Im dritten Band ihrer Kloster-Saga „Der Abt von Salem“ schickt Schlossverwalterin Birgit Rückert den Salemer Mönch Johannes in die Zentrale und den Geburtsort des Zisterzienserordens ins burgundische Cîteaux. Dort besucht er im Auftrag von Abt Stantenat im Jahr 1494 die alljährliche Generalversammlung des Ordens, dessen innere Einigkeit und äußere Unabhängigkeit auf dem Spiel stehen. Zum einen drohen die Zisterzienser bei den Machtspielen von Königen und Kardinälen zwischen die Fronten zu geraten, zum anderen streiten sie sich über interne Reformen. Besonders heftig ist der Schlagabtausch zwischen den Äbten von Cîteaux und Clairvaux.

Salemer Mönch Johannes und seine Jugendliebe Magdalena aus Überlingen

Und mittendrin Johannes, der wieder mit seltsamen Todesfällen zu tun hat, selbst in Verdacht gerät und sich mit seinem Gewissen und dem Keuschheitsgelübde herumschlägt, denn seine Jugendliebe Magdalena aus Überlingen soll gegen ihren Willen wiederverheiratet werden und die beiden planen, zusammen zu fliehen.

Doch alles kommt anders, wie informierte Leser bereits wissen. Schließlich hat Johannes ein reales Vorbild: Johannes Scharpfer, ein Bauernbub aus Mimmenhausen, der es bis zum Abt des Klosters Salem brachte und bis 1510 lebte.

Eine Statue von Robert de Molesme, Gründer des Zisterzienserordens, steht heute in Cîteaux, doch von der ursprünglichen Klosteranlage ...
Eine Statue von Robert de Molesme, Gründer des Zisterzienserordens, steht heute in Cîteaux, doch von der ursprünglichen Klosteranlage ist kaum etwas erhalten (Archivbild). | Bild: Sylvia Floetemeyer

Dieses Mal taucht Rückert, die 2018 den ersten Band ihrer Klosterkrimi-Reihe veröffentlichte, tief in die Geschichte und Organisation des Zisterzienserordens ein, der 1098 im Burgund entstand und sich nach und nach in ganz Europa verbreitete. Das um 1137 gegründete Kloster Salem war einst die reichste Abtei am Bodensee.

„Das Buch ist mir schon sehr zisterziensisch geraten“, räumt Rückert denn auch verschmitzt ein. Ihr privater Erstleserkreis habe gemeint: „Jetzt wird‘s allmählich kompliziert“ und auf einem erklärenden Nachwort bestanden. Rückert fasst darin ebenso prägnant wie verständlich die historischen Hintergründe ihres Romans zusammen. Außerdem enthält er ein ausführliches Glossar.

Handlung spielt wieder auf zwei Zeitebenen

Dabei versteht sich die Handlung, die wieder auf zwei Zeitebenen spielt, im späten 15. sowie im 21. Jahrhundert, durchaus von selbst. Sie ist gewürzt mit zahlreichen humoristischen Szenen und sogar einem Hauch Indiana Jones. Zum Beispiel ist wieder Prof. h.c. Gerstenmaier mit von der Partie. Der „Leiter eines renommierten, aber überflüssigen Marktforschungsinstituts“ sorgt unter anderem durch seinen Kampf mit Gendersternchen für Heiterkeit. „Der Abt von Salem“ ist ein anspruchsvoller Unterhaltungsroman, an dem geschichtlich Interessierte ihre Freude haben dürften, hingegen Leute, die vor allem auf Liebesgeschichten mit pseudohistorischer Kulisse stehen, eher weniger.

