Dieter Leder

"Von dem Augenblick an bin ich gerannt!" Sie erinnert sich noch genau an jenen Morgen, als sie aufwachte und sagte: "Okay, dann mache ich es eben selber. Ja, du glaubst es nicht, ich bin nur noch gerannt – mit voller Kraft – und habe gebetet."

Mittlerweile steht "eKhaya" an der Ladentüre, das ist Zulu, und übersetzt heißt das: Zuhause. Philadelphia Ecker, die alle nur als Philadelphia kennen, sitzt in ihrem Laden, ihrem Zuhause, sie trägt lange schwarze Rastalocken und ein blaues Kopftuch. "Ich stehe jetzt zum Glück wieder mit beiden Füßen auf dem Boden", sagt sie. Sie braucht nicht mehr zu rennen, sie ist angekommen in ihrem Laden, sie ist glücklich, um nicht zu sagen, überglücklich: „Das ist mein Platz, hier passe ich her.“ Sie ist nicht alleine in ihrem Salon. Nancy Omorogie, Sidonie Yimkouan und Isata Singateh arbeiten im hinteren Teil des Ladens, sie flechten ihren Kunden Zöpfe oder richten afrikanische Haartrachten her. Die drei stammen aus Nigeria, Kamerun und Gambia, sie wohnen noch in der Flüchtlingsunterkunft in Goldbach.

Philadelphia kennt die Unterkunft in Goldbach auch, allerdings aus einer anderen Erfahrung. Als sie vor sieben Jahren nach Deutschland kam, wird die dunkelhäutige Afrikanerin immer wieder gefragt, ob sie in Goldbach wohnt. "Am Anfang hatte ich überhaupt nicht verstanden, was die Frage soll." Aber dann wurde ihr langsam klar, dass damit die Flüchtlingsunterkunft gemeint war. Auch heute noch wird sie das gefragt. Sie war allerdings nie auf der Flucht und hat auch nie in den Überlinger Flüchtlingsunterkünften gewohnt. Die Weltbürgerin ist in Johannesburg in Südafrika geboren, lebte einige Jahre in England, dann wieder in Südafrika. In Seoul, Südkorea, lernt sie ihren späteren Mann kennen, einen Überlinger Geschäftsmann. 2009 zieht sie zu ihm nach Überlingen, hier heiraten sie.

"Wow, hier bin ich!" Rückblickend erinnert sich Philadelphia an ihre Ankunft in Überlingen. "Frisch verheiratet ist alles schön." Und sie liebt das Wasser. Es hat alles gepasst. Die Menschen hier kommen ihr anfänglich merkwürdig vor, allgemein schwermütig und von einer inneren Leere gekennzeichnet, die deutsche Mentalität ist ihr fremd. Das ist genau das Gegenteil von dem, was sie aus Afrika kennt. "Lebensfreude hat jeder, das hat doch nichts mit den allgemeinen Umständen zu tun", erklärt sie. "Viele Leute besitzen nichts Materielles, aber sie besitzen überschäumende innere Lebensfreude."

Sie ist tief traurig darüber, sie fragt sich nach dem Sinn des Lebens und ob Überlingen wirklich ihr Platz ist. Ihr Vater ist Pastor, die christliche Werte und Ideen hat sie von ihm: "Christentum bedeutet Liebe und die Liebe erreicht jeden unserer Brüder." Liebe ist für sie eine Geste, ein Handeln, ein Helfen. Nicht umsonst ruft man sie Philadelphia, der griechische Name für geschwisterliche Liebe. Es ist in ihrem Blut, anderen zu helfen. "Was kann ich für andere tun?" Die Frage stellt sie sich häufig, und sie kennt auch die Antwort: "Ich kann viel für andere tun!"

Sie teilt ihre innere Lebensfreude mit den anderen. Und materiell hilft sie, wo es eben geht. Sie sucht beispielsweise Arbeit für die Flüchtlinge. Und fragte bei den Überlinger Frisören an, ob bei ihnen nicht stundenweise anerkannte Flüchtlinge mit Arbeitserlaubnis für afrikanische Haarmoden arbeiten könnten. Die nächsten afrikanischen Frisöre gibt es erst in Singen, Konstanz und Friedrichshafen, nicht aber in Überlingen. Nachfrage wäre also da.

Ihre Anfragen blieben ergebnislos. Sie war schon wieder frustriert – bis zu jenem Morgen, als sie aufwachte und beschloss: "Dann mache ich es eben selber." Und dann begann für sie das Rennen, denn es war nicht so ganz einfach, einen Laden zu eröffnen. Aber sie war zäh und eröffnete ihren eigenen Salon für afrikanische Haarmoden. Riesen-Unterstützung und Hilfe bekam Philadelphia von Christiane Allweier aus der Genuss-Ecke. Von ihr hat sie den Laden in der Jakob-Kessenring-Straße übernommen. "Ein großartiger Laden, wie gemacht für mich." Und von Antje Efkes, ihrer Deutschlehrerin vom Sprachkurs. "Gott hat sie mir geschickt, sie war an meiner Seite von dem Moment, als ich losrannte."

Es war viel Arbeit, aber es klappte. Und je näher die Eröffnung im Juni rückte, desto aufgeregter wurde sie. Und plötzlich war auch die ganze Frustration verflogen. "Das Leben ist erstaunlich gut", schwärmt sie. Ihr Laden ist mittlerweile nicht nur ein Salon für afrikanische Haarmode, es gibt auch Kosmetik, afrikanische Moden, Stoffe, Einrichtungsgegenstände, afrikanische Genussmittel, Accessoires, und natürlich ihre eigene Musik-CD. Und ab Herbst, wenn alles klappt, gibt es dann auch afrikanische Speisen. Philadelphia ist glücklich, sie breitet die Arme aus, und beschreibt ihre Gefühle so: "Blauer, wolkenloser Himmel, ich stehe in einem riesigen Feld voller Gänseblümchen.... und rieche an jeder einzelne Blume – ja, genau so fühle ich mich!"

Afrikanische Haartracht

Afrikanische Frisuren sind geprägt vom afrikanischen Selbstverständnis und Selbstbewusstsein. Sie sind nicht einfach nur Mode, traditionell signalisieren sie Stammeszugehörigkeit und Stellung. Sie sind auch heute noch sozialer und spiritueller Ausdruck und insbesondere auch Statussymbol. Das gegenseitige zeitintensive und aufwendige Machen der Frisuren war und ist auch heute noch ein gesellschaftliches Ereignis und sehr kommunikativ. Die afrikanische Haartracht stellt nur einen Teil des Gesamtkunstwerkes dar: Erst mit der Bekleidung und Bemalung komplettiert sich das Bild. (dle)