Die Kirchen verlieren immer mehr Mitglieder – auch bei uns. Ein in den vergangenen Jahren häufig genannter Beweggrund: Missbrauchskandale. Katholische Bischöfe und engagierte Katholiken stießen 2019 den Synodalen Weg an, um so das Vertrauen der Gläubigen zurückgewinnen. Im März fand die letzte Synodalversammlung in Frankfurt am Main statt. Ist dieser Weg die Lösung aus der Kirchenkrise?

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Die katholische Kirchengemeinde St. Magnus in Fischbach musste im vergangenen Jahr 88 Kirchenaustritte hinnehmen. „Das ist für eine Kirchengemeinde mit 2600 Mitgliedern eine sehr, sehr schmerzhafte Sache“, sagte Pfarrer Michael Benner beim Neujahrsempfang des Stadtteils. Er ist für eine zeitgleiche Aufarbeitung von Missbrauchsfällen, angemessene Zuwendung für die Betroffenen und die Bekämpfung struktureller Probleme, die solche Vorkommnisse begünstigt haben.

Pfarrer Michael Benner ist musikalisch und versteht es die Menschen mit Liedern zu berühren, wie hier beim Neujahrsempfang in Fischbach.
Pfarrer Michael Benner ist musikalisch und versteht es die Menschen mit Liedern zu berühren, wie hier beim Neujahrsempfang in Fischbach. | Bild: Andrea Fritz

Welche Probleme das sind, legt die sogenannte MHG-Studie – von Wissenschaftlern der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen erstellt – dar. „Die Bedingungen, die zu Missbrauch und Vertuschung geführt haben, waren unter anderem Männerbünde, die Überhöhung des Klerus, absolutistische Machtstrukturen und die rigide Sexualmoral in der katholischen Kirche“, sagt Pastoralreferent Philip Heger.

„Vermutlich können wir Kirchenaustritte damit nicht aufhalten“

Gemessen an anfänglichen Hoffnungen sind die Ergebnisse des Synodalen Wegs bescheiden. So werden Frauen auch weiterhin nicht zur Priesterweihe zugelassen. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Ehen von geschiedenen Partnern sollen zwar gesegnet werden dürfen, aber erst in drei Jahren, wenn dies von der Kirche sach- und fachgerecht beurteilt ist, und vorausgesetzt, dass die zuständigen Bischöfe und Pfarrer einverstanden sind.“ Die Segnung für gleichgeschlechtliche Paare, das mache ich ohne Probleme gerne“, sagt Pfarrer Benner auf Nachfrage. Er hat auch ganz zu Beginn des Synodalen Weges die Wünsche seiner Gemeindemitglieder mit einer Kartenaktion erfasst. Als weiteres Ergebnis wurden einige Bitten und Empfehlungen an den Vatikan formuliert, beispielsweise das Zölibat oder die Priesterweihe für Frauen zu überdenken.

Philip Heger ist überzeugt: „Vermutlich können wir die Kirchenaustritte damit nicht aufhalten, aber wir müssen den Nährboden für Missbrauch, Vertuschung, Diskriminierung und Verletzungen trockenlegen, sowie theologische und wissenschaftliche Erkenntnisse endlich anerkennen.“ Der Pastoralreferent fürchtet, dass die Kirche zur Sekte verkommen könnte, wenn der Kontakt zur Gesellschaft verloren geht, auch indem immer mehr gemäßigte Gläubige austreten, und nur ein „heiliger Rest“ übrig bleibt, der zurück in eine gute alte Zeit möchte, die es so nie gab.

Pastoralreferent Philip Heger im vergangenen Jahr bei einer Aktion der Citypastoral in Stuttgart.
Pastoralreferent Philip Heger im vergangenen Jahr bei einer Aktion der Citypastoral in Stuttgart. | Bild: Philip Heger

Was laut Heger für die katholische Kirche revolutionäre Entwicklungen sind, wie die Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt seitens der Bischöfe in Aussprachen oder im kirchlichen Arbeitsrecht, wird in der Gesellschaft zuweilen nur belächelt. Die Kirche tut sich schwer mit Reformen, auch beim Synodalen Weg. So wurde etwa der Grundlagentext zur Sexualmoral eben doch von den Bischöfen abgelehnt. „Das war eine der schmerzhaftesten Erfahrungen beim Synodalen Weg, denn es zeigt, wie viel Macht und Angst da noch im Spiel ist“, sagt Philip Heger, der nach eigenen Angaben fast jede Versammlung online verfolgt hat.

