Diese Fastnacht setzt einen Schlusspunkt unter die Ära Wolfgang Lechler und Thomas Pross. Die Narreneltern legen ihr Amt in jüngere Hände – in welche, das ist noch offen. Als Narrenmutter war Wolfgang Lechler 16 Jahre Vorsitzender der Narrenzunft Überlingen, Thomas Pross sein Vize. Die Narrenzunft ist der Dachverein der Hänselezunft mit ihren rund 1500 Mitgliedern.

Gemeinsam schufen Pross und Lechler für Jugendliche an der Fastnacht sichere Räume. Sie gaben von der Macht der Hänsele etwas ab, an andere närrische Gruppen, sodass eine gemeinsame Überlinger Fastnacht entstehen konnte. 2020 organisierten sie mit nahezu 100 weiteren Helfern einen Narrentag, von dem die Narrenwelt noch lange zehren musste, weil kurz danach die Pandemie begann.

Wolfgang Lechler wurde in den vergangenen Jahren von Schicksalsschlägen heimgesucht. Eigene gesundheitliche Probleme und der Tod seiner Tochter bei einem Verkehrsunfall stellen Tiefpunkte in seinem Leben dar. Sie machten ihn zugleich noch empfänglicher für die tiefgreifenden Emotionen, die Fastnacht schaffen kann. Die Gemeinschaft im Narrenrat und seine Freundschaft zu Narrenvater Thomas Pross halfen ihm zurück ins Leben, wie er in einem Videoporträt schilderte, das in den nächsten Tagen auf suedkurier.de gesendet wird.
Wir baten sechs Frauen darum, sich Gedanken über das Mütterliche an der Narrenmutter zu machen:
Trachtenmutter Renate Lohr
Trachtenmutter Renate Lohr, Vorsitzende des Trachtenbundes, sinnierte über die Frage, ob Narrenmutter gut in die Tracht passte. „Er hätte gut mit Charakter und Figur in unseren Verein gepasst“, textete Renate Lohr auf Seealemannisch (ihren Originaltext finden Sie unten stehend). Das habe man schon daran erkannt, „wie majestätisch und elegant“ er am Arm des Narrenvaters geschritten ist. Seine Radhaube habe stets gut gesessen. „Die Narrenmutter wäre der erste Mann gewesen, den wir bei uns akzeptiert hätten.“ Schon wegen seiner mütterlichen Art und seinem guten Umgang mit den Kinderhänsele habe er einen Orden verdient. „Man sollte an jedem Muttertag mit einer Flasche Wein bei ihm aufwarten.“

Renate Lohr erinnert sich an schöne Begegnungen auch außerhalb der Fastnacht. Sie seien dann auf einem Bänkchen gesessen und hätten sich über ihr Muttersein unterhalten: „Über Kinder, die einem nicht gehören, für die man im Laufe der Zeit aber trotzdem so etwas wie Muttergefühle entwickelte.“
First Lady Annette Stoll-Zeitler
Die Frau von Oberbürgermeister Jan Zeitler, Annette Stoll-Zeitler, verbindet mit der Narrenmutter das Attribut „von außerordentlicher Stilsicherheit“. Stoll-Zeitler: „Wohl der Frau und Mutter, die ein solches Händchen für den eigenen Look hat.“ Den Menschen Wolfgang Lechler verbinde sie mit den Attributen „Tatkraft und Brennen für die Sache, für seine Narrenzunft, verbunden mit einem ihm eigenen ruhigen Humor“. Insbesondere auch im Kontext der Landesgartenschau habe sie Wolfgang Lechler „als sehr offenen und pragmatischen Menschen kennengelernt, der uns schnell und unkompliziert unterstützt hat“. Dafür sage sie noch einmal Danke. „Zum Muttertag wünsche ich, dass er sich eben diese Freude und Schaffenskraft behält. Kaum etwas ist wertvoller als der wohlwollende, liebevolle, ja mütterliche Blick auf sein Städtle Überlingen.“
Dekanin Regine Klusmann
Dieser Schmotzige Donnerstag, an dem Lechler und Pross ihren letzten Walzer tanzten, war in vielerlei Hinsicht anders als in früheren Jahren. Dekanin Regine Klusmann spendete am Schmotzigen Donnerstag einen Konfettisegen. Sie betete um Frieden und um Hoffnung: Damit im nächsten Jahr die Fastnacht wieder ein großes Fest werde. Wolfgang Lechler sagte nach Klusmanns Ansprache sichtlich gerührt: „Nach 16 Jahren das beste, was ich bisher gehört habe.“

