Ruhig liegt das Boot auf dem See. Sanft schwankt es im Ruhepuls des Wassers, während der 15-jährige Benjamin Karin Müller, die Ortsvorsteherin von Deisendorf, interviewt. Es ist buchstäblich ein Seegespräch. Die Gespräche gleichen Namens sind ein Projekt des Vereins Linzgau Kinder- und Jugendhilfe. Da die Einrichtung eben dort ihren Stammsitz hat, wurde Müller anlässlich des 60-jährigen Bestehens eingeladen, erklärt Vinzenz Kraft, der die Seegespräche nach einer coronabedingten Flaute frischen Wind geben will.

Verständnis und Empathie
Ein- bis zweimal im Jahr will er das Gespräch nun wieder organisieren. Es ist gar nicht so einfach, gibt er zu. Wind, Wetter und Wellengang seien schwer vorherzusehen. Hätte es geregnet, wäre es ein Hafengespräch geworden. Doch beim ersten Gespräch unter seiner Leitung weht nur eine leichte Brise, und Benjamin fragt Müller, was die Jugendlichen interessiert. Etwa: „Was muss man eigentlich können, um Ortsvorsteherin zu sein?“ Müller antwortet: „Man sollte politisches Verständnis mitbringen, Empathie besitzen und ein offenes Ohr für alle.“

Außergewöhnliche Fragensteller
Die Fragen seien bei ihm zu Hause entstanden, sagt Benjamin. Er übt selbst ein Amt aus: Er ist einer von zehn Gruppensprechern seiner Einrichtung. Deshalb sei er auch gefragt worden, ob er ein Seegespräch führen wolle. Als solcher setzt er sich in Jugendratssitzungen für Verbesserungsvorschläge der Unterkünfte ein. „Die Jugendlichen bringen oft eine Problematik mit“, sagt Kraft. Die Anforderungen in den verschiedenen Wohngruppen, wo die 13- bis 19-Jährigen unterkommen, seien daher immer andere, erklärt Pädagoge Vinzenz Kraft.

Benjamin, Alica und Lennox, die das Gespräch führen und filmen wohnen in der Einrichtung in Mimmenhausen. „Alle zwei Wochen etwa fahren wir nach Hause, erzählt Benjamin. „Bei manchen gibt es kein Zuhause, oder wenn sie etwas anstellen, wir eine Heimfahrt gestrichen“, fügt Lennox hinzu. Was die Seegespräche für Kraft deshalb besonders macht: „Die Interviewer und die Interviewten.“
Neues Schiff, neue Gespräche
Bei den Gesprächen auf dem See waren schon der Überlinger Oberbürgermeister Jan Zeitler oder Bundestagsabgeordneter Manfred Lucha oder die Monoski-Bobfahrerin Anna-Lena Forster zu Gast. Für ihr erstes Gespräch seit vier Jahren hat die Jugendhilfe ihr 45 Jahre altes Schiff ausrangiert und durch ein sportliches Segelboot ersetzt. „Es hat allein zwei Jahre gedauert, ein geeignetes Neues zu finden“, erzählt Vinzenz Kraft.
Nun nutzen es die Jugendlichen und ihre Betreuer seit dem Frühjahr 2024 regelmäßig. Alle Jugendgruppen sollen auf den See kommen, sagt er. Nach abgeschlossener Arbeit verteilen sich die drei Jugendlichen an Bord. Das Gespräch weicht der Plauderei. Niemand hat es eilig. Die Jugendlichen halten ihre Hände ins Wasser, lassen die Gedanken streifen. Auf dem See scheint es keine Probleme zu geben.
Das auf der Fahrt entstandene Gespräch mit Karin Müller können Sie hier ansehen.