Ja, es ist möglich, mit einem Rollator über den Überlinger Weihnachtsmarkt zu gehen. Nein, für Menschen mit Geh-Handicap und Krücken gilt das nicht. Grund dafür sind die auf dem Platz aufgebrachten Hackschnitzel, die laut Veranstalter Oliver Bleser für Sicherheit sorgen sollen. Anita Seehuber kann den Platz weder überqueren, noch hinter den Hütten entlanggehen, denn dort verlaufen die sogenannten Kabeltunnel, für sie ebenfalls ein unüberwindliches Hindernis.

Ein Besuch des Weihnachtsmarkts ist für sie aufgrund ihrer Krücken schlicht nicht möglich. Oliver Bleser erklärt: "Sobald es auf dem Platz durch überfrierenden Regen oder Nebel glatt wird, steigt das Unfallrisiko. Durch die Hackschnitzel sind wir hier auf der sicheren Seite." Das angenehm warme Gefühl unter den Füßen ist für ihn eine Begleiterscheinung, aber nicht der Grund für seine Maßnahme. Anita Seehuber kann der Argumentation nicht recht folgen. "Normalerweise ist ja der Platz auch nicht mit Hackschnitzeln angefüllt und auch die restlichen Straßen und Plätze der Stadt sind es nicht", sagt sie.

Für Ingrid Fleiner stellen die Hackschnitzel kein Problem dar. Die rüstige Seniorin vom Schättlisberg wagt den Versuch mit dem Rollator. Beherzt geht sie mit ihrem Rollator von Stand zu Stand und das funktioniert einwandfrei. "Sehen Sie, es geht doch", sagt die 96-Jährige strahlend und Oliver Bleser strahlt mit ihr. Eine weitere ältere Frau kommt ebenfalls mit dem Rollator und wieder geht alles gut. Eine Mutter schiebt den Kinderwagen ebenfalls ohne Mühe über den Weihnachtsmarkt. "Schreiben Sie, wie schön doch der Markt ist", ruft sie uns zu.

Schön ist hier nicht die alleinige Frage, findet Dorothea Horn. Sie ist die Behindertenbeauftragte des Bodenseekreises im Landratsamt. Horn verweist auf die UN-Behindertenrechtskonvention und meint zum Überlinger Weihnachtsmarkt: "Die Barrierefreiheit ist hier wohl nicht im Blick gewesen, wir appellieren an das Bewusstsein des Veranstalters, dies beim nächsten Weihnachtsmarkt doch zu berücksichtigen."

Oliver Bleser verspricht: "Wenn ein Rollstuhlfahrer hier nicht zurechtkommt, helfe ich ihm persönlich und ich bin jeden Tag da." Die UN-Konvention, der Deutschland bereits 2009 beigetreten ist, besagt, dass Menschen mit Handicap eine Teilhabe am kulturellen Leben haben sollen. Voraussetzung dafür ist eben die Barrierefreiheit. Eine Lösung dieses Problems sieht Bleser erst einmal nicht. Bei einem Vorschlag, mit einem Rollrasen Abhilfe zu schaffen, winkt er ab. Zu teuer, keine Lagermöglichkeit, so seine Argumente. Bleser will sich bei seiner Versicherung genau erkundigen, wie die Haftung im Falle eines Unfalls, verursacht durch Glättebildung, aussieht, verspricht er. Seit mehreren Jahren schon werden die Hackschnitzel auf der Überlinger Hofstatt zum Weihnachtsmarkt verwendet und daran hält Bleser fest. "Allerdings sehe ich auch die Problematik und bin für Vorschläge offen und dankbar."

Artikel 9

Deutschland trat am 26. März 2009 der UN-Behindertenrechtskonvention bei. Artikel 9 über die Zugänglichkeit und Barrierefreiheit von Straßen beinhaltet unter dem Leitbild „Inklusion“, dass Menschen mit Behinderungen ebenso mit einbezogen werden müssen. Artikel 9 regelt zudem die Teilhabe am kulturellen Leben, Erholung und Freizeit. In Artikel 30 geht es um Gleichberechtigung: Zugang zu Orten kultureller Darbietungen oder Dienstleistungen, wie Theater, Museen oder Kinos, sowie, so weit wie möglich, zu Denkmälern und Stätten von nationaler kultureller Bedeutung haben.