Eigentlich, so sagte es einmal Ulf Janicke, sollte sich jedes Mitglied des Gemeinderats nach Ablauf der Amtsperiode erneut zur Wahl stellen (müssen). Janicke, der für die Fraktion LBU/Die Grünen im Überlinger Gemeinderat sitzt, geht es mit seinem Gedankenspiel nicht darum, die Zusammensetzung des Gremiums zu zementieren. Vielmehr würde er den Wählerinnen und Wählern gerne die Möglichkeit eröffnen, den Amtsträgern eine Art Zeugnis auszustellen. Und zwar ausdrücklich nach getaner Arbeit.

Die BÜB+ machte sich unterjährig vom Acker

Ein kluger Gedanke, den Janicke schon vor den letzten Wahlen im Jahr 2019 ins Gespräch brachte. Denn es ist ein Unterschied, ob auf Wahlversprechen ein Blankoscheck ausgestellt wird, oder ob nach einer Wahlperiode mit dem Kreuzchen auf dem Wahlzettel das Wahlvolk eine Bilanz ziehen kann. Bei der BÜB+ kann man keine Bilanz ziehen, denn ihre Räte machten sich unterjährig vom Acker. Es sei denn, ihre Gruppierung kandidiert erneut und eröffnet doch noch die Möglichkeit, über ihr Auf- und Rücktritt zu richten.

Von der AfD zum Glück noch keine Signale

Es ist noch unklar, welche Parteien und Personen im Juni für den Gemeinderat kandidieren. Von der AfD gibt es bislang zum Glück keine Signale. Die Spalter vom rechten Rand hätten, nach allem, was über sie bislang bekannt ist, eh keine brauchbaren Vorschläge im Angebot. Aber auch die etablierten Fraktionen sind spät dran, die meisten halten ihre Nominierungsversammlung erst nach der Fastnacht. Zum Vergleich: Bei den letzten Wahlen standen die Listen bereits im Herbst des Vorjahres fest. Obwohl diesmal bereits 16-Jährige gewählt werden können, die Zahl der potenziellen Kandidaten also steigt, fällt es immer schwerer, jemanden zu finden, der sich als Gemeinderat ins Zentrum kommunaler Entscheidungen stellt.

Warum eigentlich? Die Arbeit im Rat stellt ein sinnstiftendes Hobby dar. Zumal sich die Gesellschaft stärker denn je auf die eigene Region rückbesinnt, als einem vergleichsweise stabilen Ort in der Welt.

Fünf Jahre sind eine halbe Ewigkeit

Seit den letzten Kommunalwahlen sind fünf Jahre und eine halbe Ewigkeit vergangen. Eine Pandemie, eine Landesgartenschau, die Eröffnung eines Sportzentrums, um nur drei der dicksten Brocken zu nennen. Weitere Stichworte sind das Kramer-Areal, Stadtjubiläum, Schulcampus, Narrentag, Pflegezentrum, Flüchtlingsheime, Kindergärten, Einzelhandel, Kapuzinerkirche, Fußgängerzonen, Gewerbeflächen, Stadtbrunnen oder Feuerwehrhaus.

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Jedes der genannten ganz unterschiedlichen Projekte ist Ausdruck davon, wie die Überlinger zusammenleben wollen. Hinter jedem Stichwort stehen Ehrenamt und Herzblut. Der Gemeinderat wiederum ist die Drehscheibe, auf der über Gelingen und Misslingen der Projekte verhandelt wird. Fünf Jahre lang.

Großprojekte nur mit Krediten finanzierbar

Die nächste Legislatur ist vollgestopft mit millionenschweren Entscheidungen. Der im Dezember verabschiedete Haushaltsplan gibt Auskunft über Projekte, die nachweislich in den nächsten beiden Jahren finanzierbar sind. Was mittel- und langfristig im Plan steht, müsste eher als Wunschzettel bezeichnet werden. Denn das Geld dafür ist eigentlich nicht vorhanden. Aus jetziger Perspektive erfüllt sich die Stadt die angedachten Wünsche nämlich auf Pump.

Schuldenstand bald überm Bundesdurchschnitt

Nach Auskunft von Oberbürgermeister Jan Zeitler beträgt die Pro-Kopf-Verschuldung derzeit 322 Euro, sie würde bis 2027 um das Siebenfache steigen, auf 2462 Euro, wenn alle Gebäude für Schulen, Kindergarten, oder Feuerwehr wie angedacht in Angriff genommen werden. Das wäre dann eine um 600 Euro höhere Verschuldung als derzeit im Durchschnitt aller Gemeinden in Deutschland. Vor allem aber wären die vielen Überlinger Projekte damit immer noch nicht abgeschlossen.

Es braucht noch mehr Geld. Aber das kann ja nicht alles zu Lasten nachfolgender Generationen ausgeliehen werden. Oder steuert die Stadt auf einen Verteilungskampf zu? Da braucht es im Rathaus kluge kompromissbereite Köpfe, Leute mit Lust am Diskurs und der Fähigkeit zuzuhören. Sie sollten Konflikte aushalten und auch mal Nein sagen können.

Wie sieht die Welt in acht Jahren aus?

Sich auf fünf Jahre festzulegen, ist eine lange Zeit. Die Welt dreht sich immer schneller. Wer weiß, ob wir in fünf Jahren sagen werden, wie anders die Welt 2024 doch gewesen ist, als künstliche Intelligenz den Alltag noch nicht so stark bestimmte? Oder wie wird die Welt erst in acht Jahren aussehen? Denn so lange dauert die Amtszeit eines Oberbürgermeisters oder einer Oberbürgermeisterin.

Amtsbonus und Wiederwahl kein Automatismus

Jan Zeitler hat sich noch nicht positioniert, ob er bei den Wahlen im Herbst erneut kandidiert. Seine Entscheidung werde er beim Bürgerempfang kundtun. Träte er nicht erneut an, wäre das eine faustdicke Überraschung. Eine Kandidatur, siehe oben, gäbe die wünschenswerte Möglichkeit, Zeitlers Amtszeit zu bilanzieren. Überraschungen sind dabei nicht ausgeschlossen, es käme auf das Kandidatenfeld an. Bei einer erneuten Kandidatur des Amtsinhabers ist eine Wiederwahl kein Automatismus, wie historische Ereignisse in Überlingen zeigen. Siehe 1969 den Zweikampf Ebersbach gegen Schelle. Oder die Wahl 2016, als Zeitler seine Vorgängerin Becker aus dem Amt kegelte.

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Überlinger finden Gehör wie nie

Also ein Superwahljahr für Überlingen. Damit es ein super Wahljahr wird, tut man gut daran, sich der Dynamik so einer Situation bewusst zu werden. Eine Kleinstadt ist in diesem Zusammenhang ein faszinierendes Gebilde, in der man sich auch nach geschlagener Wahlschlacht wieder über den Weg läuft. Unterschiedliche Vorstellungen prallen aufeinander, und am Ende dürfen es die richten, denen die Mehrheit vertraut.

Jedenfalls finden die Überlinger dieses Jahr Gehör wie nie. Das ist eine Chance. Es wird ausgeknobelt, wie man sich Zusammenleben vorstellt. Wie hätten Sie‘s denn gerne? Diskutieren Sie mit!