Nach knapp zehn Monaten hat die Polizei ihre Ermittlungen zu den Vorwürfen am Klinikum Friedrichshafen vorerst abgeschlossen. „Die Akten sind vor Weihnachten bei uns eingegangen“, erklärt Oberstaatsanwältin Christine Weiß auf Anfrage unserer Zeitung.
Es geht um den Verdacht ärztlicher Fehlbehandlungen. „Hierbei kommen die Tatbestände der Körperverletzung, unterlassenen Hilfeleistung und fahrlässigen Tötung in Betracht“, teilte die Staatsanwaltschaft Ravensburg im März 2024 mit. Die Vorfälle wurden öffentlich, nachdem die Oberärztin Elke Küßner nach Suizid am 1. Dezember 2023 verstorben war. Sie hatte zuvor wiederholt intern auf Missstände hingewiesen, die sogar Patienten das Leben gekostet haben sollen.
Verfahren wegen Abrechnungsbetrug läuft noch
Die Staatsanwaltschaft Ravensburg leitete im März 2024 ein Ermittlungsverfahren zunächst gegen fünf Mediziner ein, darunter einen Chefarzt des Krankenhauses. Bei einer Durchsuchung im Klinikum wurden Beweismittel, vor allem elektronische Daten, sichergestellt. Mit dem Fall befasst sich seither die Ermittlungsgruppe „Cura“ bei der Kriminalpolizei Friedrichshafen. Gegen zwei Beschuldigte wurde das Verfahren zwischenzeitlich eingestellt. Abgetrennt davon ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen des Verdachts auf Abrechnungsbetrug, den die AOK für mehrere Krankenkassen angezeigt hat.
Wie geht es jetzt weiter? Zunächst konfrontiert die Staatsanwaltschaft die Beschuldigten mit den Ergebnissen der polizeilichen Ermittlungen. Die Anwälte bekommen also Post und damit Akteneinsicht. Sie erhalten voraussichtlich bis Ende März Gelegenheit zur Stellungnahme, erklärt Oberstaatsanwältin Christine Weiß. Sollten dann keine Nachermittlungen nötig sein, werde die Staatsanwaltschaft wohl im zweiten Quartal dieses Jahres das Ermittlungsverfahren beenden und dann entscheiden, ob Anklage erhoben wird. Nach wie vor gilt die Unschuldsvermutung für alle Beteiligten.

Ermittlungen nach Strafanzeige der Schwester eingestellt
Ein zweites Ermittlungsverfahren gegen den Chefarzt der Klinik hat die Staatsanwaltschaft Ravensburg zwischenzeitlich eingestellt, und zwar mangels öffentlichen Interesses. Gegen ihn wie auch gegen den damaligen Geschäftsführer der Klinikum Friedrichshafen GmbH, Franz Klöckner, lag eine Strafanzeige der Zwillingsschwester der Oberärztin, Bettina Oertel, wegen Körperverletzung, Nötigung, Verleumdung und übler Nachrede vor. „Wir konzentrieren uns in diesem Fall auf die schwerwiegenden Vorwürfe“, begründet Oberstaatsanwältin Weiß die Einstellung des Verfahrens Mitte November 2024 auch mit den personell zur Verfügung stehenden Ressourcen.
Die Erben von Elke Küßner seien auf den Privatklageweg verwiesen worden, so die Staatsanwaltschaft. Das heißt, sie können direkt beim zuständigen Amtsgericht einen Strafantrag gegen den Chefarzt und den Geschäftsführer stellen. Allerdings nur für Fälle im Zeitraum September 2023 bis zu ihrem Tod. Für alle Vorkommnisse davor hätte die Oberärztin selbst Anzeige erstatten müssen, was sie aber nicht getan habe.
Kritik an Entscheidung der Staatsanwaltschaft
Diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft Ravensburg sei „nicht nachzuvollziehen“, kommentiert der Kreisvorsitzende der Partei Freie Wähler, Thomas Schalski, der auch für den Bundestag kandidiert. Der Verweis auf den Privatklageweg heiße nichts anderes, als dass die Staatsanwaltschaft kein öffentliches Interesse an der Verfolgung der Straftat sehe.
„Da mobbt vermutlich ein Chefarzt eine Ärztin, weil diese Missstände aufdeckt und aufgrund dieses Drucks vonseiten der Klinik sich suizidiert, und die Staatsanwaltschaft sieht kein öffentliches Interesse an der Verfolgung dieser Straftaten“, so Schalski in einer Pressemitteilung. Er halte das „fatal für das subjektive Rechtsempfinden der Bürger“. Es entstehe der Eindruck, dass bestimmte Personen nicht angreifbar seien und nicht alle vor dem Gesetz gleich. Dazu zähle für ihn auch der Vergleichsvorschlag vor dem Arbeitsgericht, der „Gott sei Dank“ von der Stadt abgelehnt worden sei.
Kündigung wird jetzt vor Gericht verhandelt
Der Chefarzt erhielt die Kündigung und klagte dagegen. Im Dezember hatte der Aufsichtsrat des Klinikums erst einem Vergleichsentwurf zugestimmt, wonach der Chefarzt bis 2031 unter Freistellung weiterbeschäftigt werden und dafür Gehaltszahlungen von insgesamt 2,2 Millionen Euro erhalten sollte. Zehn Tage später kassierte der Aufsichtsrat seinen Beschluss und entschied dann, einem Vergleich nicht zuzustimmen. Damit werde das Verfahren nun vor dem Arbeitsgericht weitergeführt, informierte der Aufsichtsratsvorsitzende, OB Simon Blümcke, nach der Sitzung am 20. Dezember.
Hilfe bei Suizidgedanken: Haben Sie Suizidgedanken? Die Telefonseelsorge leistet Hilfe. Sie ist anonym und unter den kostenfreien Rufnummern 0800 1110111 und 0800 1110222 rund um die Uhr erreichbar; Chat: online.telefonseelsorge.de. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: www.suizidprophylaxe.de