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Liebe und Lust spielen Hauptrollen

Dabei spielen Liebe und Lust sogar Hauptrollen im Buch, sowohl in Form von Leidenschaften und Lastern der Protagonisten als auch auf intellektueller Ebene. So erfährt der von Gewissenspein geplagte Johannes von einem mitleidigen bücherkundigen Bruder aus Clairvaux vom humanistischen Ideal der „honesta voluptas“, dem ehrbaren Vergnügen, das sich im 15. und 16. Jahrhundert entwickelte. Das habe „ich für meinen armen Johannes“ eingefügt, gesteht Rückert. „Als eine Erklärung für ihn, dass er kein schlechter Mensch ist.“

Birgit Rückert betrachtet den Konsolstein mit dem Konterfei des Baumeisters Hans von Savoy, der in Salem wirkte und dem Rückert in ihren ...
Birgit Rückert betrachtet den Konsolstein mit dem Konterfei des Baumeisters Hans von Savoy, der in Salem wirkte und dem Rückert in ihren Büchern neues Leben einhaucht. | Bild: Sylvia Floetemeyer

Tatsächlich hatte Johannes Scharpfer, der als Abt tatsächlich humanistische, wenn auch nicht einschlägige, Werke für Salem erwarb, zumindest eine Passion für Bücher. Und sein Vorgänger Johannes Stantenat war ein Pferdenarr, wie Rückert herausfand – einer von „vielen Zufallsfunden“, auf die die promovierte Archäologin bei ihren Recherchen stieß. „Die Realität ist fast noch wirklicher“ als die Fiktion, meint sie und fügt hinzu: „Das ist das, was so viel Spaß macht.“ Auch die auf Latein verfassten „Briefe zweier Liebender“, die sich wie ein roter Faden durchs Buch ziehen, gibt es wirklich. Die Schrift, bei der es sich vielleicht nur um fiktive, literarische Fingerübungen handelt, wurde erst in den 1960er Jahren entdeckt – im Kloster Clairvaux, das der Heilige Bernhard 1115 gründete und das sich deshalb dem Mutterkloster Cîteaux ebenbürtig fühlte.

Deren Äbte „haben sich wirklich gefetzt“, versichert Rückert. Etwa über Fragen der Finanzierung und der Bildung. Und immer wieder schlugen auch Zisterzienser, eigentlich ein strikter Reformorden, über die Stränge. So berichten Reisende nach Cîteaux etwa von Unmengen von Fleisch, die dort vom Generalkapitel verzehrt wurden. Auch besaß so mancher Kirchenmann ein luxuriöses Bad, während allerdings die Zisterzienser laut Rückert das Baden lange Zeit ablehnten und nur aus Gesundheitsgründen erlaubten.

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Ende des 15. Jahrhunderts waren die Sitten aber selbst bei den Zisterziensern teils so gelockert, dass sie Reformdruck verspürten. „Man wollte wieder strenger werden“, sagt Rückert. Zum Beispiel habe man den Laienbrüdern das Lesen verboten.

Doppelmoral lässt grüßen

Viele Szenen im Buch, die die Diskrepanz zwischen geistlichem Anspruch und weltlicher Wirklichkeit, um nicht zu sagen: Doppelmoral, illustrieren, erinnern durchaus an aktuelle Kirchenkritik. Doch Rückert verneint energisch, dass sie beim Verfassen die Gegenwart im Kopf hatte: „Was heutzutage diskutiert wird, das gab‘s schon immer.“ Nämlich die Kluft zwischen Ideal und Realität. So habe es immer wieder Anfragen von Nonnen und Mönchen gegeben, aus ihren Orden auszutreten. „Auch im Mittelalter musste sich die Kirche immer wieder mit Schwächen ihrer Eigenen auseinandersetzen.“

Johannes dürfte bei der Stange bleiben. Das ist kein Spoiler, denn schließlich hat er ein historisches Vorbild. Doch seine Vita lässt noch viel Raum für Fantasie, an der es Rückert gewiss nicht gebricht. Am Ende von Band drei deutet sich eine Fortsetzung an. Doch eine Hürde gibt es, die Rückert bei der Entwicklung des Krimiplots stets überwinden muss: „Ich habe ein Problem damit, die Menschen dann zu Mördern zu machen.“