Da stehen sie zum letzten Mal und blicken hoch zum Firmenlogo. Einige von ihnen waren hier ein paar Jahrzehnte angestellt, andere von der Ausbildung bis zur Rente. Diese Hallen sind für sie mehr als ein ehemaliger Arbeitsort. Der Name Kramer hat sie auf ihrem Lebensweg zusammengeführt. Gemeinsam wollen sie Abschied nehmen – bevor dieses Gebäude voller Erinnerungen abgerissen wird.
Hermann Schappeler hat den Rundgang der rund 30 ehemaligen Kramer-Mitarbeiter organisiert. Vom offiziellen Projektentwickler des Geländes, Thomas Sorg, hat er zuvor die Schlüssel erhalten. „Wenn wir da gleich reingehen, wird das wie ein Film vor den Augen“, kündigt Schappeler an. „Dann kommen alle Taten, alle Momente und alle Erinnerungen wieder hoch.“
Idee ist „bei einer Bierlaune“ entstanden
Der 68-Jährige organisiert einen Stammtisch von ehemaligen Kramer-Mitarbeitern. Regelmäßig treffen sie sich in einer Gaststätte in Frickingen und pflegen die Gemeinschaft. Diese Idee, hier nochmal durch die „heiligen Hallen“ zu gehen, sei „bei einer Bierlaune“ entstanden, sagt Schappeler.
Der 68-Jährige arbeitete hier von 1969 bis 2008, hauptsächlich bei der Entwicklung von Radlader-Prototypen. Noch heute ist er dem Unternehmen verbunden und macht Werksführungen am Standort in Pfullendorf. Diese Verbundenheit zeigt sich auch auf seiner Daunenjacke, auf dem das Logo von Wacker Neuson prangt.
„Es hat hier immer nach Öl und Dampf gerochen“
Jeder der Anwesenden hat seine ganz individuellen Erinnerungen an die Hallen, so auch Werner Hermann. Wo nun ein paar Holzbretter stehen, hat der 74-Jährige einst Zylinder für die Motoren der Mäh- und Baumaschinen montiert. „Es hat hier immer nach Öl und Dampf gerochen – und es war laut“, erzählt er über die Arbeit. Ohrenschützer habe es damals nicht gegeben, dafür aber Frühstück und Mittagessen.
Ursprünglich war es ein Zufall, dass der gelernte Automechaniker Anfang der 1970er-Jahre bei Kramer landete. „Ich war da sehr dankbar, weil es zu der Zeit gar nicht so einfach war, etwas zu finden.“ Als Kramer Anfang der 2000er-Jahre Stellen abbauen musste, erklärte sich Hermann bereit, mit einer Abfindung das Unternehmen zu verlassen. Trotzdem hält er diese Zeit in Ehren. „Ich habe hier immer gern gearbeitet“, sagt er. „Diese Arbeitsgemeinschaft war einfach etwas Besonderes.“
Vom Ural zu Kramer an den Bodensee
Mit ähnlichen Gefühlen steht auch Heinrich Schanz in den ehemaligen Fertigungshallen. „Elf Jahre stand ich hier am Band“, erzählt er. Anfang der 1990er-Jahre sei er aus dem Gebiet des russischen Uralgebirges nach Deutschland gekommen. Aber warum an den Bodensee? „Hier wohnten Verwandte von mir und in Nesselwangen habe ich in einer Wohnunterkunft einen Platz gefunden.“

Anschließend begann er einen Sprachkurs und eine Ausbildung bei Kramer. „Die Firma war der beste Meister, den ich je erlebt habe“, sagt er. Schanz hat Tränen in den Augen, wenn er sich erinnert. „Dieser Ort ist für mich Heimat geworden, ich konnte Teil einer großen Gemeinschaft sein.“
„Da will ich lieber nicht nochmal rein“
Eine der wenigen Frauen, bei dem Rundgang ist Edeltraud Keller. Sie arbeitete 22 Jahre in der Verwaltung des Werks und organisierte die Abläufe rund um das Ersatzteillager. Sie findet es schade, dass bei dem Rundgang kaum Frauen anwesend sind. Dabei waren bei der Firma sehr wohl welche angestellt, sagt sie. „Beispielsweise in der Verwaltung, als technische Zeichnerinnen oder in der Kantine.“
Seit ihrer Kündigung sei sie nicht mehr hier gewesen. Beim Blick durch ein Fenster des Verwaltungsgebäudes ist sie erschüttert, wie es nun in ihrem ehemaligen Büro aussieht. Lose Bretter liegen auf dem Boden und eine Wand steht dort, wo vorher keine war. „Nein, da will ich lieber nicht nochmal rein“, sagt sie.
Kaffeekränzchen mit Herrn Kramer
Zum Abschluss des Rundgangs stehen die Ehemaligen vor dem früheren Chefbüro. Hermann Schappeler erhebt das Wort: „Die Herren, ich bitte um gutes Benehmen!“ Und Ja, mit großer Ehrfurcht schreiten die Anwesenden in das Büro.
Sie erinnern sich: Zu ihren Berufsjubiläen seien sie hier von „Herrn Kramer“ eingeladen worden und hätten Kaffee getrunken – oder gar eine Uhr erhalten. „Wer 20, 25, 40 oder 50 Jahre in diesem Betrieb gearbeitet hatte, durfte vorbeikommen“, erzählt Schappeler.
Respekt für den Chef bis zum Ende
Bevor sie das Gelände zum letzten Mal verlassen, versammeln sie sich noch zu einem gemeinsamen Foto. Ihren Anstand behalten die ehemaligen Arbeitskollegen bis zum Ende. Niemand wagt es, den Schreibtisch zu berühren. Niemand setzt sich auf den Chefsessel und legt die Füße hoch.