Herr Spiegel, 21.388 Kilometer liegen hinter Ihnen, was war die größte Herausforderung?
Das war sicherlich der Dempster-Highway von Dawson City bis zum Nordpolarmeer nach Tuktoyaktuk. Nachts hat es geregnet und so wurde die unbefestigte Strecke teilweise zu einer Schlammpiste. Diese 1700 Kilometer waren nicht einfach. Ich habe sie dennoch unfallfrei gemeistert.
Sie waren in Neufundland, am Nordpolarmeer und in Alaska. Wo war es am schönsten?
Das ist unmöglich zu sagen. In Neufundland habe ich Eisberge und Wale gesehen, am Nordpolarmeer Mücken ohne Ende und in Alaska eine Landschaft, die mich an Norwegen erinnerte und jede Menge Tiere wie Karibus, Elche, Schwarz- und Braunbären.
Zum Auftakt fuhren Sie von Montreal nach Osten nach Neufundland. Was ist Ihnen hier in Erinnerung geblieben?
Vor allem die Freundlichkeit der Menschen. Es war wirklich bemerkenswert. Wenn man mal stehen blieb, um nach dem Weg zu schauen, hielt sofort ein Autofahrer an und bot Hilfe an. Außerdem haben wir 20 oder 30 Wale gesehen. Auch die Eisberge waren eindrucksvoll, doch der Klimawandel war klar zu sehen: Sie werden immer kleiner.
Dann ging es nach Westen in Richtung Rocky Mountains…
Das war ein langer, ein richtig langer Weg. Ich bin durch eine schier endlose Weite gefahren. Gerade Ontario war unglaublich. Da passiert man das Schild des Staates, fährt drei Tage lang nach Westen und ist immer noch in Ontario. Dann kommen aber erst noch Manitoba und Saskatchewan vor den Bergen.
Wie ist es in diesen Staaten?
Es gibt dort ebenfalls unglaubliches Flachland. Allerdings befinden sich dort erstaunlich viel Erdöl- und Gasindustrie. Das hat mich etwas überrascht. Und die Lkws fahren dort schneller als die Autos und Motorräder. (lacht)
Dann kamen Sie in die Goldgräberstadt Dawson City.
So ist es. Über Alberta und den Yukon landete ich in Dawson City. Dort habe ich sogar selbst versucht, Gold zu schürfen. Es war interessant, aber durchaus ein Knochenjob. Da fuhr ich dann lieber weiter.
In welche Richtung?
Dann ging es nach Norden in Richtung Nordpolarmeer über den Dempster Highway, der erst seit vergangenen November ganzjährig zu befahren ist. Dementsprechend unbefestigt war es auch. Diese Straße war eher eine 800 Kilometer lange Schlammpiste. Es war nicht einfach zu fahren.
Haben Sie jemanden getroffen?
Ich habe tatsächlich etwa zehn Motorradfahrer getroffen. Drei Inder waren echt der Hammer. Die waren mit ihre 125er Maschinen ohne Stollenreifen unterwegs und sagten mir, dass sie noch bis Mexiko fahren wollen.
Gibt es dort nicht viele Mücken?
Ganz ehrlich: Auf dem Weg nach Tuktoyaktuk gab es tatsächlich kaum welche. Dafür dort umso mehr. Es waren regelrechte Mückenschwärme, die wie Vorhänge gewirkt haben.
Wie ist das Leben dort?
Es gibt eine erstaunlich gute Infrastruktur. Eine hochinteressante Stadt ist Inuvik. Dort gibt es quasi moderne Pfahlbauten. Hier herrscht Permafrost und alle Gebäude sind auf Pfählen gebaut.

Sind Sie den Dempster-Highway dann wieder zurückgefahren?
Genau. Danach ging es nach Alaska in Richtung Denali Nationalpark rund um den Mount McKinley.
Wie war es dort?
Es war irgendwie wie in Norwegen. Leider wird der Massentourismus immer stärker dort. Trotzdem habe ich noch viele Tiere gesehen.
Die Bären, von denen Sie schon redeten?
