Martin Hahn steht vor seinem nagelneuen Holzhaus und kauft ein: Der Bäckerwagen ist soeben auf den Helchenhof, wo Hahns Familie in fünfter Generation lebt, gefahren. Und der OB-Kandidat macht von der Möglichkeit, Backwaren einzukaufen, gern Gebrauch. Sodann schließt er die Haustür auf und bittet den Besuch herein.
„Der Boden ist aus meinen eigenen Eschen“, sagt er. Doch die Eschengeschichte muss warten, zunächst kommen Gattin Sabine Becker und Hündin Bagheera herbeigeeilt, um die Ankommenden zu begrüßen. Durch die Diele lässt sich der Wohnbereich erkennen: Bodentiefe Glasfenster eröffnen den Blick auf einen Reitparcours, dahinter erstrecken sich die städtischen Spitalwälder. Und der Hahn‘sche Forst, aus dem ebenjene Eschen stammen, die nun im Becker-Hahn‘schen Zuhause ein zweites Leben als Fußboden frönen.
Die Geschichte der Dielen aus den eigenen Eschen
„Die Esche geht kaputt“, erläutert Martin Hahn. „Bei uns in der Region wird sie wohl aussterben.“ Als Hahn das erkannte, fällte er die toten Eschen und lagerte sie, um daraus die Dielen für sein Haus sägen zu lassen. Selbiges hat das Ehepaar selbst geplant, seit letztem Sommer ist es fertig. Der ausladende Tisch ist ebenfalls aus den Eschen entstanden. „Sabine und ich haben die Bretter so sortiert, dass eine schöne Platte entsteht“, sagt Hahn.
Beim Boden und dem Fertigen der Möbel herrschte Einigkeit, ansonsten stellte der Hausbau das Ehepaar vor große Herausforderungen. „Meine Frau hatte ganz andere Vorstellungen als ich“, sagt Hahn und Becker ergänzt augenzwinkernd: „Die Ehescheidung drohte.“ Für harte Diskussionen sorgte die Küche: „Ich fand: Die Küche muss in den Osten, weil da das Morgenlicht ist“, begründet Hahn.
Viel Licht und frisches Gemüse
Becker hat sich durchgesetzt, die Küche kam in den Westen. Trotzdem haben beide gewonnen. „Wegen der großen Fenster haben wir nun Morgenlicht in der Küche, obwohl sie im Westen ist“, sagt Sabine Becker. Den Osten nehmen Eckcouch und Fernseher ein. Küche, Wohnzimmer, Esszimmer, alles vereint in einem riesigen Raum.
Die Küche mattschwarz, elegant, überall frisches Gemüse. Sabine Becker beginnt, einen Kürbis zu schneiden. Sie bereitet eine Suppe vor. Martin Hahn lehnt am Tresen und sieht seiner Frau zu. Sie könnte ruhig mehr Fleisch kochen, findet er: „Ich bin eher eine fleischfressende Pflanze und sie die vegane Tante.“

Schwierige Zeiten liegen hinter ihnen
Inzwischen fühlen sich Becker und Hahn wohl im neuen Haus. Doch schwierige Zeiten liegen hinter ihnen: Kurz nach dem Umzug verletzte sich Becker an der Schulter. Sie wurde operiert, aber ihr Zustand besserte sich nicht. „Im April dieses Jahres dachte ich, ich habe eine Sepsis.“ Ein Arzt erkannte, dass sie sich einen Krankenhauskeim eingefangen hatte. Im Mai wurde sie erneut operiert – keine Besserung.
„Im Juni stellte ein Arzt fest, dass ich eine genetische Disposition habe, durch die ein solcher Keim eine Arthritis auslösen kann“, sagt Becker und ergänzt mit Blick auf ihr Wohnzimmer: „Gerade umgezogen und dann lag ich da.“ Ihr Gatte hatte auch nicht viel Zeit. Damals war er mit der Aufarbeitung der Bauernproteste beschäftigt, „und dann noch Sabine daheim wie ein Schluck Wasser“, blickt Hahn zurück.
Sie unterstützt ihn bei der Kandidatur
Deswegen, sagt Becker, habe ihr Ehemann sie damals auch nicht gefragt, was sie davon halte, wenn er als Oberbürgermeister kandidieren würde. „Sonst hätte ich gesagt: Du spinnst.“ Doch dann ging es ihr langsam besser und in Martin Hahn reifte der Entschluss, sich um das Amt des OB zu bewerben. Im Sommer fragte er: Würdest du mich unterstützen? „Ich finde schon, wenn man in einer Partnerschaft ist, dass man die Träume des anderen unterstützen sollte“, sagt Becker, die Überlingen selbst acht Jahre lang als Oberbürgermeisterin vorstand, bevor sie ihr Amt 2016 an den jetzigen OB Jan Zeitler verlor.
