Christine Gäng

Überlingen/Fenestrelle – Hunderte Schmuckschleifen in den deutschen und italienischen Nationalfarben zierten das ganze Dorf Fenestrelle. „Willkommen Freunde“, stand auf Kärtchen neben jedem Bett in den Hotelzimmern und Ferienwohnungen. Mit vielen liebevollen Details wurde deutlich, wie bedeutsam, freudig und wertschätzend der Besuch der Überlinger von den Mitgliedern der Folkloregruppe Bal da Sabre di Fenestrelle anlässlich ihres Jubiläums erwartet wurde. 2008 hatte man sich im englischen York bei einem internationalen Schwerttanztreffen kennengelernt und schnell erkannt, dass eine Identitätsverbundenheit besteht. Auch die Ähnlichkeiten im Tanz sind augenfällig. Fahnenträger und Narren – hier das Hänsele, dort der Harlekin – sind prägende Rollen. Getanzt wird in einer Kette, sich an den Schwertern haltend. Die Schwerter werden gekreuzt im Maschen, symbolisch wird über die Klinge gesprungen. Unterschiede gibt es allerdings in der Deutung. Prägt den Schwerttanz in Überlingen das militärische Zeremoniell, soll der italienische Tanz den Kreislauf des Lebens und der Jahreszeiten darstellen.

Nach 600 Kilometern Busfahrt gab es ein herzliches Willkommen, abends das erste Fest mit der regionalen Spezialität, den knusprig gebackenen Gofri-Waffeln. Dabei wurde auch eins der aus Überlingen mitgebrachten Gastgeschenke angestochen: Vier 30-Liter-Fässer einschließlich Bierkrügen hatte die Gäste dabei. Denn „Tannenzäpfle“ gehörte zu den ersten gelernten deutschen Worten 2009 beim Besuch in Überlingen.

Tags darauf stand ein gemeinsamer Besuch des ägyptischen Museums in Turin auf dem Programm. Am Abend traf man sich mit Leuten des ganzen Dorfs und aus der Umgebung am Sportplatz und feierte mit okzitanischen Volkstänzen, Rundtänzen zum Mitmachen für Jung und Alt. Besondere Begegnungen gab es darüber hinaus immer wieder, sei es die Möglichkeit, die Drehleiher auszuprobieren, spontane nächtliche Einladungen zu Pizza am Holzbackofen im Garten, Balkonfeiern oder der Erkenntnis des Bürgermeisters, dass das Schnellen mit der Karbatsche doch nicht so leicht ist, wie es aussieht. Bei den opulenten gemeinsamen Essen kam man trotz aller Sprachschwierigkeiten ins Gespräch, zur Not half Dolmetscherin Michelle Benson.

Höhepunkt war die sonntägliche Feier der Neugründung vor 50 Jahren mit einer Prozession, dem gemeinsamen Kirchgang, dem Zug zur Festung und dem Festmahl in den dortigen Gewölben, gekrönt von den Aufführungen aller Gruppen auf dem Sportplatz. Die Gründungsmitglieder wurden geehrt, darunter der derzeitige Präsident Claudio Challier sowie Fahnenträger Corrado Bannardel. Die abendliche Pizza-Party dehnte die Jugend gemeinsam bis in die frühesten Morgenstunden aus. So wurden in allen Generationen Freundschaften vertieft und neue geknüpft.

Fridolin Zugmantel, Erster Platzmeister und damit Vorsitzender der Schwertletänzer, freute sich über die emotionale Verbundenheit und dankte für die herzliche Gastfreundschaft. Er kündigte an, dass die Freunde aus Fenestrelle als erste eingeladen werden, wenn das 375. Jubiläum der ersten urkundlichen Erwähnung des Überlinger Schwertletanzes gefeiert wird. Angedacht ist ein Schwerttanztreffen in Überlingen im Jahr 2021.

Fenestrelle

  • Die italienische Folkloregruppe Bal da Sabre von Fenestrelle feierte vom 18. bis 20. August ihre Neugründung vor 50 Jahren. Dazu lud sie die Schwerttanzkompanie Überlingen ein. Kennengelernt hatte man sich 2008 beim internationalen Schwerttanztreffen im englischen York. 2009 war die italienische Gruppe zur Schwedenprozession nach Überlingen eingeladen, 2010 erfolgte der erste Besuch in Fenestrelle.
  • Der Bal da sabre (Tanz der Schwerter) wurde in Fenestrelle 1967 wiederbelebt. Anlass war ein Vortrag 1965 über Tanztraditionen im Chisone-Tal und speziell in Fenestrelle. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte ein Heimatforscher den Tanz beschrieben, welcher in einem rot-weißen Kostüm zu Karneval und besonderen Festen aufgeführt wurde. Bis heute ist dies insbesondere das Patronatsfest San Luigi am 25. August. Der Tanz durfte in früheren Zeiten nur von erwachsenen Männern getanzt werden. Kindern und Frauen war die Teilnahme bei den Aufführungen verboten.
    Dass die Neugründung der Tanzgruppe möglich wurde, ist der Neugier von Kindern zu verdanken, welche heimlich die Tänzer beobachteten und so Erinnerungen an die Tanzformen hatten.
  • Mussolini suchte 1935 eine Gruppe, um Italien bei einem Folklorefest ist London zu vertreten. Er zahlte der Gruppe von Fenestrelle die Reise. In Filmaufnahmen ist zu erkennen, dass zu diesem Anlass die Kleidung die heutige Form erhielt, in den italienischen Nationalfarben.
  • Fenestrelle ist ein im Piemont auf 1154 Metern Höhe gelegenes Bergdorf im Chisone-Tal mit etwa 600 Einwohnern. Es liegt von Turin kommend auf der Straße von Pinerolo nach Sestriere. Dort fanden nahe der französischen Grenze die olympischen Winterspiele 2006 statt.
  • Die größte Bergfestung Europas befindet sich in Fenestrelle. Sie besteht aus drei Burgen, drei Feldschanzen und zwei Batterien, die mit 4000 Stufen einer geschlossenen Treppe und Wehrgängen verbunden sind. Der Militärkomplex zieht sich mehrere Kilometer entlang eines Bergrückens auf einem Höhenunterschied von über 600 Metern und ist nach der chinesischen Mauer das zweitgrößte Mauerwerk der Welt. (cg)