Ein letztes Mal hätten sie in den Ferien ausschlafen können. Doch die zehn Teenager, die am Sonntagmorgen vor den Toren des Affenbergs warten, haben sich bewusst dagegen entschieden. Allein für sie öffnet Parkleiter Roland Hilgartner die Pforten und nimmt sich Zeit für eine exklusive Führung durch das Berberaffen-Gehege. Ebenfalls begrüßt werden die Jugendlichen von Stefan Hilser, dem Leiter der Überlinger SÜDKURIER-Lokalredaktion. „Heute erfüllt sich ein Anliegen, den Affenberg als Einrichtung zu präsentieren, die weit mehr ist als ein Zoo“, erklärt er die Intention der gemeinsamen Aktion von Affenberg und SÜDKURIER.

Forschungsstätte und Refugium
Neben einem Refugium für eine auswilderungsfähige Population sei der Affenberg auch eine wichtige Forschungsstätte – „und all das braucht Nachwuchs“. Somit erwartet die Teenager keine Gästeführung, sondern ein Forscher-Vormittag, bei dem Hilgartner sie anleiten wird, wie richtige Wissenschaftler zu Werke zu gehen. Der promovierte Primatologe ist selbst regelmäßig auf Forschungsreisen in allen Urwäldern der Welt unterwegs. Seine Beobachtungen und Forschungsergebnisse dokumentiert er auch fotografisch, was Hilser beeindruckt würdigt: „Sie tragen bei gegen die Vernichtung der Urwälder, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern indem Sie deren Schönheit präsentieren.“

Realistisches Bild von der Wissenschaft
Roland Hilgartner freut sich daher auf die Möglichkeit, einen Einblick in die Arbeit als Tierbeobachter und Verhaltensforscher zu geben: „Forschung wird oft romantisiert, aber es steckt knallharte Wissenschaft dahinter“, macht er deutlich. Auch deshalb mussten sich die Jugendlichen mit einem Motivationsschreiben samt Forschungsfragen bewerben. Redaktionsleiter Hilser offenbart, dass der erwartete Ansturm jedoch ausblieb: „Jede Bewerbung war ein Volltreffer. Das Interesse, tief einzusteigen, ist offenbar gar nicht so groß“, bedauert er.

Die Jugend forscht, die Eltern frühstücken
Die fünf Bewerber, die jeweils eine Freundin oder einen Freund mitbringen durften, sind dafür umso wissbegieriger. Während ihre Eltern im Hof der Gutsschänke verköstigt werden, folgen sie Hilgartner zum Affengehege, wo er die Nachwuchsbiologen auf den nötigen Abstand zu den Tieren hinweist: „Als Verhaltensforscher ist das wichtig, sonst reagieren die Tiere auf meine Präsenz.“ Um das Gebaren der rund 200 Berberaffen besser beschreiben und interpretieren zu können, weist der Parkleiter auf das auffälligste Unterscheidungsmerkmal von Männchen und Weibchen hin: „Am besten, ihr schaut aufs Hinterteil“, zeigt er die rosa-bläuliche Brunftschwellung der Weibchen.

Ohne Forschungsfrage geht nichts
Am Treewalk angekommen, will Hilgartner von den Teenagern wissen, mit welcher Schrittfolge Berberaffen laufen. „Gemeine Frage, oder?“, gibt er angesichts der ratlosen Gesichter zu. „Das zeigt, dass man ohne eine Forschungsfrage zwar viel sieht, aber es geht nicht weiter als bis zur Netzhaut.“ Deswegen teilt der Parkleiter den Jugendlichen unterschiedliche Beobachtungsaufgaben zu: Eine Gruppe soll auf das Spielverhalten achten, die nächste auf die Kommunikationskanäle und die dritte soll herausfinden, ob die Affen Rechts- oder Linkshänder sind. „Und wenn ihr Alttiere mit Babys seht, schaut alle hin, wer sich kümmert.“

