In Überlingen rollt eine Megadebatte an. Das Thema steht unter dem unspektakulär klingenden Wort Schulentwicklungsplan, sorgt aktuell aber für Wirbel hinter den Kulissen.

Der Plan sieht als möglichen Vorschlag der Stadtverwaltung gegenwärtig vor, die Zahl der Realschüler so stark zu reduzieren, dass künftig auswärtige Schüler keinen oder kaum mehr Platz mehr bekämen.

Müssen Salemer künftig nach Markdorf?

Sollte der Gemeinderat dieser im Schulentwicklungsplan genannten Option folgen, könnte es sein, dass Schülerinnen und Schüler aus Owingen, Salem oder Sipplingen an die Realschulen nach Pfullendorf, Markdorf oder Stockach verwiesen werden – oder an die Gemeinschaftsschule. Frei werdende Klassenzimmer an der Realschule Überlingen könnten, so der Vorschlag, von der Gemeinschaftsschule genutzt werden.

Geplant ist eine Reduktion von bisher vier (öfter waren es auch schon fünf) auf maximal drei Züge, also Klassen pro Jahrgang. Das wäre eine Verkleinerung um mindestens 25 Prozent, wovon viele Auswärtige betroffen wären. Nach Berechnungen der Realschule käme das einem Minus von 270 Schülern und 12 Lehrkräften gleich.

Am Dienstag (12. Juli) wird das Thema in einer Sitzung des Gemeinderats von der Verwaltung eingebracht. Eine Ratsdebatte ist noch nicht vorgesehen. Sie soll am 20. Juli im Ausschuss erfolgen, bevor der Beschluss am 27. Juli im Gemeinderat fallen könnte.

„Von dieser Variante hat die Schulleitung nur durch Zufall erfahren.“Karin Broszat, Realschulrektorin
„Von dieser Variante hat die Schulleitung nur durch Zufall erfahren.“Karin Broszat, Realschulrektorin | Bild: Erwin Niederer

Realschulrektorin: „Unsäglich“

Im Vorfeld äußerten sowohl der Gesamtelternbeirat als auch die Schulleitung der Realschule massive Bedenken. Schon alleine die Diskussion über einen derartigen Schritt verunsichere die Eltern stark und „beschädigt“ den Schulstandort Überlingen, heißt es da. Realschulrektorin Karin Broszat schrieb an Oberbürgermeister Jan Zeitler (SPD): „Den Streit der Verwaltungen beteiligter Gemeinden auf dem Rücken der Eltern und vor allem der Kinder auszutragen, halten wir für unsäglich.“

SPD-Fraktion findet den Vorschlag gut

Die SPD-Fraktion im Überlinger Gemeinderat teilte bereits öffentlich mit, dass sie den Vorschlag, der gemeinsam mit einem externen Büro im Rathaus entworfen wurde, gutheiße. Er stelle die Weichen für die nächsten zehn bis 15 Jahre. „Wir müssen uns die notwendige Zeit nehmen für ein zukunftsfähiges Konzept“, schrieb die SPD während der Pfingstferien in einer Stellungnahme im Amtsblatt. Man müsse den Plan nicht schon vor der Sommerpause beschließen. Erst sei es nötig, mit den Lehrerkollegien der betroffenen Schulen zu sprechen.

Schulleitung erfährt von Plan „nur durch Zufall“

Offenbar war genau das zunächst geplant: Den Plan vor der Sommerpause durchzupeitschen und die betroffenen Schulen erst auf den letzten Metern im Detail einzubinden. In einer Stellungnahme der Realschule von dieser Woche gegenüber der Stadtverwaltung schreiben Schulleitung und Elternbeirat: Sie seien „erschüttert“ vom Verwaltungsvorschlag, der eine räumliche Zusammenlegung von Realschule und Gemeinschaftsschule vorsehe. Und: „Von dieser Variante (…) hat die Schulleitung nur durch Zufall erfahren.“

In der unter anderem von Realschulrektorin Karin Broszat unterschriebenen Erklärung heißt es: „Wir verstehen den Wunsch der Stadt Überlingen, dass sich die Umlandgemeinden an den Kosten für die Schule beteiligen sollen.“ Die Schulen eigneten sich aber nicht dafür, sie als „Drohkulisse“ zu benutzen und den Streit ums Geld auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler und ihrer Familien auszutragen. Zumal Überlingen eine funktionierende und vielfältige Schullandschaft besitze, die davon lebe, dass Schüler von auswärts in die Stadt kommen.

