Von ihrem Arbeitsplatz aus muss Ira Gemmeke nur über die Schulter blicken, dann schaut sie aufs gerade im Umbau befindliche Rathaus und auf den davor aufragenden Baukran. Ob und wie die Sanierungsarbeiten am den 60er-Jahre-Bau voranschreiten, interessiert sie eigentlich nicht. Was ihre Aufmerksamkeit jedoch weckt: wenn auf dem Baukran Störche sitzen.

Mit einem Bein auf dem Baukran.
Mit einem Bein auf dem Baukran. | Bild: Jörg Büsche

Zweimal am Tag treffen sie sich auf der gelben Stahlkonstruktion. „Morgens gegen acht und oft auch am Nachmittag – so gegen vier“, berichtet Ira Gemmeke. Als langjähriges Mitglied des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) kümmert sie sich für den Markdorfer Ortsverband um das Thema Weißstörche.

Beobachtet die Markdorfer Störche für den BUND: Ira Gemmeke.
Beobachtet die Markdorfer Störche für den BUND: Ira Gemmeke. | Bild: Jörg Büsche

Sie beobachtet die Stelzvogel, protokolliert, wie sich deren Population rund um die Stadt entwickelt. Sie betreut die auf das Storchennest auf dem Bischofschloss hin ausgerichtete Webcam, sie kümmert sich aber auch ums Beringen der jungen Störche.

Viel zu fressen findet sich auf den Wiesen im Markdorfer Süden.
Viel zu fressen findet sich auf den Wiesen im Markdorfer Süden. | Bild: Jörg Büsche

Störche im Winter sind ganz normal

„Seit drei Wochen etwa ist der Baukran voll mit Störchen“, berichtet Ira Gemmeke. Die Naturschützerin wurde indes auch schon von vielen Markdorfern angesprochen, dass Staffelgiebel und Dach des historischen Bischofschlosses gleichfalls regelmäßig zu Sammelstellen für die Weißstörche werden. Hingewiesen wurde sie ebenso auf die zahlreichen Vögel, die Tag für Tag über die Wiesenflächen im Süden der Stadt staken.

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„Dass sich auch im Winter Störche zeigen, ist eigentlich nichts Besonderes“, erklärt Ira Gemmeke. „Aber so viele wie in diesen Wochen – und über einen derart langen Zeitraum, das ist dann doch ziemlich außergewöhnlich.“

Viele Störche sind beringt.
Viele Störche sind beringt. | Bild: Jörg Büsche

Zugvögel bleiben als Tagesausflügler in der Region

Erklären kann sich die Storchen-Beauftragte des BUND-Ortsverbands die ungewohnten Storchenschwärme nur mit den derzeitigen Wetter-Kapriolen. „Ich vermute, dass sie aus Gegenden kommen, in denen noch Schnee liegt.“ Dass immer mehr Störche sich den mühsamen Flug nach Nordafrika beziehungsweise zu den ergiebigen Futterplätzen auf spanischen Reisfeldern, aber auch auf Müll-Deponien sparen, sei eine von den Vogelkundlern schon länger beobachtete Entwicklung.

Manche Storchexperten sprechen längst von einer evolutionären Veränderung. Weil die Tiere, haben sie sich erst ans Überwintern im Norden gewöhnt, die neue Gepflogenheit an ihre Nachkommen weitergeben. Statt des Zuges in den Süden unternehmen sie sie nun allenfalls Kurz-Ausflüge in der Region, wenn ihnen die Nahrung knapp wird – etwa unter einer geschlossenen Schneedecke.

Derzeit oft zu beobachten: Störche auf dem Dach des Markdorfer Bischofschlosses.
Derzeit oft zu beobachten: Störche auf dem Dach des Markdorfer Bischofschlosses. | Bild: Jörg Büsche

Wenn das Zug-Gen fehlt

Als problematisch betrachten Vogelkundler übrigens Auswilderungsprogramme der Vergangenheit. Nicht zuletzt aus touristischem Interesse wurden Störche gezüchtet und ausgewildert. Da die aus Pflege- und Zuchtstationen stammenden Weißstörche jedoch kein natürliches Zugverhalten besitzen, werden sie „Überwinterer“. Und das sogar dann, wenn sie sich einmal von der Aufbruchstimmung anderer Störche haben anstecken lassen. Nach der Rückkehr aus Spanien oder Afrika bleiben sie dann im Norden, weil ihnen am Ende doch der natürliche Zugtrieb fehlt.

Vielleicht ist der Abflug aber auch nur aufgeschoben

Wofür Ira Gemmeke indes wenig Verständnis habe, sagt sie augenzwinkernd: „Wenn ich Storch wäre, würde ich unbedingt in den Süden reisen.“ Die Vögel handelten da entschieden nüchterner. Sie ziehen ausschließlich wegen der Nahrungsknappheit.

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Bieten die hiesigen Wiesen hinreichend Würmer, finden sich in den Gräben genügen Schnecken, Fische und anderes Getier, lassen sie den langen Flug bleiben. Sollte es jedoch doch noch zu einer längeren Frostperiode kommen, so Ira Gemmeke, können sich die Störche ja dann immer noch auf den Weg nach Süden machen.“