Nicole Dathe ist enttäuscht. „Wieder sind Kinder die großen Verlierer“, sagt die Gesamtelternbeiratsvorsitzende für Kitas in Friedrichshafen, „die pauschale Schließung der Kitas ist keine angemessene Maßnahme im Kampf gegen diese Pandemie.“ So wie viele andere Häfler Eltern hatte die zweifache Mutter auf eine Öffnung ab 18. Januar gehofft, wie von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) angeregt. Doch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Grüne) erteilte dem Vorschlag mit Verweis auf die nach wie vor hohen Infektionszahlen eine klare Absage: Die Kitas und Grundschulen bleiben zu – mit Ausnahme der Notbetreuung für Kinder berufstätiger Eltern.

Nicole Dathe ist Mutter von zwei kleinen Kindern – und findet die Entscheidung der Landesregierung „inakzeptabel“.
Nicole Dathe ist Mutter von zwei kleinen Kindern – und findet die Entscheidung der Landesregierung „inakzeptabel“. | Bild: Cuko, Katy

Für Dathe ist diese Entscheidung „inakzeptabel“: „Aktuelle Zahlen des Landesgesundheitsamts belegen erneut, dass kleine Kinder weit unterdurchschnittlich am Pandemiegeschehen beteiligt sind“, erklärt Dathe, „und trotzdem werden ihre Bedürfnisse nach sozialen Kontakten, ihr Recht auf Bildung und Schutz nun in Baden-Württemberg komplett missachtet.“

Nur wenige Kitakinder waren infiziert

Tatsächlich verzeichnen auch die Friedrichshafener Kitas seit den Sommerferien – trotz steigender Gesamtzahlen in der Stadt – nur ein geringes Infektionsgeschehen. Laut Stadtverwaltung gab es in allen Einrichtungen insgesamt neun positiv getestete Kinder, macht eine Infektionsrate von gerade mal 0,03 Prozent. Zudem waren neun pädagogische Kräfte infiziert und ein Elternteil erschien mit Covid-19-Infektion zur Eingewöhnung.

In den Schulen nur vereinzelt Fälle

Auch in den Häfler Schulen blieb es vergleichsweise ruhig. Insgesamt wurden laut Verwaltung 33 Schüler, sieben Lehrkräfte, zwei Betreuungskräfte und drei Verwaltungsmitarbeiter aus dem Schulumfeld positiv getestet. Davon nur rund sechs Fälle an Grundschulen. Noch Ende November lehnte Bürgermeister Andreas Köster eine flächendeckende Ausstattung der Schulen und Kitas mit Lüftungsfiltern mit Hinweis auf die „geringe Auffälligkeit im Pandemiegeschehen“ und die „guten Hygienekonzepte“ ab.

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Mehr Kinder in der Notbetreuung als im Frühjahr

Bereits in der ersten Woche nach den Schulferien wurden laut Stadtverwaltung an einigen Tagen in Friedrichshafen über 920 Kinder betreut, davon über 660 in Kitas. Von insgesamt rund 2900 Kitakindern gehen also derzeit 23 Prozent in ihre Einrichtungen. In den Schulen sind aktuell rund 250 Kinder in der Notbetreuung, vorwiegend im Grundschulbereich. „Vor allem für die Grundschulen ist das schon ein Spagat zwischen Notbetreuung und Fernunterricht, allerdings arbeiten die Lehrkräfte hier wiederum mit Lernpaketen und machen keinen Online-Unterricht nach Stundentafel“, erklärt Steffen Rooschüz, Geschäftsführender Schulleiter der Häfler Schulen. So stünden genügend Lehrkräfte für die Notbetreuung vormittags in den Schulen bereit, nachmittags übernehmen die Erzieher des Betreuungsvereins.

