Man stelle sich vor: Kein Gehrenberglauf mehr, keine Turngalas, keine Wettkämpfe, kein Treffpunkt mehr für Senioren, keine Betreuung für Kinder. Überhaupt – keine Begegnungsstätte mehr für Menschen, die eines verbindet: die Freude an der Bewegung. Und kein Stand mehr beim Stadtfest, wo Jahr für Jahr dieser Zusammenhalt gefeiert wird.

Bis jetzt ist es nur ein Szenario, das sich aber scheinbar noch nicht in allen Köpfen der Vereinsmitglieder festgesetzt hat. Wird dieses Bild indes Wirklichkeit, wird Markdorfs Vereinslandschaft ein Stück ärmer. Wenn der Turnverein Markdorf (TVM) bis zu den bevorstehenden Wahlen im kommenden März keinen neuen Vorstand findet, wird sich der größte Markdorfer Verein auflösen, aus dem Vereinsregister und schließlich von der Bildfläche verschwinden. Und rund 1200 Mitglieder werden ihre Heimat verlieren. Das ist im deutschen Vereinsrecht so geregelt, außer, die Statuten des Vereins weichen davon ab.
So düster freilich muss die Zukunft des seit 1880 bestehenden TVM nicht aussehen. Gleichwohl, die Lage ist ernst. „Ich hatte schon früh überlegt, dass es nach zehn Jahren Zeit wird, neue Leute in die Verantwortung zu bringen“, sagt der Vorsitzende Uwe Schäfer. Nun sind bald zwölf Jahre vergangen, seit Schäfer von Kurt Rogalla den Vorstandsposten übernommen hat. Nach dem zehnten Jahr mangels Nachfolge noch einmal verlängert, stand für Schäfer fest: „Ich stehe 2024 nicht mehr zur Wahl.“ Schon vor vier Jahren hatte er dies bei der Hauptversammlung verkündet. Im Verein ist die Not also längst kommuniziert, allein die Mitglieder haben sie wohl noch nicht recht erkannt. Oder ducken sich weg.
Eine Aufgabe, viele Chancen
„Ich war überhaupt kein Vereinsmensch, als ich hier angefangen habe“, verrät Uwe Schäfer. „Heute weiß ich, was da alles Positives dran hängt.“ Es werde in einem Turnverein nicht nur der sportliche Aspekt beleuchtet, es sei vor allem die soziale, die gesellschaftliche Komponente, die den Spirit ausmache. „Ich habe den Job super gern gemacht“, sagt Schäfer rückblickend. Vieles hätte er in dieser Zeit gelernt und mit auf seinen Weg genommen. Aber es sei nun an der Zeit, dass sich der Verein verjünge und eine neue Führungsriege das Ruder übernehme. Denn nicht nur der Posten des Vorsitzenden ist vakant, der Verein fährt zweigleisig mit einer Doppelspitze, obwohl Schäfer den Verein seit der letzten Hauptversammlung bereits alleine manövriert.
„Schön wäre es, wenn wir junge Menschen aus den eigenen Reihen rekrutieren könnten“, sagt der Noch-Vorsitzende. Als ein Zweier-Team könne er sich das gut vorstellen. „Zu zweit traut man sich vielleicht mehr zu.“ Wie eine Art Keimzelle stellt sich Schäfer diese sich daraus ergebende Dynamik vor. „So, dass immer mehr junge Leute zusammenkommen und andere mitreißen.“ Auf jeden Fall sichert er schon heute seine volle Unterstützung und Begleitung zu. „Ich bin ja hier in Markdorf vor Ort.“
Übungsleiter ins Boot holen?
Mit Uwe Schäfer im Boot sitzen neben den rund 1200 Mitgliedern auch etwa 70 Übungsleiter. Eine davon ist Melanie Kley. „Ich weiß nicht, ob wirklich allen bewusst ist, dass uns das Aus droht“, sagt die Übungsleiterin, die sich selber bereits in hohem Maße für den Verein engagiert. Die Problematik, immer weniger Menschen zu finden, die sich ehrenamtlich einbringen wollen, erachtet Kley auch als einen gesellschaftlichen Trend. „Niemand will sich mehr verpflichten und für etwas einstehen.“ Dass so eine Aufgabe aber auch eine persönliche Bereicherung sein kann, sei die andere Seite der Medaille.
Auch für Michael Gantert, Abteilungsleiter Geräteturnen, ist das Profil des Vereinsoberhaupts ebenso vielfältig wie vielschichtig, interessant, aber vor allem bereichernd. „Man führt hier zwar eine kleine Firma, wird aber bei der Organisation unterstützt von vielen Menschen.“ Gantert weiß, wovon er spricht, engagiert er sich doch seit vielen Jahren als Übungsleiter beim Geräteturnen und ist selbst erfolgreicher Wettkampf-Turner.
„Ich habe schon viele Leute darauf angesprochen, von denen ich dachte, das könnte passen“, sagt Uwe Schäfer. Auch Melanie Kley und mit ihr weitere Übungsleiter haben die Werbetrommel innerhalb ihrer Gruppen gründlich gerührt. Bis jetzt erfolglos.
Warum nicht eine Dreierspitze?
Immer mehr Vereine stehen vor derselben Problematik, weswegen vielerorts ein Umdenken eingesetzt hat. So hat etwa der Musikverein Ittendorf vor vier Jahren neue Wege eingeschlagen, indem die Vereinsführung auf drei gleichberechtigte Schultern verteilt wurde. Ermöglicht hatte dies eine Satzungsänderung. „Ich hätte mich nicht zum Vorstand wählen lassen, wären wir nicht bewusst zu einer Dreierspitze übergegangen“, sagt Alexander Fuchs, der zusammen mit Markus Steiner und Manuela Zurell die Vereinsspitze des Musikvereins bildet. Und nebenbei mache die Arbeit im Team auch noch richtig Spaß. Insofern könne er dieses Modell auch anderen Vereinen guten Gewissens empfehlen.

Bleibt für den TVM zu hoffen, dass sich auch hier ein gangbarer Weg eröffnet und dass nicht irgendwann nur noch die Jahnstraße daran erinnert, dass der TVM mit viel Pioniergeist und dem Impuls von Turnvater Jahn vor 143 Jahren gegründet wurde. Es erfordert etwas Mut, aber vor allem den Willen, diesen Verein am Leben zu erhalten. „Traut auch dieses Amt zu! Ich helf‘ euch dabei“, appelliert Uwe Schäfer an alle Mitglieder, aber auch an alle, die, wie er selbst vor über elf Jahren, „ohne große Berührungspunkte“, aber mit ganz viel Motivation zu diesem Verein gekommen und in dieses Amt hineingewachsen ist.