Die Stimmung kurz vor der Probe im Neufracher Jugendheim ist herzlich. Jede hereinkommende Person wird freundlich begrüßt. Gesprächsstoff gibt es offensichtlich reichlich. Kein Wunder, denn die Chormitglieder um Leiter Winfried Neumann kennen sich größtenteils schon mehrere Jahrzehnte. Siegfried Hartwig ist seit 70 Jahren dabei. Dafür hat ihn die stellvertretende Vorsitzende Conny Kanz bei der letzten Generalversammlung zusammen mit seinen Kolleginnen Petra Meier und Waltraud Dunst geehrt. Gewürdigt wurden auch Lissy Raither, Maria Walter und Elke Merk für 61 beziehungsweise 51 Jahre Chorgesang.
„Mit 14 Jahren sonst nirgends hingekommen“
Was die Geehrten bei der Stange hält und wie sie überhaupt dazu kamen, zu Ehren Gottes zu singen, verraten sie im Gespräch. „Dich kann ich gebrauchen. Nächste Woche gehst du in den Kirchenchor“, hat sein ehemaliger Volksschullehrer zu Siegfried Hartwig gesagt. Dem Ruf des Lehrers ist der heute 84-jährige Basssänger gern gefolgt. “Mit 14 Jahren ist man ja sonst nirgends hingekommen“, führt er weiter aus. Seine damalige Freundin Rosemarie hat er acht Jahre nach seinem Eintritt auch mitgebracht. Seitdem die beiden verheiratet sind und in Markdorf wohnen, fahren sie jeden Mittwochabend gemeinsam zur Chorprobe nach Neufrach. Vor acht Jahren bei Hartwigs goldener Hochzeit übernahmen die Gesangskameraden selbstredend die musikalische Umrahmung in der Kirche. „Mir hat das Singen immer Spaß gemacht und die Kameradschaft ist einfach supergut“, nennt der Jubilar seine Motivation, weiterzusingen.
„Der Chor war meine zweite Familie“, sagt seine Kollegin Lissy Raither. Sechs Jahrzehnte war sie dem Kirchengesang treu, bis das Singen nicht mehr so funktionieren wollte. Jetzt kommt sie zum Zuhören. Als 15-Jährige ist sie mit Freude in die Chorgemeinschaft eingetreten. Das sei die einzige Gelegenheit zum abendlichen Ausgehen gewesen. Ab und zu habe sie eine Probenrunde geschwänzt, um sich mit ihren Freunden zu treffen. Sehr gern erinnert sich Raither an gemeinsame Aktionen wie Bälle oder Flohmarktstände. Maria Walter und Elke Merk lassen 50 Kirchenchorjahre Revue passieren. „Ich bin bis heute gern dabei“, sagt Walter und erinnert sich an „tolle gemeinsame Ausflüge und Feste“. Die erste Weinprobe ihres Lebens habe sie beispielsweise mit der Singgemeinschaft erlebt. Merk sind die Orgel- und Glockenfeste noch in bester Erinnerung. Die örtlichen Bauern hätten Schweine für das anschließende Schlachtfestessen gestiftet, fällt Walter noch ein.

Schon Eltern und Brüder singen im Kirchenchor
Die Gemeinsamkeit ist es, die Petra Meier seit 50 Jahren bei der Stange hält. 31 Jahre davon singt sie nicht nur, sondern hat auch den Chorvorsitz inne. Vorher hat sie sich um die Noten gekümmert und das Amt der Schriftführerin ausgeübt. „Mir wurde der Chorgesang quasi in die Wiege gelegt“, berichtet Meier. Ihre Eltern, zwei Brüder und weitere Verwandte seien schon vor ihr Mitglieder im Kirchenchor gewesen. Auch die für 50 Jahre Mitsingen geehrte Waltraud Dunst kam über ihre Verwandtschaft zum Kirchengesang. Beim Kartoffelauflesen im Jahr 1974 habe ihre Tante Lisbet sie zum Mitsingen angeworben. Bis heute hat Dunst keine Probe versäumt. “Ich bin auch gekommen, wenn ich heiser war – dann zum Zuhören“, unterstreicht Dunst, wie sehr ihr der Kirchenchor am Herzen liegt.
Wie gut ihre Gesangskameraden sich untereinander kennen, zeigt sich bei der Frage nach einem möglichen Lieblingslied. „Es dunkelt schon in der Heide“, rufen die anderen Chorsänger, bevor Dunst antworten kann. Die nickt und meint, das Liebeslied gefalle ihr einfach. Dass die Vorsitzende ein irisches Segenslied bevorzugt, stört weder Dunst noch die übrigen Mitglieder. „Dass sich alle hier gegenseitig akzeptieren, finde ich ganz besonders“, sagt Meier mit Blick auf ein „tolles Miteinander“.