Wie fühlt es sich an, wenn nun der Ehemann kandidiert? „Das ist schon speziell, das Gefühl“, gesteht sie. „Für mich war das Problem: inwiefern kommen die Gespenster zurück?“ Und? Kamen die Gespenster zurück? „Nein“, sagt Sabine Becker, „es ist sogar eine indirekte Aufarbeitung.“ Nicht zuletzt, weil sie ihre Rolle klar definiert habe. „Ich habe Martin gesagt, dass ich nicht dauernd dabei sein werde.“ Die moderne OB-Rolle verlange das auch nicht, sagt Martin Hahn. „Es gibt aber schon repräsentative OB-Termine, bei denen es nett ist, zu zweit aufzutauchen.“
Jede Menge tierische Mitbewohner
Sein Blick schweift zur Koppel, wo Sabine Beckers Pferde stehen. „Das alles da draußen“, sagt er unvermittelt, „gehört für mich mindestens genauso zur Homestory wie dieses Haus.“ Schon erhebt er sich, Hündin Bagheera eilt sofort schwanzwedelnd herbei. Ein Spaziergang über den Hof. Vorbei am Gutshaus und an Ställen.
Ein Fuhrpark an Kinderfahrzeugen, sie gehören den Pächterkindern. Pferde, Hasen, Katzen und hier und da läuft ein Arbeiter über den Hof. Natürlich ist man per Du. Das Duzen. Ein Thema, das Hahn im Wahlkampf verfolgt. Wie viel Nähe ist gut? Und irgendwie ist ja ganz Überlingen seine Heimat, es sind gewachsene Beziehungen.
Kann man sich da auch mal distanzieren und eine unbequeme Entscheidung treffen? „Klar“, sagt Hahn und macht eine Geste, die den Hof umfasst. „Das hier ist ein gutes Beispiel dafür, dass das für mich alltäglich ist. Natürlich bin ich mit jedem hier per Du, aber wir müssen auch ganz harte Sachen abmachen.“ Sich gegen die Meinung der anderen zu stellen, kenne er auch aus der Grünen-Fraktion. „In Entscheidungen habe ich drei Mal den Fraktionszwang verlassen“, sagt Hahn. „Und wenn man das einmal gemacht hat, weiß man, was auf einen zukommt. Eigenständigkeit war noch nie ein Problem.“
Heimat als Teil des Wertekodex
Der Helchenhof liegt zwischen zwei Dörfern, zwischen zwei Landkreisen: Bonndorf im Bodenseekreis und Winterspüren im Kreis Konstanz. „Heimat, das ist für mich Autonomie“, sagt Hahn. Nicht zuletzt deshalb sei er parteiunabhängig für das Amt des OB angetreten. „Wenn ich sage, das Amt hat keine Farbe, meine ich das sehr ernst. Aber ich habe einen Wertekodex, der eine Farbe hat.“ Und die Heimat, sagt Hahn, inzwischen bei den Koppeln angekommen, wo Beckers Pferde grasen, sei Teil dieses Wertekodex. Hündin Bagheera kommt herbeigeeilt, einen Stock im Maul und will spielen. Hahn lässt sich gern darauf ein und schleudert den Stock weit in die Felder, die seine Heimat sind.
„Der Martin ist ein bisschen extrem, den krieg ich ja kaum in Urlaub“, sagt Sabine Becker. Er fahre schon manchmal weg, schränkt Hahn ein. Aber am Allerliebsten ist er halt in der Heimat. Und möchte gestalten. „In der Heimat tätig, mit Hebel in der Hand, weisch, des isch subber“, sagt der OB-Kandidat, vor Begeisterung in Mundart verfallend.
Und ergänzt: „Ergebnisorientiert zu handeln, ist für mich das absolut Schönste. In der Landespolitik kann man das nicht so sehr. Weil ich dort legislativ bin und operative Hebel quasi kaum in der Hand habe. Aber wenn ich OB werden sollte, dann gebe ich nochmal Gas, mit allem, was ich kann.“
Und wie wohnt Amtsinhaber und OB-Kandidat Jan Zeitler? Das erfahren Sie in diesem Artikel.