Fellpflege als soziales Schmiermittel
Im Folgenden herrscht gespannte Stille, die ab und zu durch ein Kreischkonzert der Affen durchbrochen wird. Als ein Männchen ein fressendes Weibchen verjagt und daraufhin selbst zum Gejagten wird, lässt Hilgartner die Jugendlichen zunächst ihre Beobachtungen schildern, dann geht es ans Interpretieren. Die 14-jährige Helena vermutet richtig, dass sich das Weibchen Hilfe geholt habe. Der Primatologe erklärt: „Die ausgewachsenen Männchen stehen über den Weibchen, aber über Strategien und Allianzen können sie sie in die Defensive bringen.“

Diese Hilfe erfolge aber nicht ganz uneigennützig: „Fellpflege ist so eine Art soziales Schmiermittel und Zahlungsmittel“, erklärt Hilgartner. Eine Beobachtung der Jungforscher hebt der Parkleiter als besonders außergewöhnlich in der Welt der Primaten hervor: Die meisten Tiere, die sie mit Baby sehen, sind Männchen. „Somit können sie relativ gefahrlos Kontakt aufnehmen und sich in der Hierarchie nach oben arbeiten.“ Denn nicht der Stärkste, sondern der beste Netzwerker sei der Chef der Gruppe.

Anleitung zu wissenschaftlichem Arbeiten
Dass es die scheinbar simplen Beobachtungsaufgaben in sich haben, zeigt sich bei der Auswertung. Zwar erkannten die Nachwuchsforscher schnell, dass die Affen über Laute, Gestik und Mimik kommunizieren, doch ein Spielverhalten ließ sich während ihres Aufenthalts nicht beobachten und bei der Händigkeit kamen die Teenager auf unterschiedliche Ergebnisse. „Wie würdet ihr da für eine Bachelor-Arbeit rangehen?“, lenkt sie Hilgartner auf ein Forschungsdesign, wo es auf die Wahl der Stichprobe und der zu beobachtenden Tätigkeiten ankomme. „Euch würde ich einen Stift in die Hand drücken. Wir müssen die Affen motorisch an ihre Grenzen bringen.“
Der 17-jährige Tizian schlägt ein Stocherspiel vor, um an Nahrung zu kommen. Damit ist er auf einer heißen Spur, die allerdings im Versuch scheiterte: Studenten hatten für den Affenberg eine Futterbox entwickelt, doch das ranghöchste Tier habe diese besetzt. „Mit diesem simplen Beispiel will ich zeigen, dass Wissenschaft richtig Arbeit ist“, kommentiert Hilgartner. Auf die Forschungsfrage habe er also selbst auch noch keine Antwort.

Für die Jugendlichen ist der Vormittag dennoch ein voller Erfolg. Tizian interessiert sich vor allem für die psychologischen Aspekte und könnte sich nach dem Abitur im nächsten Jahr ein Studium der Kriminalpsychologie, aber auch Tierpsychologie oder Biologie vorstellen. Die spannendste Erkenntnis für ihn: „Dass das Baby der gute Wein ist“, zieht der Schüler aus Singen schmunzelnd einen Vergleich. Helena aus Heiligenberg begeistert sich für Naturwissenschaften: „Ich fand die Aktion voll cool, das hat gut gepasst.“ Ihre Freundin Bianka ist ebenfalls voll des Lobes und nutzt die Forschungsführung für viele Fragen. Selbst beworben hatte sie sich jedoch nicht.

Als die Jungforscher zurückkehren, warten ihre Eltern gestärkt und gespannt vor der Gutsschänke. Langeweile kam keine auf: „Man konnte mal die Ruhe und Stille genießen, bevor es hier losgeht“, meint Thomas Münkle aus Uhldingen, der von der Aktion in der Zeitung gelesen hatte. „Das ist eine gute Sache, die Chance hat man ja sonst nicht.“ Auch Hilgartners Fazit fällt sehr positiv aus: „Toll, wenn man so interessierte Jugendliche da hat.“ Gerade in den vergangenen Jahren habe sich gezeigt, wie sich Fake News zulasten von wissenschaftlich gewonnenen Fakten verbreiteten. „Es muss nicht jeder Verhaltensforscher werden, aber zu verstehen, wie Wissenschaft abläuft, schadet nicht.“ Für eine Fortsetzung dieser Premierenaktion mit dem SÜDKURIER ist er daher offen: „Das nächste Mal dann über die Störche.“