Johanna Nagel hat vor fünf Monaten ihr drittes Kind bekommen. Den kleinen Kolja möchte sie, wie seine älteren Geschwister, noch lange stillen. Sie würde sich aber auch gegen Covid-19 impfen lassen, sobald sie an der Reihe ist. Daher stellt sich die Überlingerin die Frage, ob beides miteinander vereinbar ist: „Ich würde laienhaft schätzen, dass an Schwangeren und Stillenden keine Studien durchgeführt werden“, fasst sie die unklare Datenlage zusammen.
Stiko: Risiko für gestillte Säuglinge unwahrscheinlich
Die Ständige Impfkommission (Stiko) weist ebenfalls auf die fehlenden Erfahrungen mit der Anwendung der Covid-19-Impfstoffen in der Stillzeit hin. Gleichzeitig hält es die Stiko gemäß der aktuellsten Veröffentlichung für unwahrscheinlich, dass eine Impfung der Mutter während der Stillzeit ein Risiko für den Säugling birgt. Mittlerweile gibt es eine gemeinsame Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM), der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Nationalen Stillkommission (NSK): So sei auch internationalen Studien zufolge kein biologisch nachvollziehbarer Mechanismus bekannt, der Schaden verursachen könnte. Hingegen bestehe die Möglichkeit, dass gestillte Kinder nach einer Impfung der Mutter durch Antikörper in der Muttermilch ebenfalls geschützt werden. Dies ist auch von anderen Impfungen bekannt.
Hier finden Stillende fachlichen Rat:
Ärzte halten sich noch bedeckt
Dennoch herrscht noch viel Zurückhaltung bei dem Thema: So kann das Gesundheitsamt des Bodenseekreises zu Fragen der Arzneimittelsicherheit keine Auskünfte geben, auch die Ärzte halten sich bedeckt. Verena Eichel-Steiert, die mit einer Kollegin eine gynäkologische Praxis in Uhldingen-Mühlhofen betreibt, erläutert die Gründe: „Es gibt noch keine Studien, daher ist eine Empfehlung schwierig. Ich halte mich an die Richtlinien meines Berufsverbands und kann nur auf die Experten verweisen.“ Bezogen auf die neuen mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19, hofft die Frauenärztin mit der Zeit auf mehr Daten über die Verhaltensweisen der Wirkstoffe.
Junge Mutter übt sich in Geduld
Die Zeit spielt Johanna Nagel vielleicht auch in die Karten. Die Berufsschullehrerin ist nach dem Mutterschutz mit sechs Wochenstunden wieder ins Unterrichten eingestiegen – jedoch nur vom heimischen Schreibtisch aus. „Meine Schüler sind älter, aber nicht in der Abschlussklasse. Sie werden mit die Letzten sein, die zurück in die Schule kommen.“ Die junge Mutter sieht ihr persönliches Ansteckungsrisiko daher als nicht so hoch an und übt sich in Geduld.
Falls der immer wieder geäußerten Forderung nachgegeben wird, pädagogisches Personal an Kitas und Schulen bevorzugt zu impfen, könnte Johanna Nagel auch schon früher an der Reihe sein. Ob sie sich dann gern einen der Impfstoffe aussuchen würde? „Ich maße mir nicht an, die zu beurteilen. Wenn die EU sie zulässt, werden sie in Ordnung sein“, sagt die 35-Jährige.
Persönliche Nutzen-Risiko-Abwägung
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) kann einer stillenden Frau, die zu einer für die Impfung empfohlenen Gruppe gehört, die Impfung angeboten werden. Gerade bei Stillenden mit einem erhöhten Ansteckungsrisiko oder Vorerkrankungen überwiege der potenzielle Nutzen die theoretischen Bedenken. Die Entscheidungsfindung bleibt somit eine persönliche Nutzen-Risiko-Abwägung.