Gewerbe oder Wohnraum? So laute meist die Konkurrenz, wenn es um den Flächeneinsatz in den Kommunen gehe. Dass die besten und wertvollsten Böden für den vermeintlich höheren Zweck bisweilen flugs zur Disposition gestellt werden und die Landwirtschaft hier oft übersehen werde, darüber klagen der alte und der neue BLHV-Ortsvorsitzende Hubert Rauch und Thomas Bacher gleichermaßen und sehen sich bei diesem Zielkonflikt im Nachteil.

Dabei trage die Landwirtschaft nicht nur mit ihren regionalen Erzeugnissen, sondern auch mit anderen Angeboten zur Attraktivität und Vielschichtigkeit einer Gemeinde bei, betonten beide Vertreter fast unisono und kritisierten deren schlechten Stellenwert in der Gesellschaft. Ins Stammbuch schreiben wollte der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband (BLHV) diese Sorge dem Überlinger Oberbürgermeister Jan Zeitler und dem Owinger Bürgermeister Henrik Wengert, die die Bauern gebeten hatten, Position zu beziehen und Farbe zu bekennen.
Dass Landwirte im Vorjahr mit einer Dürrehilfe unterstützt worden seien, habe zu massiver Kritik in der Bevölkerung geführt, erinnerte Hubert Rauch. Behördliche Genehmigungen zur Wasserentnahme an Flüssen seien eingeschränkt worden, bauliche Maßnahmen wie Regenrückhaltebecken bedürften einer Baugenehmigung, dazu brauche es wieder Ökopunkte. „Wir wissen sehr wohl, dass wir auch selbst in der Verantwortung sind, um solche Situationen zu meistern“, formulierte Rauch quasi als Vermächtnis auf dem Weg in den Ruhestand: „Doch wir brauchen die Unterstützung der Gemeinden.“

Der Verband fordere seit Langem die Möglichkeit einer steuerfreien Rücklage für die Landwirte. Voraussetzung dafür wäre wiederum, dass es einige Jahre mit einem guten Gewinn gäbe, „damit man was auf die Seite legen könnte“. Die Bauern wünschten sich vor allem einen intensiveren Dialog mit den Kommunen, mit den Gemeinderäten und den Verwaltungen. „Wir wollen als BLHV Ansprechpartner sein für Themen, die die Landwirtschaft betreffen.“
Denkbar ungünstig wäre für Rauch, „wenn der Landwirt aus der Zeitung erfährt, dass er einen Acker oder eine Wiese verliert wegen eines Baugebiets“. Wenn es dazu komme, sei etwas schiefgelaufen. Denn mit jedem Acker und jeder Wiese verliere ein Landwirt einen Teil seiner Existenzgrundlage, erklärte der Obstbauer. Kreisvorsitzender Karl-Heinz Mayer erkannte hier sogar ein regelrechtes „Ackervernichtungsprogramm“.

Einen leichtfertigen Umgang mit den Flächen wollte sich Überlingens OB Zeitler nicht nachsagen lassen. Des heiklen Spannungsfelds sei er sich durchaus bewusst. Gerade deshalb hätten beide Gemeinden ein knapp bemessenes und interkommunales Gewerbegebiet ins Auge gefasst, dessen Erschließung im Prinzip vorhanden sei und das sogar ökologisch hochwertig begrünt werden solle.
OB Zeitler: "Wir möchten ein qualitatives Wachstum"
Bei Bewerbern für die vorhandenen Grundstücke im Oberried schaue die Stadt ganz genau hin, wie hoch der Flächenverbrauch und die Zahl der Arbeitsplätze seien. „Zu mir kommen nicht wenige Interessenten, die eine riesige Lagerhalle und daneben viele Parkplätze für die Mitarbeiter bauen wollen“, sagte Zeitler. Die schicke er wieder weg und bitte um alternative Planungen, eventuell mit mehrgeschossigen Gebäuden und einer Tiefgarage. „Wir möchten kein Mengenwachstum, wir möchten ein qualitatives Wachstum,“ fasste Zeitler sein Credo zusammen.
Das Dilemma der Kommunen skizzierte Owingens Bürgermeister Henrik Wengert. Für die 35 Grundstücke im Baugebiet Mehnewang III habe es mehr als 200 Bewerber gegeben. „Wir hätten fünf solcher Baugebiete ausweisen und dennoch nicht alle Anfrage befriedigen können.“ Tatsächlich müssten die Wohngebiete der Zukunft anders aussehen und auch einen Geschosswohnungsbau vorsehen.
Regionalplan sieht bis 2035 Bedarf an 33 000 neue Wohnungen
Auf jeglichen Bevölkerungszuwachs ganz zu verzichten, hieße für Wengert allerdings, die eine vorhandenen gute Infrastruktur infrage zu stellen. „Wir hätten einige innerörtliche Flächen zur Bebauung“, erklärte der Bürgermeister und fügte hinzu: „Doch wir bekommen sie nicht, obwohl wir teilweise mit Geld um uns werfen.“ Wengert skizziert die Prognose zur Fortschreibung des Regionalplans, der 33 000 neue Wohnungen und rund 1100 Hektar als Bedarf bis 2035 sieht. Hinzu kommen in den drei Landkreisen mehr als 1000 Hektar Gewerbefläche.
Dass die Landwirtschaft dabei auf der Strecke bleibe, ärgert die Bauern mächtig. Auch im Salemer Tal klagen sie über die geplante Bebauung wertvollster Böden. „Ist das so schlimm, wenn die Fabrikhallen in Pfullendorf stehen?“, fragte Karl-Heinz Mayer, BLHV-Kreisvorsitzender. Über Umlage könne man ja einen finanziellen Ausgleich schaffen. Hier hielt Zeitler allerdings dagegen. Zum einen sei so ein Vorgehen nicht fair, zum anderen „brauchen wir ja auch Arbeitsplätze vor Ort“.
Smartphones und Insektensterben
Die Bauern wollen nicht für alle Übel verantwortlich sein. Schon gar nicht am Insektensterben und dem Rückgang der Artenvielfalt. „Es gibt einfach keine Untersuchungen, dass wir Landwirte daran schuld wären“, verteidigte der bisherige BLHV-Ortsvorsitzende und Obstbauer Hubert Rauch sein Metier. Dass es „irgendwie einen Zusammenhang“ gebe, wolle man ja gar nicht abstreiten. „Ob dieser Zusammenhang aber bei fünf Prozent oder bei 95 Prozent liegt, das ist ein gewaltiger Unterschied“, sagte Rauch.
Bei der Marktgemeinschaft Bodensee habe man vor Kurzem die These aufgestellt: „Warum sollten denn nicht die Smartphones schuld sein an dem Insektensterben?“ Tatsächlich gebe es ja Pflanzenschutz schon viel länger als das Insektensterben. Und hinsichtlich der Zunahme der Smartphones und dem Insektensterben sei ein zeitliches Zusammentreffen nicht zu übersehenen. „Es gibt eben keine Beweise, es gibt keine Zahlen, keine Fakten.“
Die Smartphone-Hypothese möge zwar etwas abstrus klingen, könne jedoch mit dem gleichen Recht postuliert werden. Zuletzt habe man die Landwirtschaft auch noch als Hauptverursacher des Feinstaubs verantwortlich gemacht, erklärte Rauch: „Alles haut auf die Landwirte ein. Letztendlich sollen wir für alles verantwortlich sein.“ Kollegen empfahlen einen Blick in manche Hausgärten, die inzwischen oft zu geschottert seien – gleichermaßen pflegeleicht wie insektenfrei.