Kitas sind bislang keine Infektionsschwerpunkte. Das bestätigt Robert Schwarz, Pressesprecher des Landratsamtes Bodenseekreis. Hier ...
Kitas sind bislang keine Infektionsschwerpunkte. Das bestätigt Robert Schwarz, Pressesprecher des Landratsamtes Bodenseekreis. Hier spielen zwei Kinder im Tettnanger Kindergarten Martin-Luther. | Bild: Kindergarten Martin-Luther

Er rechnet damit, dass in den kommenden Tagen auch an den Schulen mehr Notbetreuungsanträge eingehen. „Da in der ersten Phase des Lockdown letztes Jahr nur die systemrelevanten Kinder betreut wurden, sind erst die Zahlen ab der erweiterten Notbetreuung im April vergleichbar. Wir haben gegenüber dem ersten Lockdown im März jedoch eine erhebliche Steigerung“, berichtet Stadtsprecherin Andrea Kreuzer. Das liege vor allem daran, dass die Regeln im Gegensatz zum ersten Lockdown im März gelockert worden seien – und beispielsweise Homeoffice nicht mehr als Möglichkeit der Kinderbetreuung zählt. Zudem

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„Das ist zunächst mal gut und richtig so“, sagt Elternvertreterin Nicole Dathe, „allerdings befördert es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Kinder, der ohnehin privilegierten Doppelverdiener-Eltern können also jetzt weiter in die Kita gehen, während Kinder aus prekären Verhältnissen zuhause bleiben müssen. Das ist für viele verheerend.“

Große Unterschiede in den Einrichtungen

Dieses Bild zeichnet sich auch in den Häfler Kitas und Schulen ab: während beispielsweise Einrichtungen in sozial schwächeren Gegenden im Innenstadtbereich eher wenig Kinder in den Notbetreuungen haben, sind besonders Ganztagskitas und – Schulen, beispielsweise im Häfler Westen, bereits nach vier Wochen Schließung gut gefüllt. „Kinder brauchen andere Kinder“, sagt Dathe, „und es gibt ein Recht auf Bildung.“ Auch Schulleiter Steffen Rooschüz bereitet die Situation der Schulen „große Bauchschmerzen“: „Wir haben mittlerweile ja fast ein Jahr, das aufgearbeitet werden muss und zwar sowohl was Lerninhalte angeht, als auch was die Entwicklung der Kinder betrifft.“

Das fordert die Landeselternvertretung baden-württembergischer Kindertageseinrichtungen (LEBK-BW)

  • Differenzierung zwischen Kitas und Schulen: „Die Pandemie wird auf dem Rücken der kleinen Kinder ausgetragen“, sagt Maria Tiede vom LEBK, „und es wird immer noch nicht nach dem Alter der Kinder differenziert, obwohl man weiß, dass Kinder unter zehn Jahren weniger betroffen sind.“
  • Schließung nicht von Inzidenzen abhängig machen: „Wenn beispielsweise Pflegeheime stark betroffen sind, sollten nicht im Rückschluss Kitas geschlossen bleiben“, so Tiede. Bisher gebe es kein verlässliches Monitoring über das eigentliche Ausbruchsgeschehen in Kitas, das müsse aber dringend stattfinden, um die Situation überhaupt beurteilen zu können.
  • Rahmenbedingungen verbessern: Bereits vor Weihnachten hatte der LEBK ein umfassendes Konzept zur Öffnung von Kitas vorgelegt, das unter anderem eine Teststrategie und die Ausstattung mit Masken für Erzieher vorsieht. Zudem sollten Erzieher nach Meinung der Elternvertreter bei Impfungen bevorzugt werden.
  • Öffnung darf kein Wahlkampfthema sein: „All das Streiten hilft niemanden, jetzt geht es darum gemeinsam konstruktive Lösungen für die Kinder zu finden“, so Tiede.
  • Kitagebühren müssen ausgesetzt werden: Solange Kinder nicht in Kitas können, sollten die Eltern auch keine Gebühren bezahlen, meint der LEBK. In Friedrichshafen wurden die Gebühren im Frühjahr ausgesetzt und mussten nur von Familien bezahlt werden, die Notbetreuung genutzt haben. Aktuell bezahlen die Familien weiter. „Wir richten uns da nach den Empfehlungen des Städtetags und warten auf eine landesweite Entscheidung“, erklärt Stadtsprecherin Andrea Kreuzer.