden belegen, dass es von zentraler Bedeutung sei, die Untersuchung „umfänglich und gründlich abzuschließen“. Und: „Mitte Juli 2024 wird es so weit sein.“
Fraglich ist, was dann passiert. Zweifellos wird der Aufsichtsrat über Personalfragen entscheiden müssen. Wird der Chefarzt weiter beschäftigt? Was geschieht mit den ebenfalls freigestellten Assistenzärzten, gegen die die Staatsanwaltschaft wegen ärztlicher Fehlbehandlungen ermittelt? Immerhin stehen Tatbestände wie Körperverletzung, unterlassene Hilfeleistung und fahrlässige Tötung im Raum. Die Ermittlungen der Kriminalpolizeidirektion Friedrichshafen laufen und dürften noch „geraume Zeit“, so die Staatsanwaltschaft im Juni, in Anspruch nehmen.
Zeitdruck wird immer größer
Zeitdruck gibt es auch deshalb, weil der Aufsichtsrat zum Start der Compliance-Untersuchungen klar kommuniziert hatte, diesen Fall rechtzeitig abschließen zu wollen, um den neu gewählten Gemeinderat nicht damit befassen zu müssen. Vor der konstituierenden Sitzung des neuen Gemeinderats am 25. Juli ist noch eine letzte Sitzung des alten Gremiums geplant: am 22. Juli.
Es bleibt abzuwarten, welche Maßnahmen der Aufsichtsrat aus den Ergebnissen der Compliance-Untersuchung ableiten wird. Auch deshalb, weil dieses Gremium am Ende des Tages die Frage der Verantwortung für das Geschehene beantworten muss.
+++In einer früheren Textfassung hatten wir geschrieben, dass der Aufsichtsrat seine Entscheidungen auch dem Gesellschafter, also dem Gemeinderat, erläutern und Zustimmung einholen müsse. Das sei nicht zutreffend, teilt die Stadt mit: „Es ist weder rechtlich notwendig noch vorgesehen, dass der Aufsichtsrat seine Entscheidung dem Gesellschafter bzw. einem der Gesellschafter – das Klinikum hat bekanntlich zwei Gesellschafter – erläutern oder eine Zustimmung einholen muss.“ Es gelte die Zuständigkeitsverteilung zwischen Geschäftsführung, Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung gemäß des Gesellschaftsvertrags.+++