Was glauben Sie: Führt die Corona-Krise die Menschheit zusammen, oder entzweit sie sie noch mehr?
Bruder Jakobus Kaffanke: Als angstgesteuerter Reflex werden erst einmal die Grenzen dicht gemacht, medizinische Kapazitäten national gehortet und Schuldige gesucht, die meist in der Fremde geortet werden. Im zweiten Schritt der konkreten Bearbeitung geht es ohne Zusammenarbeit, selbst über Grenzen, Kontinente und politisch unterschiedliche Blöcke hinaus, nicht voran. So gesehen, ist das Zusammenwachsen der Menschheit in einem gemeinsamen Haus möglich, ja, wie wir sehen geboten. Diesen Prozess gilt es, auf allen Ebenen in die richtige Richtung zu steuern. Dazu kann auch die christliche Auffassung von Mensch und Welt wichtige Maßstäbe und Einsichten bereitstellen.
Klaus Haberstroh: Seit dem Zweiten Weltkrieg ging es bei uns in Deutschland immer nur aufwärts. Nun kommt von heute auf morgen so ein Virus, der jeden persönlich und Familienmitglieder treffen kann, weltweit. In guten Zeiten waren die Helden die Schönen und die Reichen. Ich hoffe, dass dies nach der Krise nicht so schnell vergessen wird. Die Werte verändern sich und es ist schön zu sehen, wie solidarisch und diszipliniert sich die meisten verhalten, damit diese Krise bald vorüber geht. Es hat sich auch gezeigt, dass unsere Politik noch handeln kann und mit ihren Maßnahmen erreicht hat, dass unsere Gesellschaft trotz der schwierigen Situation nicht in Panik gerät. Viel mehr Kummer machen mir die Länder, in denen Massen von Menschen auf engstem Raum am Exisztenzminimum leben. Was passiert, wenn in Indien oder Afrika das Corona-Virus mit voller Kraft zuschlägt? Ich habe meine Zweifel, ob wir diese globale Aufgabe schaffen.

Was lernen wir aus Corona in Bezug auf den Fortbestand unseres Planeten – was könnte ihn retten?
Kaffanke: Ja, die Welt, wir, wir sind noch zu retten! Es gilt, auf allen Ebenen, militärisch, wirtschaftlich, kulturell, medizinisch, sportlich, und nicht zuletzt auch religiös, miteinander in ein achtsames und vertrauensvolles permanentes Gespräch einzutreten. Es ist auch weiter intensiv an der Klima-Frage zu arbeiten. Pandemie und Klima hängen über Sauerstoff und Biosphäre eng zusammen.

Zu Personen und Interviewformat
Haberstroh: Wir haben viele globale Probleme – Erderwärmung, Meeresverschmutzung, Trinkwasserversorgung, Ernährung der schnell wachsenden Erdbevölkerung. Bei der Corona-Pandemie ist die Situation allerdings etwas anders. Innerhalb von wenigen Wochen hat sich das Virus weltweit verbreitet. Hinzu kommt, dass die reichen Länder und die mächtigen Nationen direkt betroffen sind. Vielleicht wachen die mächtigen dieser Welt durch das Virus endlich auf und setzen sich an einen Tisch.
Wo können Sie die Schönheit der Erde am intensivsten erleben und erfahren?
Kaffanke: Auf dem Ramsberg (am See und den Bergen) und im Donautal in Beuron. Hier treffen Natur und Kultur, verbunden mit der seelischen Tiefe der christlichen Religion, zusammen. Hier ist für mich der Himmel exemplarisch offen, hier kann ich ganz Mensch sein.

Haberstroh: Als Bergsteiger und Segler ich am liebsten in Gebirge oder auf dem Meer unterwegs. Wir schauen uns aber auch gerne fremde Kulturen und Städte an und genießen es, in fremden Ländern eigenständig unterwegs zu sein. Der Ort selbst ist nicht zwingend ausschlaggebend. Die Intensität des Erlebens wird durch viele Faktoren bestimmt: Wie bewegt man sich, wie ist das Wetter, wie weit ist man von der Zivilisation entfernt? Und vor allem, mit wem ist man unterwegs?
Was bedeutet Heimat für Sie?
Kaffanke: Heimat ist für mich der Ort, die Landschaft, der „Zustand“ wo ich ganz Mensch sein kann, wo ich all meine Anlagen und Gaben einbringen und aktivieren kann. Heimat ist wie ein Baum, der seine Wurzel tief in den Boden senkt, sich Halt und Nahrung sichert. Heimat ist der Ort wo alles gut ist, wo ich sein darf.
Haberstroh: Heimat bedeutet mir sehr viel und ich bin sehr glücklich, dass ich mit meiner Familie seit 35 Jahren am Bodensee leben darf. Ich habe auf meinen vielen Reisen viel erlebt, Menschen anderer Kulturen hautnah erleben dürfen und viel Gastfreundschaft erfahren. Das nach Hause kommen ist aber immer ein ganz besonderes Erlebnis. Als erstes gehe ich immer zum Bäcker und kaufe mir eine Brezel – Brezel ist Heimat, die gibt es sonst nirgendwo.
Was können wir auf einer Reise lernen?
Kaffanke: Das Neue schärft meine Sinne, macht mich reicher an neuen Eindrücken. Das andere ist so auch anstrengend und reiz-voll. Ich erlebe mich intensiver.