Wer aus der Kirche austritt, ist nicht zwangsläufig ungläubig

Als Pastoralreferent hat der ausgebildete Theologe zwar nicht alle Kompetenzen eines Pfarrers, dafür aber mehr Freiheiten. Diese nutzt er, um Pionierarbeit in Friedrichshafen zu leisten: Er ist für Firmvorbereitung, junge Erwachsene und Cityseelsorge in der ganzen Stadt zuständig, coacht Menschen auf der Suche nach ihrer Berufung, ist in der Notfallseelsorge tätig, bietet Meditationskurse und Auszeiten an und nutzt jede Möglichkeit, um auf Menschen zuzugehen. „Der Valentins-Segen an der Uferpromenade oder das Aschekreuz to go, sind Angebote für Menschen, die nicht unbedingt an Kirche oder Gemeinde angeschlossen sind, die nicht in einen Gottesdienst kommen wollen oder können, die aber trotzdem für einen kleinen Impuls und Zuspruch dankbar sind“, sagt er.

So etwas kommt in Friedrichshafen gut an und wird mit jedem Kirchenaustritt wertvoller, denn wer aus der Kirche austritt, ist zwar von allen kirchlichen Dienstleistungen ausgeschlossen, aber nicht unbedingt ungläubig. Und viele derer, die sich in Folge der Missbrauchsfälle von der Kirche abgewendet haben, haben auch davor kaum noch Gottesdienste besucht und einfach nur die Tiefe zum Glauben verloren.

„Ob der Synodale Weg für die Kirche in Deutschland ein Weg aus der Krise sein kann, wage ich nicht, zu beurteilen“, sagt Schwester Christa-Maria. Die Lehrerin an der Realschule St. Elisabeth in Friedrichshafen zitiert Matthäus 7.16: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Ihr liegt ebenfalls die Erfahrung von Kirche vor Ort, also im Hier und Heute, mehr am Herzen.

Schwester Christa-Maria unterrichtet an der Realschule St. Elisabeth. In ihrer freien Zeit setzt sie sich unter anderem für ...
Schwester Christa-Maria unterrichtet an der Realschule St. Elisabeth. In ihrer freien Zeit setzt sie sich unter anderem für Menschenrechte ein, wie hier beim Amnesty-International-Bücherflohmarkt. | Bild: Andrea Fritz

„Im Religionsunterricht erlebe ich verstärkt eine sehr große Offenheit der Jugendlichen gegenüber Gott und Glaubensthemen. Ihnen geht es nicht um Strukturfragen, sondern um persönliches Angesprochensein und ich glaube, das gilt für Menschen jeden Alters“, sagt sie. Im Mittelpunkt sollte der Mensch stehen, der seinen Glauben leben und feiern will.

Bischof Gebhard Fürst sagte schon vor mehr als 20 Jahren, dass es notwendig sei, kirchliche Mitarbeiter beim Predigtdienst und bei Beerdigungen einzubeziehen. Dass kirchliche Mitarbeiter künftig taufen dürfen – auch Frauen – ist ganz neu. Die ersten Kurse finden in diesem Jahr statt. Im Rottenburger Modell besteht die Gemeindeleitung bereits dialogisch und kooperativ aus ehrenamtlichen Kirchengemeinderäten und dem Pfarrer, welche gemeinsam Beschlüsse fassen.

Bischof Fürst hat auch längst Präventionsmaßnahmen gegen Missbrauch etabliert. „Wir brauchen einen glaubwürdigen Rahmen, mit ebensolchen Verantwortlichen, die aus innerer Überzeugung den Grund des Glaubens verkünden“, sagt Pfarrer Benner. Und Philip Heger drückt es so aus: „Ich glaube, dass es uns gut ansteht, wenn wir unseren Auftrag als Kirche darin sehen, den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.“