Jolande Schirmeister aus Sipplingen weiß ihren Mann im Pflegeheim Wespach in Salem in guten Händen. Ihr Otto ist 75 Jahre alt, seit fast drei Jahren wird er in der Demenzabteilung betreut. „Ich konnte vor der Coronakrise kommen, so oft ich wollte und ich bin jeden zweiten oder dritten Tag zu ihm gegangen.“ Vor nun über drei Wochen wurde eine Besuchssperre verhängt. „Die Sehnsucht, sich zu sehen, wird größer und größer. Ein täglicher Anruf ist erlaubt und dazu wird auch gerne Hilfe geleistet. Die Konversation ist erschwert. Ich erzähle. Den Atem meines Mannes und seine wenigen Lauteversuche zu hören, das bedeutet mir viel.“

Blick ins Familienalbum: Otto und Jolande Schirmeister aus Sipplingen, ein Foto von 2009. Sie berichtet: „Mein Mann war auch ein ...
Blick ins Familienalbum: Otto und Jolande Schirmeister aus Sipplingen, ein Foto von 2009. Sie berichtet: „Mein Mann war auch ein guter Fotograf, und er war ein Macher mit ganz vielen Talenten, und er war sehr hilfsbereit. Er war Tambourmajor des Spielmannszuges, aktiv in der Feuerwehr und in der Fasnet.“ Seit drei Jahren ist er im Pflegeheim. | Bild: privat

Von Corona noch verschont

So wie Jolande Schirmeister geht es vielen Angehörigen. Zum Schutz der Bewohner sind die Pflegeheime geschlossen. Denn welche katastrophalen Folgen es haben kann, wenn das Corona-Virus in den Heimen tobt, zeigen verschiedene Beispiele. Die Heime in Überlingen und Salem sind verschont. Noch.

Aufnahmestopp verhängt

In den Pflegeheimen der Stadt wurde mittlerweile ein Aufnahmestopp verhängt. Auch wenn jemand stirbt, wird sein Zimmer nicht weiter vergeben. Wie die Pressesprecherin der Stadt für die Heime Sankt Franziskus und Ulrich mitteilte, halte man so das Virus draußen. Und man sichere Kapazitäten der Mitarbeiter, die nun benötigt würden, um die Bewohner intensiver zu betreuen. Jetzt, wo sie keinen Besuch mehr empfangen dürfen. „Die Mitarbeiter des Betreuungsdienstes kümmern sich gezielt um Personen mit Einsamkeitsdefiziten“, sagt die Pressesprecherin. „Alle Mitarbeiter sind sehr engagiert und leisten ihr bestes.“ Am 24. März wurde der Aufnahmestopp bekanntgegeben. Bis vergangenen Freitag, 3. April, wurden neun Plätze frei. Das heißt, es sind Menschen gestorben, aber nicht wegen Corona, wie betont wird. „Sterben gehört in einem Alten- und Pflegeheim leider dazu. Bei Sterbeprozessen sind Angehörigenbesuche unter den Voraussetzungen gestattet, die die Corona-Verordnung vorschreibt.“

Aufmuntern und trösten

Wie äußern sich die Bewohner? „Unterschiedlich. Manche nehmen es wahr, manche weniger oder gar nicht. Grundsätzlich versuchen die Mitarbeiter die Bewohner, die bisher regelmäßig Besucherkontakt hatten, in Einzelbetreuung gezielt etwas aufzumuntern und zu trösten.“ Kann man auch sagen, dass manche Bewohner an der Einsamkeit gestorben sind? „Nein“, lautet die Antwort der städtischen Pressesprecherin.

Das könnte Sie auch interessieren

Jolande Schirmeister fühlt sich vom Pflegeheim in Salem-Wespach sehr wertgeschätzt. Das Pflegeteam habe ihr einen Brief geschickt: „Ein Foto von meinem Mann in Begleitung von zwei Pflegekräften war beigefügt. Ebenso war ein hoffnungsvoller Spruch dabei.“ Der Brief habe sie ergriffen und mit Freude erfüllt, so sehr, dass Jolande Schirmeister sie über die Zeitung kommunizieren möchte: „Ich betrachte den Brief als großes Zeichen von Wertschätzung, Aufmerksamkeit und der Achtung menschlicher Würde.“

Der Eingangsbereich zum Augustinum Überlingen. In Zeiten von Corona ist zum Schutz der Bewohner für Besucher der Eintritt verboten. Das ...
Der Eingangsbereich zum Augustinum Überlingen. In Zeiten von Corona ist zum Schutz der Bewohner für Besucher der Eintritt verboten. Das Nashorn, Wappentier der Augustinum-Gruppe, wirkt wie ein entschlossener Wächter. | Bild: Hilser, Stefan

