Am Ende des langen, vierten Verhandlungstages im Megamix-Mordprozess vor dem Landgericht Konstanz fällt es schwer, sich an den Beginn zu erinnern: Über einen großen Bildschirm ist eine Sachverständige des Landeskriminalamtes (LKA) zugeschaltet, die einen Untersuchungsbericht zu Schmauchspuren, also Rückständen der Pistolenschüsse auf der Kleidung der getöteten Sebastiana F., vorträgt. Drei Schüsse könne das LKA sicher nachweisen, es waren aber wohl mehr. Wie viele genau, lässt sich nicht mehr ermitteln. Aus 20 bis 30 Zentimeter Abstand zwischen Pistole und der Geschädigten sei einer der Schüsse gefallen, sagt die Sachverständige.

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Ein Großcousin des Angeklagten sagt aus

Nachdem der Bildschirm aus dem Saal gerollt wurde, tritt ein weiterer Zeuge auf. Er ist ein Großcousin des Angeklagten und lebt seit drei Jahren in Deutschland. Die ersten sechs Monate habe er beim Angeklagten gewohnt, sagt er. Die Befragung des Zeugen dauert, da ein Dolmetscher übersetzten muss und der Zeuge sich teilweise widerspricht. Zunächst sagt er, der Angeklagte habe sich ihm gegenüber immer korrekt verhalten. Der Vorsitzende des Gerichts, Arno Hornstein, konfrontiert ihn mit seinen Aussagen aus einer polizeilichen Vernehmung aus dem Februar. Es entfaltet sich ein Hin und Her, am Ende räumt der Zeuge ein, von seinem Großcousin gehört zu haben, dass der seine Frau umbringen möchte.

Während all dieser Schilderungen und im Grunde während des gesamten Prozesses sitzt der Angeklagte Gezim F. mit versteinerter Mine auf seinem Platz. Er wackelt zwar mit den Füßen und fährt sich immer wieder mit den Händen durchs Gesicht. Aber emotionale Regungen sind nicht zu erkennen.

Diskussion um Eignung des psychiatrischen Gutachters

Ebenfalls auf dem Tagesplan steht die Anhörung des psychologischen Gutachters Aksel Hansen. Doch bevor es dazu kommt, bringt Verteidiger Klaus-Martin Rogg kurzfristig einen Antrag ein, den Gutachter wegen Befangenheit abzulehnen. Wenige Minuten fordert er dafür vom Gericht. Eine knappe halbe Stunde trägt er anschließend die Gründe vor: Demnach habe der Gutachter zu wenig Zeit mit dem Angeklagten verbracht, seine zwei schriftlichen Gutachten seien zu kurz und oberflächlich. „Die Befunde sind nur Behauptungen ohne zu Grund liegenden Anknüpfungstatsachen“, sagt Rogg.

Bevor das Gericht über den Antrag entscheidet, darf Gutachter Aksel Hansen Stellung beziehen. Zunächst wird ihm eine halbe Stunde eingeräumt, um eine Einlassung dazu vorzubereiten. Er verteidigt sein Vorgehen, wenngleich er zugeben muss, dass dies der erste Mordprozess ist, an dem er beteiligt ist. Im Anschluss ziehen sich Richter und Schöffen für eine Stunde zurück, um über den Antrag zu beratschlagen – sie weisen ihn ab. Für eine Ablehnung des Sachverständigen müssten Gründe genannt werden, die auch unbeteiligten Dritten verständlich sein sollen, verliest das Gericht. „Solche Gründe sind nicht vorgetragen worden.“ Weiter heißt es: „Die Kürze der Äußerungen [der Gutachten] ist auf den Beschleunigungsgrundsatz und die Dringlichkeit zurückzuführen.“

Ein zweiter Antrag der Verteidigung

Verteidiger Rogg gibt sich mit der Ablehnung allerdings nicht zufrieden – er stellt einen zweiten Antrag, um ein weiteres Gutachten einzuholen. Der Antrag wird zunächst zurückgestellt, damit Gutachter Hansen seinen Bericht mündlich vorstellen kann – bislang wurde nur die schriftliche, vorläufige Version kritisiert.

Der Kern des Gutachtens: Gezim F. sei voll schuldfähig. Dieses Urteil werde weder durch seinen Alkoholkonsum zur Tatzeit, noch durch seinen Kokainentzug, noch durch die von Hansen attestierte schwere Persönlichkeitsstörung eingeschränkt. Ist der Angeklagte aggressiv, fragt Richter Hornstein. „Er hat eine aggressive Ader, ja.“ Er sei manipulativ und zeige wenig Reue. „Das ist alles ein ziemlich stimmiges Bild“, sagt Hansen. Dafür, dass die Tat im Affekt geschehen sein soll, sieht er zu wenige Anhaltspunkte.

Nach Hansens Stellungnahme zieht sich das Gericht zurück, um über die Einholung eines zweiten Gutachtens zu entscheiden. Auch dieser Antrag wird abgelehnt. Prompt schreibt Verteidiger Rogg handschriftlich einen dritten, kurzfristigen Antrag.

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Auch der mündliche Bericht wird angegriffen

„Ich habe eine Verantwortung gegenüber meinem Mandanten“, sagt der Verteidiger. Aber er wolle konstruktiv sein. Das kommentiert Richter Hornstein, nicht ohne Ironie: „Jetzt gibt‘s einen konstruktiven Antrag, da bin ich ja mal gespannt.“ Rogg fordert eine Ablehnung des Gutachters nun auf Basis des mündlichen Vortrags. Zu 95 Prozent habe der Sachverständige lediglich sein Gutachten vorgelesen, er habe wissenschaftliche Ausführungen vermissen lassen und sei Nachweise schuldig geblieben. Wieder Rückzug des Richters und der Schöffen, wieder Abweisung des Antrags.

Nach 18 Uhr geht ein zäher Verhandlungstag zu Ende. Der Staatsanwalt liefert sein Plädoyer noch ab, der Verteidiger nicht mehr. Gegen 18 Uhr wäre es an Klaus-Martin Rogg, sein Plädoyer zu halten. Er beantragt allerdings, erst am nächsten Morgen vorzutragen, da es spät sei und er auf das von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagene Strafmaß besser reagieren möchte. „Heute waren wir nicht dafür verantwortlich, dass es so lange gedauert hat“, gibt Richter Hornstein ihm zu bedenken, aber beendet die Verhandlung für den Tag.