Nicht jeder Bauwillige in Friedrichshafen bekommt persönlich Post vom Oberbürgermeister. Schon gar nicht, wenn es sich um eine schnöde Bauvoranfrage für ein Einfamilienhaus handelt. Das ist Tagesgeschäft des Baudezernats. In diesem Fall war der Bescheid aus dem Technischen Rathaus negativ: Das Grundstück an der Taldorfer Straße in Ettenkirch liegt im Außenbereich, stellte das Stadtplanungsamt fest – also kein Baurecht. Deshalb verweigerte der Ettenkircher Ortschaftsrat auch zwei Mal seine Zustimmung, zuletzt im Oktober 2017.
Was danach – höchst Ungewöhnliches – geschieht, lässt sich anhand dieses Briefes von Andreas Brand vom 5. Februar 2018, der unserer Redaktion vorliegt, gut rekonstruieren. Demnach empfing der OB die Ettenkircher Familie ein paar Tage vorher am 24. Januar zum „persönlichen Gespräch“. Danach hat Brand das Vorhaben noch einmal innerhalb der Verwaltung thematisiert. „Wir sind zu dem abschließenden Ergebnis gekommen, dass ... aus Sicht der Stadt eine positive Entscheidung möglich ist“, heißt es in dem Brief.
Was das bedeutet, erklärt der OB der Familie so: Das Bauordnungsamt, geleitet von Beate Morlock, werde nun eine erneute Stellungnahme des Stadtplanungsamtes einholen. Und: „Hier wird eine positive Beurteilung nach Paragraf 34 BauGB erfolgen.“ Damit verschob Andreas Brand de facto das Grundstück baugesetzlich vom Außen- in den Innenbereich. Mit der Neubeurteilung müsse die Bauvoranfrage aber noch einmal in die Anhörung bei der Ortsverwaltung und auch im Landratsamt. Formsache, so der OB, der dann „von positiven Stellungnahmen“ ausging.
„Wir sind im Ortschaftsrat aus allen Wolken gefallen.“Franz Bernhard, Ortschaftsrat in Ettenkirch und CDU-Gemeinderat
Doch so geschmeidig wie gewünscht ging die Bausache dann doch nicht durch. Ganz im Gegenteil: Zuerst rebellierte der Ortschaftsrat in Ettenkirch, der die Bauvoranfrage am 21. Februar schon wieder, also zum dritten Mal, auf den Tisch bekam. Nun lag das Grundstück plötzlich im Innenbereich, womit Baurecht zu erteilen ist. „Wir sind im Ortschaftsrat aus allen Wolken gefallen“, erklärte CDU-Gemeinderat Franz Bernhard, der auch in Ettenkirch am Ratstisch sitzt, im Juli 2019 unserer Zeitung. Der Ortschaftsrat verlangte daraufhin von der Verwaltungsspitze eine Erklärung, wie es zu dieser Neubeurteilung des Baurechts gekommen war, mit Beschluss vom 7. März sogar schriftlich. Ohne Erfolg.

Aber auch im Technischen Rathaus spielten die Mitarbeiter offensichtlich nicht so mit wie vom OB gewünscht. Denn jener Brief an die Ettenkircher Familie tauchte dort vier Monate später auf, versehen mit einer handschriftlichen Notiz und der Unterschrift von Andreas Brand. „Das Planungsamt wird angewiesen so zu verfahren“, darunter das Datum vom 13. Juni 2018. Mit anderen Worten: Das Stadtplanungsamt musste wie im Brief beschrieben – dem Bauordnungsamt nun die „positive Beurteilung“ und damit letztlich Baurecht für das Grundstück liefern. Bis dahin hatte sich wohl keiner gefunden, der dafür den Kopf hinhalten wollte. Doch einer Anweisung des Oberbürgermeisters darf sich kein Mitarbeiter im Rathaus widersetzen.

Andreas Brand bestreitet das laut Stellungnahme der Pressestelle: „Weder in der Bauakte noch in der Akte zum Bauvorbescheid gibt es eine Anweisung des Oberbürgermeisters“, heißt es darin. Das wäre nachvollziehbar, wenn das OB-Schreiben in der Akte nicht drin ist. Eingeräumt wird vom Rathaus lediglich, dass „das Einvernehmen zwischen Planungsamt und Bauordnungsamt nach Rücksprache mit dem OB hergestellt“ wurde. Und: „Hierzu gibt es eine handschriftliche Notiz des Oberbürgermeisters an das Planungsamt.“ Eine Notiz jedoch, die laut Dokument zweifelsfrei eine klare Anweisung ist.
