Es ist kalt im Zugabteil. Sandra Wischnewski hat sich die Jacke bis unter die Nasenspitze hochgezogen. Wenn die Temperaturen auch eisig sind: Die Stimmung der Reisenden im Erste-Klasse-Abteil untereinander ist ausgesprochen herzlich und die Gespräche angeregt. Wie eigentlich immer, seit auf der Strecke Basel-Ulm die neuen, gelb-weißen Züge verkehren. "Man versucht, sich irgendwie gegenseitig zu helfen", erklärt die Pendlerin. Denn in der Ersten Klasse gibt es Probleme.
Nicht nur mit den Temperaturen, sondern auch hinsichtlich des Platzes: In den neuen Zügen wurden die Erste-Klasse-Abteile um zwei Drittel reduziert. "Und das, obwohl mal schon in den alten Zügen oft keinen Platz bekommen hat", beklagt Simone Rau, die regelmäßig von Überlingen nach Friedrichshafen fährt. Nur noch acht Plätze pro Wagen stehenden Bahnreisenden der Ersten Klasse nun zur Verfügung – und die sind auf sehr schlanke und sehr kleine Menschen mit ausgesprochen wenig Gepäck ausgerichtet.
Alle anderen kommen nicht umhin, mit den Mitreisenden in Körperkontakt zu kommen und ihr Gepäck außerhalb des Abteils abzustellen. "Ich suche mir deshalb meistens in der Zweiten Klasse einen Platz", sagt Stefan Beck, der häufig zwischen Ulm und Rheinfelden unterwegs ist. "Aber dann macht es ja keinen Sinn mehr, für das Erste-Klasse-Ticket zu bezahlen."

Zu den Problemen der Bahnreisenden beziehen auch das Landratsamt, das Verkehrsministerium und die Bahn Stellung. "Dass sich Bahnkunden angesichts der beschriebenen Kritikpunkte ärgern, kann ich nachvollziehen. Wer einen erhöhten Fahrpreis bezahlt, erwartet auch einen erhöhten Standard", sagt Landrat Lothar Wölfle. In einer gemeinsamen Stellungnahme auf Anfrage des SÜDKURIER erklären Bahn und Verkehrsministerium, wo die Verantwortung liegt: beim Land. "Als Aufgabenträger für den Regionalverkehr entscheidet das Land, welche Züge auf den Strecken eingesetzt werden sollen. Dabei macht das Land auch Vorgaben zur Sitzplatzanzahl und zur Aufteilung zwischen 2. und 1. Klasse.
Bei dieser Entscheidung werden zahlreiche Faktoren, wie die Bedürfnisse der Reisenden, aber auch technische Vorgaben sowie die Verfügbarkeit der Fahrzeuge berücksichtigt", erklärt Babett Waschke, Pressesprecherin beim Landesverkehrsministerium. Man habe sich "aus guten Gründen für die Fahrzeuge des Typs VT 612" entschieden. "Diverse Nachteile dieser Neigetechnikzüge, wie der unkomfortable Einstieg und die zugegebenermaßen relativ knappen Platzverhältnissen, sind uns bekannt", gesteht das Ministerium ein. Das sei aber "ein notwendiger Kompromiss" gewesen, "um den Betrieb des Netzes gewährleisten zu können".

