Das Kind ist krank, es gibt aber keinen Kinderarzt mehr: Mit dieser unerfreulichen Situation sehen sich derzeit Eltern in Markdorf konfrontiert, seit bekannt ist, dass die einzige Kinderärztin der Stadt, Ulrike Laternser, aus gesundheitlichen Gründen ihre Praxis zum 31. März schließen wird. Inzwischen wird sie von Kollegen vertreten.

In der Praxis hängt ein Aushang der Ärztin, die sich dort für das Vertrauen und die Genesungswünsche bedankt und auf dem auch dieser Satz steht: „Trotz aller Bemühungen konnte bislang keine Nachfolge gefunden werden. Die umliegenden Praxen sind informiert und bemüht, die Versorgung aufrechtzuerhalten.“

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Aufnahmestopps in Bermatingen und Kluftern

In den sozialen Medien, auf Facebook, hat sich inzwischen eine Gruppe betroffener Eltern formiert. Man tauscht sich aus, gibt sich gegenseitig Hilfe bei der Suche nach einem anderen nahegelegenen Kinderarzt – und aus allen Beiträgen spricht die Verzweiflung. Denn: Die nächstgelegenen Praxen in Bermatingen und in Friedrichshafen-Kluftern nehmen keine neuen Patienten mehr auf. „Die sind voll, keine Chance. Hab gestern da angerufen“ oder „nimmt niemanden mehr“ oder „die nehmen auch keinen“ lauten die frustrierten Kommentare der Eltern.

Offenbar glühen die Drähte in die Praxen: Eine Meersburger Praxis wird empfohlen, bei der man noch unterkommen könnte. Die Mutter, die den Aufruf gestartet hatte, ist offenbar mit ihren beiden Kindern auf den letzten Drücker noch in der Friedrichshafener Gemeinschaftspraxis Nguyen-Braun und Schwarz aufgenommen worden. „Aller letzten Platz“, schreibt sie.

Die Praxis der Markdorfer Kinderärztin Ulrike Laternser ist im Ärztehaus in der Bahnhofstraße. Stand jetzt wird sie am 31. März ...
Die Praxis der Markdorfer Kinderärztin Ulrike Laternser ist im Ärztehaus in der Bahnhofstraße. Stand jetzt wird sie am 31. März geschlossen werden, sofern sich keine Nachfolge findet. | Bild: Jörg Büsche

Auf Facebook formieren sich die Eltern

Wie kann das sein? Auf Facebook kocht die Gerüchteküche. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) wolle keine Nachfolge, sondern die Praxis endgültig schließen, heißt es. Das trifft nicht zu, ist im Kern aber auch nicht komplett verkehrt. Denn für die KV gibt es deren Zahlen zufolge ein Überangebot an Kinderarztpraxen im Bodenseekreis, so abstrus das auch klingen mag. Deswegen sieht man in Stuttgart keine Möglichkeit, über die vierwöchige Übergabefrist hinaus den Sitz der Kinderärztin in Markdorf zu behalten. Das Dilemma: Wird in diesen vier Wochen kein Nachfolger gefunden, darf später – wegen des berechneten Überangebotes im Landkreis – keine neue Praxis in Markdorf eröffnen.

Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg
Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg | Bild: Juergen Altmann (KVBW)

Kai Sonntag, Sprecher der KV, erläutert die Hintergründe. Auch der Vereinigung der Kassenärzte sei bewusst, dass es den Bedarf in Markdorf gebe, aber ihr seien die Hände gebunden. Sonntag wehrt sich dagegen, dass der KV der Schwarze Peter zugeschoben werde: Wie viele Fachärzte auf wie viele Bewohner eines Landkreises kommen dürfen, bestimme die Politik. Setze die Politik die Grenze nicht nach oben, könne die KV nichts machen, sagt er. Über eine Praxisnachfolge entscheide außerdem nicht die KV, sondern der regional zuständige Zulassungsausschuss.