Unter anderem. Da war eine Braunbärenmutter mit ihren drei Kleinen. Ich stand auf einer Brücke und sie ging direkt unter mir durch. Es hat mich gereizt, ihr mit dem Fotoapparat nachzugehen. Ich habe mich dann aber doch für die sichere Variante entschieden und bin geblieben. (lacht)
Was haben Sie noch in Alaska gesehen?
Ich bin nach Süden gefahren und habe in Haines die Fähre genommen. Die nennt man Alaska Marine Highway. Damit fuhr ich nach Juneau, der Hauptstadt Alaskas, die man nur mit dem Flugzeug oder dem Schiff erreichen kann. Dann ging es weiter bis nach Prince Rupert, das schon wieder Kanada ist.
Dann waren Sie ja schon fast am Ziel in Vancouver.
Die Betonung liegt auf fast, denn als ich dort war, gab es in British Columbia etwa 500 Waldbrände. Das war ein unbeschreiblicher gelber Qualm, durch den ich mich gequält habe. Das hat gestunken und brannte extrem in den Augen.
War das nicht gefährlich?
Nein, es gab immer aktuelle Informationen, wo man fahren darf und wo nicht. Ich habe nie Flammen gesehen. Es dauerte aber 800 Kilometer und etwa eineinhalb Tage, bis ich in Whistler die Sonne wieder gesehen habe.

Dann waren Sie aber fast am Ziel?
Dann waren es nur noch etwas mehr als 100 Kilometer zum Flughafen.
Wie fällt Ihr Fazit aus?
Es war eine unglaublich intensive Reise. Und ich habe noch nie so viel Fish & Chips gegessen wie in diesen 77 Tagen. Bemerkenswert war, dass ich ohne Reifenwechsel durchgefahren bin. Es war eine tolle Reise und ich freue mich schon jetzt auf das nächste Abenteuer.
Fragen: Reiner Jäckle
Zur Person
- Charlie Spiegel, 62, aus Überlingen ist gelernter Bankbetriebswirt und befindet sich in der passiven Phase seiner Altersteilzeit. Seine Leidenschaft für das Motorradfahren entdeckte er bereits mit 16 Jahren. Er war schon mehrere Male in Südamerika unterwegs. 2016 umrundete er in elf Monaten und drei Etappen den Kontinent. Anschließend präsentierte er seine Eindrücke in mehr als 35 Multivisionsvorträgen und in seinem Buch „40.000 Kilometer Südamerika – Mit dem Motorrad quer durch den Kontinent“. Im Sommer absolvierte er in 77 Tagen seine nächste große Tour „Transkanada & Alaska“. Seine Aktivitäten mit dem Motorrad dokumentiert er in seinem Internetblog www.mototrotter.de
- Die Tour: Die Transkanada- und Alaska-Tour startete in Montreal. Von da aus ging es nach Osten bis nach St. Johns in Neufundland und wieder zurück. Anschließend fuhr Spiegel über Edmonton und Dawson Creek durch die Rocky Mountains über den Dempster-Highway bis nach Tuktoyaktuk. Diese Strecke ist erst seit vergangenen November überhaupt ganzjährig befahrbar. Danach ging es nach Alaska bis nach Homer. Mit dem Schiff fuhr Spiegel unter anderem nach Juneau, die Hauptstadt Alaskas, die man nur mit dem Flugzeug oder mit dem Schiff erreichen kann. Anschließend ging es durch ein Waldbrand-Gebiet in British Columbia bis nach Vancouver. Spiegel legte 21 388 Kilometer in 77 Tagen zurück.
- Das Motorrad: Charlie Spiegel war mit einer BMW G650 GS unterwegs. Das Motorrad wiegt 205 Kilogramm. Hinzu kamen noch etwa 40 Kilogramm Gepäck, wovon der Großteil die Kameraausrüstung betrug. Außerdem hatte er zwei Benzin-Kanister mit insgesamt elf Litern Sprit dabei. Das Motorrad hat 50 PS und verbraucht etwa 3,2 Liter auf 100 Kilometer. Der 14-Liter-Tank reicht also ungefähr 400 Kilometer.