Wenn die Reisenden der Ersten Klasse auch unzufrieden sind: Nach Ansicht des Ministeriums werde die neue Zugaufteilung den Bedürfnissen der großen Mehrheit der Reisenden besser gerecht. "In der Vergangenheit ist insbesondere die Zweite Klasse häufig überbelegt gewesen, wohingegen noch freie Plätze im Erste-Klasse-Abteil zur Verfügung standen. Bei der Neuaufteilung der Züge fällt der Anteil des Erste-Klasse-Bereichs daher nun geringer aus, allerdings zugunsten der Zweiten Klasse. Zusätzlich wurde auch die Anzahl der Fahrradstellplätze erhöht", erklärt Waschke. Außerdem seien die Fahrzeuge vollständig klimatisiert. Was den Erste-Klasse-Reisenden aber eher kalte Füße beschert. Wie lange das noch dauert? Ist eine Änderung in Sicht? Bewirken die vielen Klagen, von denen auch Schaffner im Gespräch mit genervten Fahrgästen berichten, etwas? Werner Graf von DB-Regionalbüro in Stuttgart nennt die eingesetzten Neigetechnikzüge ebenfalls einen "Kompromiss". Ein entsprechender Vertrag mit dem Land laufe bis 2026. Das Land könne aber auch vorher kündigen.
Die frierenden Menschen in der Ersten Klasse dürfen also noch hoffen und derweil auf die Zweite Klasse ausweichen. "Ich buche schon gar nicht mehr Erste Klasse für diese Strecke", sagt Peter Meinleiter. Der Unternehmensberater, der in ganz Deutschland tätig ist, sagt: "Ich kenne wirklich viele Züge aber sowas wie das hier habe ich noch nie erlebt." Aber immerhin, findet die frierende Sandra Wischnewski, lerne man nette Leute kennen. "Durch die Situation – zu eng oder wohin mit dem Gepäck – sind viele überfordert und alle helfen sich gegenseitig.
Zumal die Züge ja oft nicht pünktlich sind und viele dann nicht wissen, wie es weitergeht." Das bestätigt auch Karen Maier, die regelmäßig zwischen Salem und Überlingen pendelt. "Das eine ist die mangelnde Pünktlichkeit, das andere ist, dass Züge einfach ausfallen." Um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen, parkt sie ihr Auto mittlerweile am Bahnhof, um eine schnelle Alternative zu haben, wenn die Bahn ausfällt.

Auch Walter Vogel kann von der Unpünktlichkeit ein Lied singen: "Ich bin täglich auf der Strecke Salem Friedrichshafen mit der Bahn unterwegs und reise Zweiter Klasse. Am Morgen treten Verspätungen von drei bis sechs Minuten fast täglich auf. Aber auch Verspätungen von 15 Minuten und mehr kommen immer noch vor." Vogel gefallen die neuen Züge aber besser: Mit der Einführung der neueren gelb-weißen BW-Züge habe sich die Zugqualität schon verbessert.
Jedoch seien auch immer noch sehr alte Züge unterwegs. "Es ist interessant, mit dem Zug Richtung Stuttgart zu fahren. Man kann dann auch mal richtig schöne moderne Züge im Regionalverkehr erleben, von denen wir am See nur träumen können." In der Ersten Klasse wären die Reisenden schon mit mehr Platz glücklich.
Züge und Fragen
- Auf der Strecke zwischen Ulm und Basel verkehren Züge des Fahrzeugtyps 612. Es handelt sich um sogenannte "Neigetechnikzüge." Sie sind nach Angaben des Verkehrsministeriums nicht so modern und komfortabel wie sogenannte "Niederflurfahrzeuge", haben zum Beispiel durch ihre engen Stufen einen vergleichsweise unkomfortablen Einstieg und knappe Platzverhältnisse. Allerdings weisen sie, anders als ihre Vorgänger, kostenloses WLAN und Steckdosen auf und sind vollständig klimatisiert. Ihren Namen hat dieser Fahrzeugtyp übrigens naheliegenderweise wegen seiner Technik: Die Wagenkästen werden nämlich zur Kurveninnenseite geneigt, was die Seitenbeschleunigung, die die Fahrgäste empfinden, reduziert. Dadurch können Kurven schneller durchfahren werden
- Wie gut ist die Bodensee-Gürtelbahn zwischen Lindau und Radolfzell? Zu dieser Frage bietet das Landesverkehrsministerium am Mittwoch, 28. November, 15 Uhr eine öffentliche Informationsveranstaltung im Landratsamt in Friedrichshafen an. Ministerialdirektor Uwe Lahl und David Weltzien von der Deutschen Bahn AG wollen betroffenen Bahnfahrern und interessierten Bürgern Rede und Antwort stehen.