Ein Freitagmorgen, die Grundschüler der Albert-Merglen-Schule in Friedrichshafen sind in ihren Klassenzimmern. An den Türen stehen die Namen: Fatma, Yasir, Marco, Tim, Ugur – so verschieden wie die Heimat der Großeltern oder Eltern der Kinder. „Wir sind hier multikulti“, sagt Anke Beck, die im Sommer die kommissarische Schulleitung für die dreizügige Grundschule mit 180 Kindern am Rande der Heinrich-Heine-Siedlung übernommen hat. Ein Provisorium, gebaut in den 1960ern zwischen Franzosensiedlung und Großindustrie. Und viel zu klein für die vielen Kinder, die im Schulbezirk, der bis zum See runter nach Hofen reicht, aufwachsen.

Die Viertklässler der Albert-Merglen-Schule werden nichts mehr von einem neuen Schulhaus haben. Aber sie haben Geschwisterkinder, die ...
Die Viertklässler der Albert-Merglen-Schule werden nichts mehr von einem neuen Schulhaus haben. Aber sie haben Geschwisterkinder, die nachkommen. | Bild: Wienrich, Sabine

Kein Platz für gebundene Ganztagsschule

Da längst nicht mehr alle Kinder aufgenommen werden können, fährt bereits ein Teil zur Pestalozzi-Schule in die Nordstadt. „Eigentlich haben wir seit 2008 die Zulassung für eine gebundene Ganztagsschule“, erklärt Beck, „aber wir platzen aus allen Nähten und haben überhaupt keine Räume, um das Konzept umsetzen zu können.“ Fachräume, wie ein Musikzimmer oder einen Kunst- und Werkraum, gibt es längst nicht mehr. Alle Räume sind doppelt oder dreifach belegt, als Klassenzimmer, Besprechungsräume, nachmittags dann für die Betreuung. Bei einer Schulhausführung wird schnell deutlich: Hier brennt die Hütte. Und das nicht erst seit gestern.

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Dass eine neue Schule her muss, ist längst beschlossene Sache. Anfang 2020 – also kurz vor Pandemiebeginn – fasste der Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss. Doch ein Jahr später wurde klar: Die Frage um den richtigen Standort wird zum Politikum. Die Verwaltung priorisierte das Flurstück 543, die „Erweiterungsfläche Friedhof“.

Die Erweiterungsfläche hinter dem Friedhof ist der Favorit der Verwaltung für einen Neubau der Albert-Merglen-Schule. Doch die Fläche ...
Die Erweiterungsfläche hinter dem Friedhof ist der Favorit der Verwaltung für einen Neubau der Albert-Merglen-Schule. Doch die Fläche ist aktuell von Bauer Wolpold gepachtet – und der sieht seinen Hof und die Umwelt in Gefahr, wenn auf der grünen Wiese gebaut wird. | Bild: Wienrich, Sabine

Der priorisierte Standort ist eine grüne Wiese an der Montafonstraße im Besitz der Stadt, also vergleichsweise schnell bebaubar. 2,4 Hektar Land, derzeit gepachtet vom Ökobauern Wolpold von der Schätzlesruh. Der wiederum sieht sich bei einer Kündigung des Vertrags in seiner Existenz bedroht – und startete eine Petition „Schützt die Schätzlesruh“, die binnen kurzer Zeit über 3000 Unterzeichner fand.

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Zwei Fraktionen – das Netzwerk für Friedrichshafen, für die Biohof-Nachfolger Simon Wolpold im Gemeinderat sitzt, und Bündnis 90/Die Grünen – stellten im Herbst 2021 Anträge zur Überprüfung anderer Möglichkeiten für den Schulneubau. Während das Netzwerk ein dreistöckiges Schulgebäude am bisherigen Standort priorisiert, regten die Grünen an, der angrenzenden MTU den Parkplatz abzukaufen. Laut Stadtverwaltung sind beide Vorschläge derzeit in der Prüfung. Heute, zwei Jahre nach dem Grundsatzbeschluss, gibt es also zwar Ideen, aber keine Entscheidung. Das geht in diesem Fall zu Lasten der Kinder.

„Für die Belange von Kindern gibt es keine Lobby.“
Steffen Rooschüz, Geschäftsführender Schulleiter

„Für die Belange von Kindern gibt es keine Lobby“, stellt Steffen Rooschüz, Geschäftsführender Schulleiter der Häfler Schulen, leicht resigniert fest. „In einem Schulbezirk wie diesem treten Eltern nicht an Gemeinderäte heran und bitten um Hilfe.“ Seine große Sorge sind endlose Debatten, weitere Vertagungen, Gutachten, Petitionen – und damit eine weitere Verzögerung des ohnehin schon langwierigen Prozesses. „Hier muss einfach dringend eine Entscheidung für die kommende Schülergeneration gefällt werden“, sagt Rooschüz.

