Manche nennen den Überlinger Ortsteil Goldbach ein Künstlerdorf, erzählt Georg Mais. Da wohne etwa der Bildhauer Klaus Schultze, der Gitarrist Jan Kuhle oder Bariton Marco Vassalli, Sprössling der örtlichen Pizzeria-Betreiber, der in Köln ausgebildet wurde, nun aber wieder am See lebt. Georg Mais gehört auch in dieses Künstlerdorf. Er lebt am hinteren Ende der Straße Goldbach im Haus seiner Eltern. Schon sein Vater spielte hier Geige und Trompete, erzählt Mais. Nur was aus seinem Sohn wurde, konnte er nicht mehr miterleben. Er starb, als Mais acht Jahre alt war.

Sein Weg zur Musik war von Anfang an gegeben, erzählt Mais. Sein Vater war Musiker. Arbeitete Komponist Franz Alfons Wolpert an einem neuen Werk, rief er nach Georg Mais Senior – praktisch, da er schräg gegenüber wohnte. Ein Künstlerdorf eben.

Offenes Haus

„Ich war in allen Himmelsrichtungen, aber mein Erstwohnsitz war immer in Überlingen“, sagt Georg Mais. 2003 ist er mit seiner Ex-Frau ins Haus seiner Eltern gezogen, inzwischen ist das Paar getrennt und er lebt allein in den sieben Zimmern. „Wenn ich das Gefühl habe, ich muss mich verändern, kann ich in einen anderen Raum gehen“, sagt Mais mit einem Anflug von Galgenhumor. Doch den vielen Platz, den er hat, will er Gästen zur Verfügung stellen, wenn sie bei einer der zahlreichen Gelegenheiten, die ihnen Mais in der Region bietet, einen Platz zum Übernachten brauchen. Es gehört zu seinem Organisationstalent, das er sich als Musiker und Veranstalter über die Jahre erarbeitet hat: Nähe bewahren zur Musik und ihren Schaffenden, Kontakte pflegen.

Sämtliche Einnahmen für die Ausbildung

Ersten Geigenunterricht erhält er mit neun. Nach heutigen Maßstäben sei er ein Spätberufener, wie er sagt. 1978 begann Mais schließlich an der Musikhochschule in Trossingen zu studieren, Geige und Dirigieren. 1984 bescheinigte ihm Thomas Ungar, Professor an der Musikhochschule Stuttgart, Qualitäten in der Leitung mehrerer Musiker. Also verfolgte er diesen Weg weiter. „Andere haben Urlaub gemacht, ich habe sämtliche Einnahmen in meine Ausbildung investiert“, schildert Mais.

Georg Mais als Student ungefähr im Jahr 1985.
Georg Mais als Student ungefähr im Jahr 1985. | Bild: Rasmus Peters

Ein Weg zwischen Ost und West

Die Wende beeinflusst Mais‘ Biografie enorm. Er nutzt die Gelegenheit und blickt sich auf den Bühnen hinter dem Eisernen Vorhang um. Erst geht er mit seinem Ensemble Divertimento 85 auf Tournee durch Ostdeutschland. Sein früherer Lehrer Baldini ist auch dabei. „Ich saß da mit Noten und Telefon“, schildert Mais sein Dasein als Manager und Musiker gleichzeitig. Er selbst hatte damals ein Gastdirigat in Konstanz.

Das Divertimento 85 im Schwarzwald um das Jahr 2000. Georg Mais steht in der Mitte ganz hinten. Benannt ist das Ensemble nach der ...
Das Divertimento 85 im Schwarzwald um das Jahr 2000. Georg Mais steht in der Mitte ganz hinten. Benannt ist das Ensemble nach der Gattung der Unterhaltungsmusik zur Mozart-Zeit, die 85 steht für das Gründungsjahr. Es besteht aus Leien und Profis. | Bild: Georg Mais

Für das Symphonie-Orchester Pirna organisierte er nach eigener Aussage die erste Reise in den Westen. Mais selbst wurde einige Zeit auch in Bautzen heimisch. Der Komponist Detlef Kobjela überzeugte Mais, Direktor der neu gegründeten Lausitzer Philharmonie zu werden. Später drang er noch weiter in postsowjetisches Gebiet vor. Er arbeitete in Minsk, in Kaliningrad, in Vilnius. Als deutscher Musiker habe er gleich einen hohen Status genießen können, erzählt Mais. Die Qualität der Musik und Orchester dort verblüffte ihn. Die Arbeit mit dem Litauischen Kammerorchester nennt er seinen künstlerischen Höhepunkt. Dort lernte er auch Yehudi Menuhin kennen, den britischen Jahrhundertgeiger. In Vilnius übertrug er Mais die Verantwortung, das Orchester für ihn einzuspielen, erinnert er sich.

Der Mentor Nikolaus Harnoncourt

Als seinen größten Mentoren nennt der Musiker jedoch Nikolaus Harnoncourt, den Pionier der historischen Aufführungspraxis, jener Idee, Musik auf den Instrumenten ihrer jeweiligen Entstehungsepoche zu spielen. An einer Hotelbar in Villingen, wo Harnoncourt mit seinem Ensemble Concentus Musicus gastierte, kamen er und Mais ins Gespräch. Der Kontakt blieb. Angetan vom Eifer Harnoncourts verfolgte Mais weiter sein Studium. Als sein Mentor am Salzburger Mozarteum unterrichtete, hatte auch Mais die Gelegenheit, als Gasthörer beizuwohnen. Später war es auch Harnoncourt, der in Mais den Gedanken weckte, eine südwestdeutsche Mozart-Gesellschaft zu gründen.

„Wir können aus der Vergangenheit lernen“, sagt Mais, „etwa, dass eine Gesellschaft immer von unten nach oben zu errichten ist und nicht umgekehrt.“ Warum es immer noch wichtig sei, ins Konzert zu gehen? „Ich glaube, die Gesellschaft braucht es. Da draußen ist so viel Desorientierung und für mich persönlich ist es schlicht ein wichtiger Teil meines Lebens.“

„Werktreue ist das A und O“

Seine wichtigsten Förderer seien aber trotz alledem die da oben, sagt er und zeigt in den Himmel. Er meint Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms. Für ihn ist es die größte Musik, die je geschaffen wurde. Auch, weil es verständliche Musik ist. Und wie er sagt: „Musik soll nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit der Seele verstanden werden.“ Werktreue sei das A und O, findet er. „Ich bin eher der Erhalter als Innovationskünstler.“ Auch eine Form der Kontaktpflege.

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Seinen wichtigsten Kontakt hat er bis heute gehalten: „Überlingen war immer mein Erstwohnsitz“, sagt Mais. „Ich habe das Geschenk, dort verwurzelt zu sein, wo andere Urlaub machen.“ So umsorgt er und hegt er seine Verbindung zu Goldbach, dem Künstlerdorf.