„Die Scham ist zu groß“, erklärt Stefania Menga. Die Gemeindereferentin in der Seelsorgeeinheit Markdorf kommt nach eigener Aussage nicht oft mit Frauen in Berührung, die Opfer von Gewalt in der Familie geworden sind. Es koste offenbar zu viel Überwindung, von der Übergriffigkeit des eigenen Partners zu reden, berichtet sie von ihren Erfahrungen. Und wenn es die Frauen gar nicht mehr aushalten könnten, dann würden sie sich meist direkt an eine Beratungsstelle wenden – oder Schutz in einer Anlaufstelle für Opfer häuslicher Gewalt suchen, dem Frauenhaus in Friedrichshafen zum Beispiel.
Das Tötungsdelikt im Megamix-Laden, bei dem am 21. Januar ein 47-Jähriger seine dort arbeitende getrennt von ihm lebende Ehefrau erschossen hatte, hat das Thema in der Region lediglich wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Präsent ist es immer schon, aber in der Regel nicht in der öffentlichen Debatte.

Doch auch wenn das Pfarrhaus nicht die erste Anlaufstelle für Betroffene ist, kommt Menga bei ihrer Arbeit trotzdem dann und wann mit dem Thema Gewalt gegen Frauen in Berührung. „Wenn Frauen über vergangene Gewalterlebnisse sprechen“, erklärt die Gemeindereferentin. Von diesen Berichten weiß Stefania Menga, „dass schon sehr viel passieren muss, bis sich die Frauen Hilfe suchen“. Dieser Schritt falle ihnen sehr schwer, weil die Grenzen oftmals unklar seien – und auch fließen, da sie wieder und wieder strapaziert würden.
Gewalt muss nicht körperlich sein
„Gewalt, das muss nicht zwingend das blaue Auge sein oder der gebrochene Arm“, erklärt Renate Hold, „psychische Gewalt gehört ebenso zum Thema Gewalt.“ Hold leitet gemeinsam mit Christin Jungblut das Mehrgenerationenhaus (MGH) in der Spitalstraße. Das MGH sei tägliche Anlaufstelle für alleinerziehende Frauen, sagt sie. Von Frauen, die mitunter auch Gewalt erfahren haben. „Das begegnet uns nicht immerzu“, erklärt Hold, „nicht jeden Tag bittet jemand um Hilfe“. Doch sobald sie von Fällen häuslicher Gewalt erführen, gelte das selbe wie im Pfarrhaus: „Wir leiten die Betroffenen dann an Stellen weiter, wo sie Hilfe bekommen.“ Ans Frauenhaus oder ans Jugendamt, das sich ebenfalls um innerfamiliäre Gewalttätigkeit kümmert.

Hold betont, dass das MGH ein Ort der Kommunikation sei. „Ein Ort, an dem auch über Rollenbilder gesprochen wird“ – insbesondere um problematische. Voraussetzung dafür sei aber stets Vertrauen und auch eine gewisse Behutsamkeit im Umgang mit diesem schwierigen Thema. „Es braucht sehr viel Einfühlungsvermögen“, weiß Hold.

Gewalt kommt in den besten Familien vor
Margit Koch-Nedela und Susanne Deiters Wälischmiller engagieren sich bei Soroptimist International (SI), einer Organisation von Frauen, die die gesellschaftliche Rolle von Frauen stärken will. Am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, gehörten die beiden Soroptimistinnen aus Markdorf zu den Mitorganisatorinnen der Beleuchtungsaktionen – etwa der in orangefarbenem Licht getauchten St.-Nikolaus-Kirche. „Das soll Signale setzen“, erklärt Margit Koch-Nedela. „Nach dem schrecklichen Vorfall im Megamix ist das Thema Gewalt gegen Frauen ja fast in aller Munde.“ Ansonsten aber werde es eher tabuisiert. „Dabei ist es ungeheuer wichtig, offen über häusliche Gewalt zu sprechen“, so Koch-Nedela. Die Opfer begegnen übrigens quer in allen sozialen Schichten. Gewalt sei kein Phänomen sozialer Randgruppen, sagt Susanne Deiters Wälischmiller. Aber in gutsituierten Kreisen sei sie mitunter etwas subtiler.

„Wir lassen nicht nur die Kirche anstrahlen“, erläutert Margit Koch-Nedela. „Wir verteilen auch Infomaterial in Gaststätten, wir versuchen, die Leute zu erreichen.“ Doch das Thema sei schwierig. Allzu viele verschließen die Ohren. Einen besonderen Bereich will ein neues Projekt der Gruppe Soroptimist International Ravensburg-Weingarten ansprechen: Den Handel mit Mädchen und Frauen, deren Versklavung in der Zwangsprostitution. „Und das sind Strukturen, die uns hier ganz in der Nähe begegnen“, sagt Deiters Wälischmiller über diesen Aspekt der Gewalt gegen Frauen.
Wenn sich Opfer schuldig fühlen
„Wir sind allzu geneigt, das Thema zu individualisieren“, sagt Andreas Lange. Der in Markdorf lebende Soziologe lehrt an der Fakultät für Soziale Arbeit der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Und zu den Themenbereichen, mit denen er sich schon länger intensiv befasst, gehört die Gewalt in Familien. „Ein Gebiet mit einer sehr breiten Grauzone“, erklärt der Hochschulprofessor. Und ein Bereich, über den nur ungern gesprochen werde. „Die Gender-Diskussion hat dazu geführt, dass viele gleich abwinken und des Themas überdrüssig sind.“

Verdrängt werde die Gewalt gegen Frauen übrigens auch von den Betroffenen, sagt Lange. „Häufig suchen die Opfer eine Mitschuld bei sich selbst.“ Einerseits sei da der Wunsch, in einer Beziehung zu leben. Alleinsein gelte in unserer Gesellschaft als Makel. Und die verbreiteten Rollenbilder – vom zupackenden, durchsetzungsstarken Mann und der einfühlsamen, doch schnell reizbaren Frau – beförderten die Bereitschaft zum Aushalten „gefährlich toxischer Männlichkeit“, sagt der Wissenschaftler.