Das ist der Sozialraum der Albert-Merglen-Schule, einst war er Musikraum. Fachräume für Kunst, Werken, Musik gibt es aus Platzgründen an ...
Das ist der Sozialraum der Albert-Merglen-Schule, einst war er Musikraum. Fachräume für Kunst, Werken, Musik gibt es aus Platzgründen an der Schule nicht. „Die Kinder haben hier ihr Sozialtraining“, erklärt Schulleiterin Anke Beck, „wir haben viele Kinder mit Bedarf.“ | Bild: Wienrich, Sabine

Platzproblem ist während der Pandemie akuter denn je

Gerade jetzt, nach monatelangem Distanzunterricht und zu Zeiten von komplizierter Kohorten-Regelungen, ist das Platzproblem akuter denn je. „Im ehemaligen Musikraum findet das Sozialcurriculum statt“, sagt Beck und zeigt auf die roten Sesselchen. Sozialtraining, gewaltfreie Kommunikation – das seien Themen, die wichtig sind für die Kinder ihrer Schule. Viele Kinder bräuchten jetzt Hilfestellung, beispielsweise in Form von separater Förderung. „Das geht dann nur in ganz kleinen Zeitfenstern, denn sonst gibt es überhaupt keine Räume, wo sich Sozialarbeiter oder Integrationskräfte um Kleingruppen oder einzelne Schüler kümmern können“, erklärt Schulleiterin Beck. Eigentlich sollte die Schule bereits im Frühjahr Container auf den Lehrerparkplatz bekommen, die das Platzproblem lindern sollten. Doch die wurden von der Stadt abgesagt. Solange es keine Entscheidung zum Neubau gibt, gibt es auch keine Container. Die Stadt teilt auf SÜDKURIER-Anfrage mit, das Thema noch im Frühjahr erneut in die Gremien bringen zu wollen.

Links die Albert-Merglen-Schule, dahinter die MTU. Um den Standort des Neubaus der Schule, der dringend benötigt wird, ist ein Streit ...
Links die Albert-Merglen-Schule, dahinter die MTU. Um den Standort des Neubaus der Schule, der dringend benötigt wird, ist ein Streit entbrannt. | Bild: Wienrich, Sabine

Kühe, Klimaschutz oder Kinder? Zielkonflikt Bodennutzung

Klar ist: Der bisherige Standort in der Heinrich-Heine-Straße 22 bietet nur begrenzt Platz – auch wenn dort, wie vom Netzwerk vorgeschlagen, ein Neubau entstehen sollte. Im Moment spielen die Kinder auf einem asphaltierten Schulhof, der ihnen gleichzeitig als Sportplatz dient. Grünflächen gibt es hier nicht, die Bewegungsmöglichkeiten sind also eingeschränkt. „Mit einem dreistöckigen Gebäude, das vielleicht noch einen größeren Baukörper benötigt, wird die Freifläche noch knapper“, gibt Rooschüz zu Bedenken. Schulleiterin Beck nickt: „Ja, rein aus pädagogischer Sicht wären mehr Platz und Raum natürlich gut.“

Beide Pädagogen fanden den Vorschlag der Verwaltung perfekt, auf der Erweiterungsfläche Friedhof neu zu bauen. „Man muss sich hier schon fragen: Kühe oder Kinder? Was ist uns wichtiger? Nur weil es jetzt große Widerstände gibt, sollte man diese Fläche nicht ausschließen“, sagt Steffen Rooschüz. Die Schüler müssten bei einem Bau am bisherigen Standort mit deutlichen Einschränkungen leben, auch wenn dieser im bisherigen Sozialraum liegen würde.

Die Mensa ist ein Provisorium. „Cook and Chill“ wie in anderen Schulen ist nicht möglich, denn das Essen kann hier nicht ...
Die Mensa ist ein Provisorium. „Cook and Chill“ wie in anderen Schulen ist nicht möglich, denn das Essen kann hier nicht zubereitet werden, da eine richtige Küche fehlt. 110 Kinder essen hier täglich gestaffelt zu Mittag. | Bild: Wienrich, Sabine

Auf der anderen Seite steht das große und wichtige Thema Klimaschutz. „Die Schüler protestieren freitags für den Klimaschutz und die alten weißen Herren wollen auf der grünen Wiese bauen“, sagte Ida Wolpold, Frau von Simon Wolpold, im Sommer 2021 im Gespräch. Laut Stadtbiotopkartierung ist die Freifläche hinter dem Friedhof Teil der grünen Lunge der Stadt und wichtig für das Stadtklima, da sie inmitten einer Luftleitbahn liegt. Diese Problematik sieht auch Steffen Rooschüz, allerdings plädiert er hier für eine Grundsatzentscheidung: „Dann muss grundsätzlich geklärt werden, dass auf wichtigen Grünflächen der Stadt aus Klimaschutzgründen gar nicht mehr gebaut wird.“ Wenn die Albert-Merglen-Schule nun nicht zum Zug käme, das Grundstück dann aber in ein paar Jahren an einen Investor ginge, wäre das bitter.

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