Baugenehmigung binnen sechs Wochen
Danach ging alles schnell: Kein vier Wochen später, am 9. Juli 2018, erhielt die Ettenkircher Familie vom Bauordnungsamt den positiven Bauvorbescheid – und damit den Persilschein für ihr Einfamilienhaus. Denn auf dieser Grundlage konnte der Ortschaftsrat in Ettenkirch nicht mehr anders, als am 17. Oktober den Bauantrag zu genehmigen. Nicht mal zwei Wochen danach bekam die Familie ihre Baugenehmigung für das Häusle mit Doppelgarage an der Taldorfer Straße.
„Dies bedeutet, dass die von der Stadt Friedrichshafen auf der Basis von § 34 BauGB erteilte Baugenehmigung rechtswidrig ist.“Aus der Stellungnahme des Regierungspräsidiums Tübingen
Doch diese Baugenehmigung war „rechtswidrig“, stellt das Regierungspräsidium (RP) Tübingen fest. Dass der Vorgang geprüft wird, hatte die Rechtsaufsichtsbehörde im Juli 2019 wenige Tage nach dem SÜDKURIER-Beitrag veranlasst. Laut dieser Prüfung wurde festgestellt, „dass sich besagtes Grundstück im Außenbereich befindet“ und folglich nach Paragraf 35 Bau-Gesetzbuch zu beurteilen war. Also exakt so, wie es das Stadtplanungsamt rechtlich eingeordnet hatte.
Trotzdem sieht das RP keine Notwendigkeit, als Fachaufsicht einzuschreiten. Begründet wird das zuerst damit, dass sich die Stadt „mit den maßgeblichen Kriterien vor Erteilung der Genehmigung auseinandergesetzt und auch fachanwaltlichen Rat eingeholt hat“. Auf Nachfrage erklärt Dirk Abel, Pressesprecher der Tübinger Behörde, dass OB Brand am 22. Januar 2018 mit der Stuttgarter Kanzlei Eisenmann Wahle Birk diesbezüglich telefoniert und mündlich Auskunft zum Ergebnis der rechtlichen Prüfung eingeholt habe. Das war zwei Tage, bevor die Familie aus Ettenkirch ihren persönlichen Termin mit dem OB hatte.
Regierungspräsidium hält Einschreiten für „nicht notwendig“
Konsequenzen habe das Ganze auch deshalb nicht, weil der Ortschaftsrat dem Bauvorhaben zugestimmt habe. Dass das notgedrungen im dritten Anlauf geschah, weil das Baudezernat die planungsrechtliche Beurteilung ändern musste, erwähnt das RP hingegen nicht. Und weil das Einfamilienhaus bereits gebaut ist, sei eine „mögliche Rücknahme der Baugenehmigung“ und der Erlass einer Abbruchverfügung „unverhältnismäßig und rechtlich kaum durchsetzbar“.
Bleibt die Frage, warum sich Oberbürgermeister Andreas Brand in dieser Angelegenheit überhaupt dafür eingesetzt hat, dass die Ettenkircher Familie – dank einer letztlich rechtswidrigen Baugenehmigung – ihr Häusle bauen kann. Hat der OB kein Vertrauen in die Fachkompetenz seiner Mitarbeiter? Denn die Einschätzung des Planungsamts war völlig korrekt, wie die Fachaufsichtsbehörde nun bescheinigt.
Auf Anfrage erklärt das Rathaus, dass bei baurechtlichen, anspruchsvollen und besonders diffizilen Fällen seit 2009 „etwa fünf Mal“ externer Rat in Anspruch genommen wurde. Was an diesem Fall besonders diffizil gewesen sein soll, erschließt sich jedoch nicht. Seit 2016 gilt in Ettenkirch eine vom Gemeinderat beschlossene Klarstellungssatzung, die klar abgrenzt, wo baurechtlich der Innenbereich endet. Das Grundstück an der Taldorfer Straße wurde dem Außenbereich zugeordnet.