Um es gleich vorweg zu sagen: In der weiß getünchten Überlinger Auferstehungskirche erinnerte an diesem Sonntag nichts an lustige Narretei und buntes Fastnachtstreiben. Allein die auf den Altarstufen ausgebreitete Regenbogen-Friedensfahne stach sofort ins Auge. Noch vor Beginn des Gottesdienstes entzündeten etliche Gläubige in einer großen Schale die dort bereitgelegten Kerzen, um ihr persönliches Gebet für den Frieden auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen.

Auch Dekanin Regine Klusmann nahm für ihre Begrüßung eine Kerze in die Hand. „Wir zünden ein Licht an im Gedenken an das Leid der Menschen in der Ukraine und beten in diesem Gottesdienst für den Frieden“, sagte Klusmann. Die Überleitung zur angekündigten Narrenpredigt des Regisseurs und Kulturwissenschaftlers Jörg Ehni aus Ruschweiler gelang ihr problemlos: „Wir sind nicht vollkommen und brauchen einen Narren, der uns den Spiegel vorhält,“ sagte die Dekanin. Anschließend zitierte sie aus dem Gebet der Vereinten Nationen von 1942. „Unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im Weltall“, heißt es darin und weiter: „An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, auf dem wir nicht von Kriegen gepeinigt werden.“

Narrenpredigt mit eigens dazu komponierten Songs

Der Narr, der daraufhin die Kanzel betrat, war äußerlich als solcher nicht zu erkennen. Jörg Ehni verzichtete gänzlich auf närrische Attribute, ebenso wie das Musikerehepaar Uta und Udo Follert aus Heiligenberg. Sie begleiteten Ehnis Vortrag mit eigens dazu komponierten Songs. Seine Narrenpredigt habe er zum ersten Mal vor drei Wochen in Illmensee gehalten, so Ehni. Doch nun sei die Welt eine andere geworden. Der Predigt schicke man daher aus aktuellem Anlass einen „Prolog aus der Hölle“ voraus.

Uta Follert unterrichtet in Heiligenberg Querflöte und Gesang. Ihre Gesangseinlagen für die Narrenpredigt machte sie mit ...
Uta Follert unterrichtet in Heiligenberg Querflöte und Gesang. Ihre Gesangseinlagen für die Narrenpredigt machte sie mit schauspielerischen Gesten lebendig. | Bild: Antonia Kitt

Diesen Prolog gestaltete Sängerin Uta Follert, am E-Piano begleitet von ihrem Mann, mit ausdrucksstarker Stimme. Mit beeindruckender Präsenz in Mimik und Gestik sang sie in Richtung Putin Klartext, ohne ihn direkt beim Namen zu nennen: „Die Fratze des Kriegs hat einen Namen, es hat die Lüge ein Gesicht.“ Sie sang von den Bomben und Raketen und machte doch Mut. „Die Freiheit ist nicht zu unterdrücken,“ rief sie der Gemeinde entgegen.

Ein gesellschaftliches Thema nach dem anderen

Nach diesem packenden musikalischen Auftakt stieg Ehni in seine gereimte Narrenpredigt ein. „Auf der Kanzel der Pfarr‘ ist heute der Narr“, formulierte er und nahm sich in bissig-ironischen Versen ein gesellschaftliches Thema nach dem anderen vor. Zu lachen gab es dabei nicht viel. Vom Blick über das eigene Konsumverhalten („Alle fahren im Raffen-Raffen-Zug“), über die Schere zwischen arm und reich bis hin zur Flüchtlingsproblematik, zur Diskussion um die Corona-Impfung und zum Klimawandel ließ Ehni nichts aus. Dabei nahm er besonders die Gleichgültigkeit und Ich-Bezogenheit des Einzelnen aufs Korn („Mich hält die Erde schon noch aus. Mich, meine Frau, mein Auto, mein Haus. Alles danach ist mir – piepschnurzegal. Ich komme durch. Auf jeden Fall.“)

Sie gestalteten den Gottesdienst am Fasnachtssonntag in der evangelischen Auferstehungskirche (von links) Das Musikerehepaar Udo und Uta ...
Sie gestalteten den Gottesdienst am Fasnachtssonntag in der evangelischen Auferstehungskirche (von links) Das Musikerehepaar Udo und Uta Follert, Dekanin Regine Klusmann und Jörg Ehni, in der Rolle des Narren predigte. | Bild: Antonia Kitt

Auch den Missbrauch in der Kirche machte Ehni zum Thema

Auch vor den Missbrauchsskandalen der Kirche machte Ehni nicht halt und ging hart mit den Tätern ins Gericht. Über die Opfer reimte er: „Man hat ihre Seelen und ihr Leben zerstört, und jetzt werden die Opfer nicht mal gehört.“ Den Missbrauchsopfern lieh Uta Follert im anschließenden Song dafür ihre berührende Stimme. „Die fingernden Finger, zudringliche Dinger. Nichts war schlimmer. Wir spür‘n sie in Träumen noch immer“, so der Refrain. Das ging unter die Haut. Überhaupt verliehen die sehr gut getexteten und professionell präsentierten musikalischen Einschübe der Narrenpredigt Farbe und Lebendigkeit und machten den Auftritt insgesamt zu einem ebenso abwechslungsreichen wie stimmigen Gesamtkunstwerk, das auch auf einer Kabarett-Bühne bestehen könnte.

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Am Ende seiner Narrenpredigt appellierte Jörg Ehni an die Gemeinde, auf die Kraft der Liebe und Freundlichkeit zu bauen und verwies auf den alten persischen Dichter Saadi, der im 13. Jahrhundert dichtete: „Ein Mensch, den nicht die Not der Menschenkinder rührt, verdient nicht, dass er noch des Menschen Namen führt.“ Mit dieser Moral schlug Ehni den Bogen zum Friedensgebet am Anfang des Gottesdienstes, in dem es insgesamt wunderbar gelang, auch die Ereignisse in der Ukraine im Spiegel närrischer Weisheit zu reflektieren. Die rund 40 Gläubigen im Kirchenraum spendeten begeistert Applaus.