Haberstroh: Dass es zuhause am schönsten ist, und das meine ich ernst. Damit man das bewerten kann, muss man erleben, wie Menschen in anderen Ländern leben. Wenn man in der Natur unterwegs ist ohne Kartenmaterial und ohne verlässliche Wetterinformationen, muss man damit zurecht kommen. Oft gibt es keine Rettung, wenn etwas passieren sollte. Es ist oft schon sehr abenteuerlich. Wir erhalten durch unsere vielfältigen Medien vor der Reise schon viele Informationen, die in uns ein Bild generiert. Doch bei allen Ländern haben wir nach der Reise ein völlig anderes Bild. Man lernt, dass viele Probleme, mit denen wir uns beschäftigen, eigentliche überhaupt keine sind.
Wie muss ich reisen, oder wohin, um mich selbst zu finden?
Kaffanke: Ich muss nicht reisen, um mich zu finden, ich bin angekommen. Es gibt einen jüdisch/christlichen Psalm der singt: „Du führst mich hinaus ins Weite , Du machst meine Finsternis hell.“ Ein buddhistisches Wort konstatiert: „Offene Weite, nichts von heilig!“. In der offenen Weite des Herzens lebt das Heilige oder ist der Heilige erwacht. Das hat für mich also nichts mit Reisezielen wie Italien, Bali oder Hawaii zu tun.
Haberstroh: Es ist die Frage, ob ich reise, um mich selbst zu finden, oder damit ich mehr erfahren und erleben kann von anderen Ländern und Kulturen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass man die Reisen selbst plant und sich eigenständig in diesen fremden Ländern bewegt. Nur so erfährt man, wie die Menschen und deren Land ticken und funktionieren. In einem All Inclusive Hotel wird man nicht viel dazu lernen.
Einsamkeit hat viele Gesichter: Kennen Sie die schönen Seiten des Alleinseins?
Kaffanke: Für mich gibt es das Alleinsein in der Form des Abgeschnittenseins von Mitmenschen, Freunden und der Familie (genealogisch und spirituell). Das kann leidvoll, deprimierend und depressiv sein. Die schönen Seiten des Alleinseins sind für mich der innere Frieden, die Sanftheit und Zärtlichkeit der Stille, die Wärme der menschlichen Verbundenheit und das Glück bei Ihm und überhaupt sein zu dürfen.

Haberstroh: Ich habe in meinem Leben zum Glück noch keine Einsamkeit erfahren und musste noch nie Einsamkeit bewältigen. Durch meine Familie, mein großes Netzwerk von Freunden, mein intensives Berufsleben und die vielen Vereinsaktivitäten habe ich immer sehr viele Menschen um mich herum, die für mich sehr wertvoll sind. Dieses aktive Netzwerk bedeutet aber auch, dass man viel geben muss.
Und wie bewältig(t)en Sie die schmerzhaften Momente von Einsamkeit?
Kaffanke: Mit geduldigem Warten in Stille auf den inneren Frieden. Wenn ich zu aktiv bin, zu stark von meinen Plänen und Ideen besetzt, besessen bin, dann kann der innere und oder äußere Friede verloren gehen oder in Unordnung geraten. Dann gilt es, sich in die Stille zu begeben. Die Stille halten, die Meditation ist ein Weg um wieder die Balance zu erhalten. Natürlich gibt es auch die Zeit der Schmerzen, der Scham, der Enttäuschung über mich selber und die Erkenntnis meiner Grenzen und Fehler und es gibt die Tränen.
Haberstroh: Ich habe das noch nie erfahren, aber je älter man wird, um so mehr macht man sich Gedanken darüber, wie das mal wird, wenn man nicht mehr aktiv im Leben steht, und wie es wohl sein wird, wenn man vielleicht keinen Partner mehr hat. Wie und ob ich das bewältigen kann, weiß ich nicht.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn die Corona-Krise überstanden ist?
Kaffanke: Dann kann ich wieder sorglos nach Beuron in mein Kloster. Da mich die Pandemie außerhalb erwischt hat, bin ich in einer außerhäusigen Quarantäne und würde meine Mitbrüder gefährden. Ich könnte mit den Freunden der Klause ein Fest feiern, mit meinem Arbeitskreis zur Überlinger Landesgartenschau die lange und intensiv geplanten Symposien zum Thema: „Der dritte Schöpfungstag: Das Grün!“ veranstalten und eine Pilgerreise ins Heilige Land antreten.

Haberstroh: Dass ich endlich mein Boot einwassern und Segeln kann, und ich freue mich auf das erste Grillfest mit Freunden.