Herr Löscher, sind Sie gut in das neue Jahr gestartet?
Danke der Nachfrage. Ja, ich bin gut in das neue Jahr gestartet. Den Jahreswechsel habe ich ganz ruhig und entspannt gemeinsam mit meiner Frau verbracht.
Es war ein ruhiger Jahreswechsel. Warum konnten viele diese Ruhe nicht genießen?
Das ist eine gute Frage. Eigentlich sehnen wir uns nach Ruhe, aber wenn sie da ist, dann entsteht meist Panik. Ruhe aushalten können nur wenige. Wir lenken uns ab, machen den Fernseher an, hören Musik. Ruhe ist was Seltsames und verunsichert den Menschen, denn das ist er nicht gewohnt. Die Ruhe führt den Menschen zu sich selbst. Sich selbst aushalten, besser kennenlernen und akzeptieren können, ist das eigentliche Thema.
Viele haben das Ende des Jahres 2020 herbeigesehnt, nun beginnt ein neues Jahr, aber eine Verbesserung zeichnet sich kaum ab.
Dennoch ist es wichtig, dass wir 2020 abgeschlossen haben. Dass Weihnachten und Silvester vorbei sind und wir nun neu beginnen können. Wir müssen jetzt den Winter durchhalten, dann kommt das Frühjahr. Es wird Schritt für Schritt besser werden. Aber dafür müssen wir unsere eigenen Erwartungen überprüfen sowie offen und flexibel sein.
Wie bleiben wir also für 2021 optimistisch?
Es kommt natürlich darauf an, in welchem Maße jeder Einzelne von der Pandemie betroffen ist. Ich denke, dass die meisten überwiegend mit der Situation klarkommen, aber unser Bewusstsein hat sich geändert. Es gibt eine Zeit vor, in und nach Corona. Aber diese Zeit nach Corona wird anders sein und sich von der vorherigen Normalität unterscheiden. Schließlich war vorher auch nicht alles gut. Aber dennoch können wir optimistisch sein und ein erfülltes, glückliches Leben mit Corona führen.
Wie kann dieses erfüllte, glückliche Leben funktionieren?
Indem wir die Situation akzeptieren und annehmen. Wir befinden uns in einem Prozess der Veränderung und des Klärens, den viele von uns so noch nicht erlebt haben. Wir sollten daher den Fokus auf das legen, was möglich ist, nicht auf das, was fehlt. Natürlich darf man traurig und auch wütend sein. Diese Gefühle sollten nicht unterdrückt werden. Aber je früher ich meinen Frieden mit der Situation schließe und anfange die Dinge zu akzeptieren, desto einfacher wird es. Jeder hat seine ganz persönlichen Herausforderungen, ob privat oder beruflich, ob jung oder alt, ob als Familie, Paar oder alleinstehend. Aber ich bin davon überzeugt, dass man Positives aus dieser Zeit ziehen und gestärkt daraus hervorgehen kann.

Was kann diese Corona-Pandemie Positives bewirken?
Es geht darum, der Krise einen Sinn zu geben. Diese Pandemie gibt einem die Chance zu reflektieren und darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist. Was wollen wir aus der alten Normalität wieder zurückhaben und auf was wollen beziehungsweise auf was sollten wir verzichten? Was sollten wir überdenken, ersetzen oder neu erschaffen für eine andere, nachhaltige und damit zukunftsfähige Normalität? Diese Krise gibt uns die Möglichkeit, wieder zur Besinnung zu kommen.
Das bedeutet konkret?
Das bedeutet, raus aus dem Gedanken-Karussell und Hamsterrad und rein in die Klarheit und Sinnhaftigkeit. Stellen Sie sich öfter die Frage nach dem „Wozu?“. Die Frage nach dem „Wozu?“ beantwortet die Frage nach dem Sinn. Man sollte sich auch sein Leben anschauen und sich fragen, für was ich dankbar sein kann. Es bedarf einer Verschiebung der Aufmerksamkeit – auf die Dinge, die da sind, die derzeit machbar sind. Anderes wird wieder zurückkommen, manches vielleicht nicht.
Aber uns fehlen ja nicht nur Dinge, sondern auch Menschen...
Das ist richtig. Der Mensch hat das Bedürfnis mit anderen Menschen in Kontakt zu sein. Auch ich vermisse es, Menschen die ich mag wieder zu Umarmen. Hier sollten wir uns auf das konzentrieren, was aktuell machbar ist. Welche Alternativen habe ich und wie finde ich einen guten Kompromiss? Was wir bereits gelernt haben und für was wir jeden Tag dankbar sein dürfen, ist wie uns die sozialen Medien und die Online-Kommunikation mit Familie und Freunden in Verbindung bleiben lässt.

Glauben Sie, dass wir uns irgendwann wieder die Hände schütteln werden?
Ich denke nicht, zumindest nicht in einem geschäftlichen beziehungsweise fremden Umfeld. Vor Corona war ich sehr viel geschäftlich unterwegs. Das vermisse ich nur teilweise. Wir müssen einen Mittelweg finden, einen Weg, der selektiv gut gewählt ist.
Was halten Sie von Durchhalteparoli?
Es ist gerade Durchhaltevermögen gefragt und Verzicht. Das Hauptproblem bei der Corona-Pandemie ist die Ungewissheit; wir werden immer wieder vertröstet, es gibt keine Perspektive. Es ist kein Ende in Sicht und nur zu hoffen, das fällt schwer. Daher kann man von der Politik auch durchaus mehr strategische Maßnahmen erwarten als die Verlängerung des Lockdowns und Impfen. Auch wenn viele Menschen gegen Corona geimpft sein werden, wird dieser Virus nicht verschwinden oder es wird eine neue Krise auf uns zukommen. Daher müssen wir jetzt lernen uns für die Zukunft stabiler aufzustellen, damit wir besser gerüstet sind.
Was raten Sie unseren Lesern?
Jetzt ist die Zeit, sich wirklich mit sich selbst zu beschäftigen. Die Leere, die das derzeit nicht vorhandene Freizeitvergnügen und fehlende persönliche Treffen hinterlassen, mit anderen Sachen zu füllen. Im ersten Lockdown haben wir den Keller aufgeräumt. Jetzt können wir bei uns selbst aufräumen. Konzentrieren wir uns auf uns, lernen uns besser kennen, übernehmen Selbstverantwortung und lassen negative Gedanken außen vor und erlauben uns einfach glücklich zu sein. Endlich mal das Buch lesen, das schon ewig im Regal steht, mehr Spaziergänge im nahen Umfeld machen und vielleicht ein neues Instrument lernen. Holen wir uns die Zuversicht und die Freude zurück in unser Leben.
Auch empfehle ich eine tägliche Dankbarkeitsübung. Fragen Sie sich: Für was bin ich dankbar? Familien mit Kindern in Kitas und Schulen haben es aktuell besonders schwer. Denen empfehle ich, sich bewusst kleine Auszeiten zu nehmen und allein zu sein. Wenn es auch nur ein paar Minuten sind. Diese Zeiten müssen sicher geplant werden, aber sie helfen – beispielsweise mit Atemübungen – die Sinne zu entspannen und Stress abzubauen.