Zimmerservice im Augustinum

Der Seniorenstift Augustinum in Überlingen ist keine Pflegeeinrichtung, aber mit Blick auf die teils hochbetagten Bewohner natürlich genauso darauf bedacht, das Virus fern zu halten – mit allen damit verbundenen Einschränkungen. „Das Personal macht einen hervorragenden Job, die Mitarbeiter kümmern sich und beflügeln uns mit ihrer Fröhlichkeit“, beschreibt Regine Wolf-Hauschild, Beiratsvorsitzende, die selbst in dritter Generation im Augustinum lebt. Natürlich vermisse man den Besuch von Veranstaltungen im Haus und in der Stadt, die Tischgespräche im Restaurant. Statt gemeinsam zu essen, wird den Bewohnern aufs Zimmer serviert. Viele fangen im hohen Alter jetzt wieder an selbst zu kochen. „Und unsere Kulturreferentin Olivia Schnepf versorgt uns über die extra neu erfundene Hauspostille mit Geschichten, Rätseln, Texten zum Übersetzen und ist sehr kreativ, uns noch aus der Distanz zu unterhalten.“

Im Alter das Schreiben angefangen

Matthias Steiner ist Sprecher der Augustinum-Gruppe. Auf die Frage, wie genau sich die Beschäftigung gegen die Einsamkeit gestaltet, antwortete er: „Es wird viel telefoniert! Bewohnerinnen und Bewohner tauschen sich untereinander auf diese Weise aus, auch wir halten so Kontakt. Es gibt viele Unterhaltungen von Balkon zu Balkon, die sind mehr als zwei Meter auseinander. Wir verleihen Bücher und Filme, wir haben einen Kurzgeschichten-Wettbewerb ausgerufen, für den viele schon mit dem Schreiben angefangen haben.“ Im ganzen Haus spüre man den Willen, diese Zeit gemeinsam zu meistern. Steiner: „Viele Bewohner teilen uns mit, sie hätten den Zweiten Weltkrieg überstanden, da ließe sich auch diese Krise überstehen.“

Auch Jolande Schirmeister ist voller Hoffnung, ihren Mann Otto bald wieder sehen zu dürfen, aber auch die Pflegekräfte im Wespach, die sie über die Jahre kennen und schätzen lernte, vermisst sie. Jolande Schirmeister: „Hoffentlich gibt es für meinen Mann und für mich bald ein Wiedersehen mit vielen Umarmungen.“

Wie die Hospizgruppe die Situation sieht

„In der derzeitigen Situation finden keine Besuche in den Pflegeheimen statt. Die Kontaktaufnahme geschieht über Telefongespräche, die nur im Einzelfall möglich sind, sowie über schriftliche Nachrichten, Grußbotschaften und kleine Aufmerksamkeiten wie zum Beispiel die Lieblingsfrucht, die durch das Pflegepersonal vermittelt werden.

Durch das Besuchsverbot, das nur den nahestehenden Angehörigen erlaubt, die Menschen in der letzten Sterbephase zu begleiten, müssen wir uns in diesem Fall an die Heimleitung halten und im Einzelfall klären, was möglich ist. Aus Sicht der Pflegeheime und der Sorge vor Ansteckung und Verbreitung des Virus ist die Anordnung durchaus verständlich. Für Bewohner ohne jegliche Bezugspersonen bedeutet es aber eine trostlose Aussicht. Das Betreuungs- und Pflegepersonal muss diese Herausforderung mit einem enormen Kraftaufwand meistern. Wir haben großen Respekt vor ihrem Wirken.

Wie sehen wir in der Hospizgruppe die derzeitige Situation? Eine langjährige, erfahrene Begleiterin bringt es auf den Punkt: „Ich bin traurig, dass wir die Menschen in den Heimen nicht aufsuchen dürfen. Nicht mal die Angehörigen dürfen das. Sie sind sehr einsam. Es ist für sie wie ein Lichtblick, wenn man zu ihnen kommt. All das ist jetzt nicht möglich. Wir kennen uns schon lange Zeit. Die vertraute Stimme ist nicht mehr wahrnehmbar. Es tut mir für den einzelnen Menschen weh.“

In dieser schwierigen Situation möchte die Hospizgruppe die Angehörigen und Betroffenen nicht alleine lassen. Trauen Sie sich und rufen Sie bei uns an, wenn Sie oder ein Ihnen Nahestehender Mensch erkrankt ist und sich der Endlichkeit des Lebens stellen muss, wenn Sie sich hilflos oder überfordert fühlen angesichts der unsicheren momentanen Situation, wenn Sie Unterstützung und Beratung möchten, wenn Sie allgemeine Fragen und Wünsche haben zum Thema Abschied, Sterben, Trauer. Wir haben ein offenes Ohr für Ihre Belange, verstehen Ihre Sorgen und Ängste. Wir sind für Sie da.“ (Text: Edith Körner, stellvertretende Vorsitzende der Hospizgruppe Überlingen)

Kontakt: Hospizgruppe Überlingen, Mühlbachstraße 34, Besuch nach Anmeldung unter 07 55 1/6 08 63.