Kennen Sie Sophie? Sie ist edlen Geblüts und lebte so um das Jahr 1860. Eigentlich dürfte sie keine gebräunte Haut haben, denn der Hochadel wollte sich früher von der einfachen Bevölkerung abheben und da gehört eine blasse Hautfarbe zum Standesbewusstsein. „Deshalb trug man hoch geschlossene Kleider“, erzählt Sophie. Sie heißt in Wirklichkeit Sibylle Baumann, wohnt in Hattenweiler und hat nicht nur ein ungewöhnliches Hobby, sondern in Heiligenberg auch eine ganz besondere Aufgabe. Da führt sie Besuchergruppen zu sehenswerten Gebäuden. Und sie tut das in Gewändern, wie sie adlige Damen vor rund 160 Jahren trugen. Bemerkenswert: Sie hat die wunderschönen Stücke selbst genäht.
Viele Stunden in das historische Gewand investiert
Wie viele Stunden braucht man für so einen Rock? Die Frage bei einer Führung beantwortet „Sophie“ mit einem Schmunzeln. „Unzählige“, stellt sie fest. Kein Wunder. Hier geht es nicht nur um das Nähen, sondern auch der so genannte „Putz“ muss angebracht werden. Das sind vor allem kleine Perlen. Auch den gekauften Hut peppt sie selbst auf. So was muss frau können. Dabei ist die Ortsführerin keine gelernte Schneiderin, sondern eigentlich Arzthelferin. „Aber meine Mama war Schneiderin und da bekommt man schon was mit“, sagt die Münchnerin, die sich im Linzgau längst beheimatet fühlt. Die 63-Jährige arbeitet in einem Antiquitätengeschäft im Büro und pflegt zusammen mit dem Chef auch die Homepage. „Ohne Internet geht heute nichts“, ist sie überzeugt. Und dort hat sie sich auch ein Headset mit Verstärker gekauft, damit man sie beim Rundgang besser verstehen kann. Denn zu erzählen gibt es eine Menge.
Viele Informationen gibt es auf dem Weg durch den Ort

„Echt toll“, finden die Damen vom Praxisteam der Zahnärztinnen Jutta Bauer und Kathrin Hempel aus Friedrichshafen die Kleidung. Sie machen ihren Betriebsausflug nach Heiligenberg. „Eigentlich wollten wir ja das Schloss besichtigen, aber das ist wegen Corona nicht möglich“, erklärt Bauer. Dann sei man zufällig auf die historischen Ortsrundgänge gestoßen und habe nun einen gebucht. Und das bedeutet eine Stunde voller Informationen, Anekdoten mit Augenzwinkern, und so manchen Blick in die Geschichte, der auch dazu angetan sein könnte, seine Meinung zu ändern.
Erst durch das Schloss wuchs das Dorf
„Heiligenberg ist ein kleiner Ort, der sich erst durch das Schloss so richtig entwickelt hat“, klärt Sophie auf. 1860 hätten hier rund 620 Menschen gewohnt, wovon 64 Bedienstete des Fürsten von Fürstenberg waren. Heute sind es in der Gesamtgemeinde rund 3000 Einwohner. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts habe man den Status als Marktflecken erhalten. Und dass es schon recht früh fließend Wasser und Strom gab. Das habe man dem Fürstenhaus zu verdanken. Dem gehörte praktisch das ganze Land. „Setzte ein Heiligenberger den Fuß vor die Haustür, dann befand er sich auf fürstlichem Gelände“, erzählt die Ortsführerin, die selbst viel recherchieren musste, um sich das Wissen für die Führungen anzueignen. Da war es natürlich ganz praktisch, dass sie auch als Schlossführerin tätig ist. Nur in diesem Jahr wegen Corona eben nicht.
Beginn der Führung ist immer am Sennhof

Die Besuchergruppe begrüßt sie am Eingang vom Sennhof. Der ist heutzutage die gute Stube der Gemeinde, war früher aber eine Sennerei des Fürsten. Und sogar ein kleines Milchhäusle gibt es noch. Die Pizzeria nebendran war die erste Schule, die dann irgendwann in ein neues Gebäude umgezogen ist, das heute als Rathaus dient. Das Gebäude der Künstlergemeinschaft Allerart war ein fürstliches Ökonomiegebäude.
Für die Führerin das schönste Gebäude steht gegenüber dem Rathaus direkt an der Betenbrunner Straße. Im Garten gibt es ein ehemaliges Wasserreservoir, das direkt von der Birkenquelle gespeist wird. Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1630 und wurde als Waschhaus genutzt. Wenn Sibylle Baumann von den Innenräumen erzählt, kommt sie ins Schwärmen. Die Privatbesitzer haben sie einen Blick ins Innere werfen lassen. Sie bekommt noch heute glänzende Augen, wenn sie davon erzählt.
Mächtige Linde steht schon 850 Jahre
Weiter geht es zum Postplatz, wo die mächtige Linde vermutlich schon 850 Jahre das Ortsgeschehen beobachtet. Vermutlich diente sie in früheren Zeiten als Gerichtslinde. Aber auch die Nutzung als Tanzlinde ist vorstellbar. Das kann man sich beim jährlichen Lindenfest, das leider auch Corona zum Opfer gefallen ist, gut vorstellen. Nun erfährt man, dass in den Vorhofgebäuden des Schlosses früher vor allem Bedienstete wohnten. Nach dem 2. Weltkrieg gab es hier eine Art Seniorenheim für Adlige. „Ist das Schloss nicht zu groß für eine Familie?“ will jemand wissen. Sibylle Baumann erklärt, warum das nicht so ist und auch eine ganze Menge andere Dinge, die beim Rundgang Fragen aufwerfen. Doch mehr wird nicht verraten. Den Ortsrundgang sollte man selbst mitmachen. Die charmante „Sophie“ freut sich jeden Montag darauf.