Trauer, Wut, Entsetzen. Was in den vergangenen beiden Wochen rund ums Klinikum Friedrichshafen öffentlich wurde, ist mit Worten kaum mehr zu beschreiben. Wohin man hört, herrschen Fassungslosigkeit und Unverständnis. Wie groß der bislang schon angerichtete Schaden ist, lässt sich an der Haltung eines Bürgers erahnen: Er hat schriftlich verfügt, bei einem Notfall nicht ins Häfler Krankenhaus eingeliefert zu werden. Das ist eine vielleicht nicht ganz rationale Entscheidung, aber sie zeigt, wie sehr das Vertrauen in die medizinische Versorgung gelitten hat.
Die bekannt gewordenen Vorwürfe und der Tod der ehemaligen Oberärztin hätten eigentlich alle Verantwortlichen alarmieren und zum sofortigen Handeln auffordern müssen. Doch die bisherigen Reaktionen sind enttäuschend. Auf die Forderung von Betriebsrat, Ärzten und Pflegepersonal nach schneller Aufklärung noch vor Weihnachten reagiert der Aufsichtsrat mit der Ankündigung, eine Kanzlei solle bis Ende März die interne Aufarbeitung der tatsächlichen Abläufe abgeschlossen haben. Wo dringende Eile geboten wäre, scheinen Aufsichtsrat und Geschäftsführung auf Zeit zu spielen. Mit welchen Maßnahmen die Aufarbeitung erfolgen soll, bleibt ebenso offen, wie der genaue Zeitplan. Dazu werde zeitnah informiert, heißt es lapidar am Ende einer Mitteilung an die Belegschaft.
Beteiligte werden vertröstet
Dabei hatten die Mitarbeiter konkrete Antworten und Schritte erwartet. Stattdessen werden sie wieder vertröstet. Noch in dieser Woche kritisierte der Betriebsrat die bisherige Form der Aufarbeitung. Zudem bleibt die Geschäftsführung weiter eine Stellungnahme und Erklärung zu den öffentlich bekannt gewordenen Vorwürfen schuldig. In der Mitteilung nach der mehrstündiger Sondersitzung des Aufsichtsrates drücken zwar die Unterzeichner Franz Klöckner und Andreas Brand ihr Bedauern über die gegenwärtige Situation aus, weil dadurch das Vertrauen ins Klinikum erschüttert worden ist. Ein Eingeständnis von Fehlern wird jedoch vermieden. Dafür betonen Geschäftsführung und Aufsichtsrat, dass sie nicht nur Vorverurteilungen und das Verbreiten von Gerüchten missbilligen, sondern auch die Weitergabe von internen Informationen.
Für manchen Klinikmitarbeiter mag das wie ein weiterer Schlag ins Gesicht wirken. Gebrandmarkt wird nicht ein möglicher Schuldiger, sondern derjenige, der sich traut, Missstände anzusprechen. Ohne die mutigen Menschen, die den Mund aufgemacht haben und ohne Journalisten, die den Vorwürfen nachgehen, wäre der Fall nie ans Licht gekommen. Seit den ersten Veröffentlichungen melden sich immer mehr Menschen zu Wort und schildern ihre Erlebnisse im Häfler Krankenhaus.
Auch unsere Redaktion erhält Berichte von Patienten und Angehörigen über mangelhafte Behandlungen und einen unwürdigen menschlichen Umgang, teils sogar schriftlich versichert. Unter Klinik-Mitarbeitern ist die Angst riesig und sitzt tief. Das alles wirft kein gutes Bild auf den Medizin Campus Bodensee. Längst ist nicht alles an der Oberfläche. Aber auch so ist der Imageschaden für die Stadt schon jetzt gravierend.
Schaden wird noch größer
Und der Imageschaden wird angesichts des mangelhaften Krisenmanagements noch größer. Vor diesem Hintergrund ist der lange Zeitraum bis zu einer möglichen Aufklärung Ende März unverständlich. Es wirkt, als setzten Geschäftsführung und Aufsichtsrat darauf, dass sich die Öffentlichkeit nach der turbulenten Woche schon beruhigen werde. Aber das wird nicht passieren. Am Ende liegt es an Oberbürgermeister Andreas Brand als Aufsichtsratsvorsitzendem, seinen Bürgern zu erklären, wie verloren gegangenes Vertrauen in die medizinische Versorgung am Häfler Klinikum zurückgewonnen werden soll. Und es liegt auch an Brand zu begründen, wie dies mit der bestehenden Klinikleitung gelingen soll.
Dabei sind die Vorwürfe seit Monaten bekannt. Es wäre Zeit genug gewesen zu handeln – sowohl in der Geschäftsführung als auch im Aufsichtsrat. Seiner Kontrollfunktion muss der Aufsichtsrat mit OB Brand als Vorsitzendem jetzt nachkommen. Es wird lange Jahre dauern, bis das Ansehen des Medizin Campus wieder verbessert werden kann. Glaubhaft gelingen mag es nur mit personellen Konsequenzen, also neuem Personal an der Spitze. Denn im Moment leiden alle Mitarbeiter im Klinikum darunter, dass dem Haus Missmanagement unterstellt wird. Die vielen Menschen, die mit großer Hingabe ihren Dienst zum Wohle der Patienten verrichten, verdienen eine Klinikleitung, der sie vertrauen können.
Nur die Spitze des Eisbergs?
Die bekannt gewordenen Vorwürfe zur Gefährdung des Patientenwohls durch Sparmaßnahmen und nicht ausreichend qualifiziertes Personal mögen keine Einzelfälle und vielleicht auch nur die Spitze des Eisbergs in der deutschen Kliniklandschaft sein. Der Umgang damit macht die Vorkommnisse in Friedrichshafen aber nicht besser. Warum endet die interne Kritik an den Zuständen auf der Intensivstation in einer fristlosen Kündigung und schließlich dem tragischen Tod einer vielgeschätzten Oberärztin? Es ist nicht die einzige offene Frage. Deren Beantwortung und Aufklärung darf nicht verschleppt werden und ohne Konsequenzen bleiben.