„Eine Reduzierung auf Dreizügigkeit würde die Einpendler vor den Kopf stoßen.“Alexander Bruns, Gesamtelternbeiratsvorsitzender
„Eine Reduzierung auf Dreizügigkeit würde die Einpendler vor den Kopf stoßen.“Alexander Bruns, Gesamtelternbeiratsvorsitzender | Bild: Hanspeter Walter

Im Falle, dass die Realschule verkleinert würde, müsste auch die Zahl der Lehrerinnen und Lehrer reduziert werden, was wiederum eine Einschränkung des Bildungsangebots mit sich brächte. Darauf weist Alexander Bruns, Vorsitzender des Gesamtelternbeirats, hin. Er vertritt, schulartübergreifend, alle Überlinger-, aber auch alle auswärtigen Eltern, deren Kinder nach Überlingen pendeln. Ihnen sei es angesichts einer eigentlich freien Schulwahl nicht vermittelbar, dass sie ihr Kind in eine andere Stadt schicken oder innerhalb einer Familie unterschiedliche Schulstandorte ansteuern sollen.

Kaufkraft und Arbeitskräfte für Überlingen

Überlingen als ein Mittelzentrum ist Dreh- und Angelpunkt über alle Schularten hinweg: Das schaffe Kaufkraft, betont Broszat, und es sichere Nachwuchs für die Unternehmen. Denn ein Schulstandort ist immer auch Magnet für die weitere berufliche und persönliche Entwicklung eines jungen Menschen. „Oder kann Überlingen sich erlauben, dringend benötigte Nachwuchskräfte nach Markdorf und Friedrichshafen abzugeben?“, stellt die Rektorin eine rhetorische Frage.

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Bruns: Erst Kostenbeteiligung klären

Alexander Bruns, der für die CDU im Überlinger Gemeinderat sitzt, schrieb in seiner Funktion als Gesamtelternbeiratsvorsitzender in einem Positionspapier an OB Jan Zeitler in dieser Woche: „Eine Reduzierung auf Dreizügigkeit würde die Einpendler vor den Kopf stoßen, die sich bewusst für die Realschule Überlingen entschieden haben und persönlich nicht dafür verantwortlich sind, dass ihre Heimatgemeinden die gebotene Beteiligung an den Kosten für die notwendige Sanierung des Realschulgebäudes bislang verweigern.“ Es sei richtig, so der Jurist Bruns, mit den Umlandgemeinden in eine juristische Auseinandersetzung um die Kostenbeteiligung zu gehen. Von vorneherein die Einpendler auszuschließen, wäre aber gleichzusetzen mit einer vorzeitigen Aufgabe dieses Prozesses.

„Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass die Stadtverwaltung diese Fragen noch nicht beantworten kann.“
Aus einer Antwort der Pressestelle

Der von dem Büro aus Bonn erstellte Schulentwicklungsplan trägt das Datum 1. Juni 2022. Die SPD Überlingen preschte mit ihrer Bewertung des Sachverhalts in ihrer Stellungnahme am 9. Juni vor. Der SÜDKURIER wollte am 23. Juni von der städtischen Pressestelle wissen, ob es stimme, dass die Verwaltung eine räumliche Zusammenlegung von Real- und Gemeinschaftsschule vorschlägt. In der Antwort vom 27. Juni hieß es: „Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass die Stadtverwaltung diese Fragen noch nicht beantworten kann.“ Denn die Tagesordnungen und Gremienvorlagen mit ihren „möglichen Handlungsalternativen“ seien noch nicht erstellt gewesen.

Wie sich an der Debatte im Vorfeld der Sitzung vom 12. Juli (Beginn um 18 Uhr im Pfarrzentrum) zeigt, ließ sich das Thema trotzdem nicht weiter unter der Decke halten. Das schwante vermutlich nun auch der Verwaltung, die in einer Notiz, was den weiteren Fahrplan betrifft, formulierte: „Die vorgesehene zeitliche Beratungsfolge kann sich bei erweitertem Beratungsbedarf noch ändern.“