Im Gespräch mit dem SÜDKURIER würdigte die evangelische Pfarrerin die Narreneltern: „Mutter und Vater, beide tragen Verantwortung füreinander“ – und damit für die Überlinger Fastnacht. In 16 Jahren hätten Lechler und Pross viel für die große Zunft geleistet. Traditionen zu pflegen, das sei für sich genommen etwas mütterliches. In Lechlers Einsatz für die Bewahrung der Muttersprache komme dies besonders gut zum Ausdruck. Lechler ist Verfasser eines Lexikons für das Seealemannische. „Mir schwätzet andersch“, lautet der Titel seines Buches. „Ich liebe Dialekte“, sagte die in Norddeutschland aufgewachsene Klusmann, „sie sind viel emotionaler und direkter“.
Alte-Wieber-Chefin Andrea Maier
Muttergefühle, sagte Andrea Maier, gewinne man ganz automatisch, wenn man einem Verein vorsteht. Die Vorsitzende des Narrenvereins Alte Wieber, der im nächsten Jahr 40-jährige Bestehen feiert, findet, dass die Narreneltern am Schmotzigen Donnerstag einen würdigen Abschied fanden. Es war der letzte offizielle Auftritt der Narreneltern, denen sie dankbar dafür sei, dass sie „das Gemeinsame an der Überlinger Fastnacht gesucht“ haben. Trotz der Trennungen, die es zwischen den Vereinen gebe, hätten Pross und Lechler dieses eine schöne Gefühl gefördert, das da heißt: „Unsere Überlinger Fastnacht.“
Frauenkaffeemutter Beate Braun
Die künstlerische Leiterin des Frauenkaffees, Beate Braun, erwähnt einen Aufkleber der Muettersprochgesellschaft auf Lechlers Briefkasten, auf dem geschrieben steht: „Bi uns kammer au alemannisch schwätze“. Beate Braun schreibt in ihrer Laudatio: „Wolfgang L., das woß ein jeder / fillte jeden Zentimeter / vu seim Amt und sinnere Tracht / war Narremutter Tag und Nacht / Und des it bloß zur Fasnetszeit / er war des ganze Johr bereit / War nie im Urlaub, all die Johr / etz stellet Sie sich des mol vor: / Sogar am Klingelschild me glei erkennt / wo unsre Narremutter pennt.
Mutter der Nation Marga Lenski
Die Fastnachterin, Trachtenträgerin und frühere Stimmenkönigin im Gemeinderat, Marga Lenski, fühlt sich geschmeichelt, wenn man sie als Mutter der Nation von Überlingen bezeichnet. In dieser Rolle schreibt sie ihre Laudatio, sich fragend, wer wohl Lechlers Nachfolge antreten wird: „Noch kenned mir es gar it fasse: er will vu diesem Amte lasse. Doch wer behängt die Narrehorde in Zukunft denn mit gold‘ne Orde? Au frogt besorgt de Narresome: ‚Isch‘d neie Mame denn scho omme?‘ Die Haube giet er us de Hand; mir winsched Glick im Ruhestand! Dass er de Rücktritt it bereit, stattdesse i de freie Zeit / de Fremde, welche nei-rei-g´schmeckt / glei zeigt: so schwätzt me Dialekt!“