Kerstin Oettle

Markdorf – „Die Bootsüberfahrt von der Türkei nach Griechenland war besonders schlimm für mich und meine damals dreijährige Tochter“, erzählt Samah Amin, die aus einem kleinen Palästinenserdorf bei Aleppo komme. 40 Menschen, auf einem Miniboot zusammengepfercht, hätten Stunden auf dem Meer verbracht, erzählt die junge Mutter weiter. Knapp einen Monat dauerte ihre Flucht aus dem Kriegsgebiet bis nach Deutschland. Hier lebt sie jetzt seit dreieinhalb Jahren und versucht, eine Perspektive für sich und ihre kleine Familie zu schaffen.

An ihrer Seite ist seit ein paar Monaten wieder ihr Mann, der fast drei Jahre in Griechenland festsaß. Außerdem wird sie unterstützt von Gerold Häring, dem Integrationsmanager von Markdorf. „Herrn Gerold kann ich wirklich immer anrufen, wenn ich Probleme habe, und wir finden eine Lösung“, sagt die 25-Jährige dankbar.

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Führerschein, Mini-Wohnung und Zusage für Ausbildungsplatz

Inzwischen ist die zierliche Frau auf dem B1-Sprachniveau, hat ihren Führerschein in der Tasche, lebt mit Mann und Kind in einer Miniwohnung als Anschlussunterbringung, besitzt ein kleines Auto, hat eine Zusage für einen Ausbildungsplatz kommendes Jahr und strahlt übers ganze Gesicht. Die Anerkennung für das, was sie erreicht hat, bekommt sie vorbehaltlos von ihrem Mann Amin und von ihrem stetigen Helfer Gerold Häring, der diese Entwicklung als wichtige Schritte für eine erfolgreiche Integration sieht.

Alleinstehende junge Männer brauchen andere Begleitung als Familien

Etwas jünger, noch nicht ganz so reif, aber sehr motiviert, was seine Zukunft betrifft, ist der 19-jährige Shafik Alwasak. Er war erst 16 Jahre, als er ohne seine Eltern aus Syrien über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Bulgarien, Ungarn, Serbien und Österreich bis nach Deutschland floh. Bevor der junge Syrer nach Markdorf kam, lebte er fünf Monate in Bambergen und besuchte die Berufsschule in Überlingen. Inzwischen wohnt er mit zwei anderen Männern in einer Markdorfer Anschlussunterbringung und besucht täglich den A2-Sprachkurs beim Christlichen Jugenddorfwerk (CJD) in Friedrichshafen.

Alaa Alghayad (21) aus Syrien musste schon erfahren, was es heißt, kein Deutsch zu können und aus Freundlichkeit teure Verträge ...
Alaa Alghayad (21) aus Syrien musste schon erfahren, was es heißt, kein Deutsch zu können und aus Freundlichkeit teure Verträge abzuschließen und sie jetzt abbezahlen müssen. Er lebt gemeinsam mit dem Syrer Shafik Alwasak (19) in einer Anschlussunterbringung. Beide sind froh, nach einer langen Flucht hier in Deutschland zu sein. | Bild: Kerstin Oettle

Verwaltung, Verträge – alles ist neu und unbekannt

Der Integrationsmanager schildert seine Aufgabe: „Hier ist es wichtig, die jungen Männer in allen Angelegenheiten zu begleiten und einen Weg aufzuzeigen, der ihnen zu mehr Selbstständigkeit und zum Verdienen des eigenen Lebensunterhalts verhilft.“ Aus ihrem bisherigen Leben kennen die jungen Männer weder Verwaltungsgänge noch Vertragsangelegenheiten. All das müssten sie jetzt lernen, in einem fremden Land, in einer fremden Sprache, ohne Eltern – „darin liegen die großen Schwierigkeiten“, sagt Gerold Häring weiter. „In dieser Altersklasse steht die Vermittlung sozialer Kontakte nicht im Vordergrund, diese kommen schnell und automatisch in den Integrationskursen und auf dem Weg dahin in den öffentlichen Verkehrsmitteln zustande.“

Deutsche Sprache ist das A und O

Vielmehr ginge es hier darum, den jungen Männern eine ihnen unbekannte Kultur zu vermitteln, sie in ihrer eigenen Persönlichkeit zu bestärken und darin, die deutsche Sprache zu lernen, beschreibt der studierte Politologe seine tägliche Herausforderung. Hier liege auch der Unterschied zwischen einem Flüchtlingsbeauftragten und einem Integrationsmanager: „Während ich mich um perspektivische Angelegenheiten wie Integrationskurse, Ausbildung und so weiter für die Flüchtlinge bemühe, ist der Flüchtlingsbeauftragte eher für das operative Geschehen zuständig.“

Tilda aus Gambia startet Ausbildung als Friseurin

Aus Gambia musste die damals 18-jährige Tida (Name geändert) fliehen, weil sie unverheiratet schwanger wurde. Ihr Kind wollte sie auf jeden Fall bekommen und wurde daher von ihrem Vater verstoßen und von der Familie des Kindsvaters abgelehnt. Über Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger, Libyen, dann mit dem Schiff nach Italien floh die junge Frau nach Deutschland und brachte kurz vor Weihnachten ihren heute fast dreijährigen Sohn in Überlingen zur Welt.

18-Jährige floh schwanger, verstoßen von ihrer Familie

Mit ihm lebt sie seit Kurzem in einer kleinen Wohnung in der Anschlussunterbringung, besucht den B2-Sprachkurs in Friedrichshafen, kann im nächsten Jahr eine Ausbildung als Friseurin anfangen und träumt vom eigenen kleinen Laden, irgendwann einmal in Gambia, und von der Gleichberechtigung von Frau und Mann in ihrem Land.

Gerold Häring spricht mit der 22-jährigen Tida aus Gambia, die mit ihrem kleinen Sohn hier lebt, über weitere Ausbildungsmöglichkeiten.
Gerold Häring spricht mit der 22-jährigen Tida aus Gambia, die mit ihrem kleinen Sohn hier lebt, über weitere Ausbildungsmöglichkeiten. | Bild: Kerstin Oettle

„Dankbar, wie unbeschwert mein Sohn hier aufwachsen kann“

„Ich bin sehr dankbar, welche Möglichkeiten ich hier in Deutschland bekomme, wie unbeschwert mein Sohn hier aufwachsen kann und welch liberale Erziehung ich ihm vermitteln darf“, strahlt die 22-Jährige. „Dank Herrn Gerold lebe ich jetzt so, wie ich lebe, auch weil er mir immer sagt, was für eine starke Frau ich bin“, lächelt sie verlegen. Gerold Häring kann von vielen erfolgreichen Integrationen berichten, durch das gelebte Markdorfer Netzwerk, durch die Unterstützung der Flüchtlingsbeauftragten sowie vom Freundeskreis „Flucht und Asyl„ der Stadt.