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System der Kinderärzte droht in Schieflage zu geraten

Im Kern bestätigt das Christof Metzler. Der Langenargener Kinderarzt ist Sprecher der Kinderärzte im Bodenseekreis und vertritt an diesem Dienstag seine erkrankte Kollegin in ihrer Markdorfer Praxis. Die Berechnungsgrundlage, anhand derer die KV beurteile, ob es in einer Region ein Überangebot gibt oder nicht, sei jedoch veraltet, sagt er. Sie fuße auf Kriterien von vor 40 Jahren: „Die Zahlen der KV gehen an der heutigen Realität stark vorbei.“

Heute hätten Kinderärzte deutlich mehr Aufgaben als in den 80er-Jahren: mehr Vorsorgeuntersuchungen, mehr Impfungen, mehr Behördenauflagen. Das heißt: Heute kann ein Kinderarzt gar nicht mehr so viele Patienten aufnehmen wie noch vor 40 oder 20 Jahren. Im Gegenzug habe die Politik die Studienplätze seither deutlich gekappt, es kämen also weniger junge Kollegen nach.

„Beginn einer Katastrophe, die absehbar ist“

Ein weiterer Faktor: „Vor 40 Jahren waren 80 Prozent der Kinderärzte Männer, heute ist das Verhältnis genau umgekehrt“, sagt Metzler. Junge Kolleginnen, die oft auch selbst Familie hätten, würden in der Regel aber nur als angestellte Ärztinnen arbeiten wollen, häufig auch nur Teilzeit. „Eine eigene Praxis wollen sich viele junge Kollegen heute nicht mehr ans Bein binden“, sagt Metzler. All dies bringe das System der niedergelassenen Kinderärzte gewaltig in Schieflage. „Das ist jetzt der Beginn einer Katastrophe, die absehbar ist, in zehn Jahren wird es viele Markdorfs geben“, prophezeit der Kinderarzt.

Und alle diese Umstände erschweren nun die Suche nach einer Nachfolge von Laternser. Dass es während der ersten Ausschreibungsfrist im November 2023 einen Bewerber gab, bestätigt Metzler. Der habe die Praxis aber als Zweigpraxis übernehmen wollen und konnte der KV daher nur eine 25-Stunden-Präsenz pro Woche in Markdorf anbieten. Gesetzlich gefordert für eine Praxisübernahme ist aber eine Mindestzahl von 35 Stunden. Die Bewerbung wurde daher gar nicht erst zum Zulassungsausschuss zugelassen. Als Konsequenz habe sich Laternser im Januar zur Schließung ihrer Praxis entscheiden müssen.

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Nochmals vier Wochen Aufschub für Markdorfer Praxis

Bei der KV hat man sich inzwischen zumindest bereiterklärt, der Praxis einen weiteren vierwöchigen Aufschub zu geben, mit einer zweiten Ausschreibungsfrist noch bis Anfang April. „Da hat der Druck von mir und anderen Kollegen offenbar dazu geführt, dass der Praxis noch einmal eine Chance gegeben wird“, sagt Metzler.

Sollte sich bis dahin tatsächlich noch eine Nachfolge für Laternser finden, die die Praxis auch in Vollzeit übernähme, könnte sie fortgeführt werden. Eine nahtlose Übergabe dürfte zeitlich allerdings kaum noch möglich sein, befürchtet Metzler, der dennoch die Hoffnung nicht aufgeben möchte.

Doch die Praxis, die verkehrsgünstig in Bahnhofsnähe liegt, hat noch ein anderes Manko: Sie ist eigentlich zu klein, um zwei Ärzte, die sich die Arbeit teilen, zu ernähren, sagt Metzler. Ein Modell wie bei den Gemeinschaftspraxen in Kluftern oder Friedrichshafen käme daher kaum infrage. Ob die Praxis noch eine Zukunft haben wird, wird sich nun in den kommenden Wochen entscheiden. Gibt es keine Nachfolge, wird Markdorf seinen Kinderarztsitz verlieren.