Beim Bogenschießen, sagt Thomas Hildebrandt, kommt es darauf an, sich zu konzentrieren. Das Ziel in den Fokus nehmen. Der 53-jährige aus Überlingen, der Bogenschießen als sein Hobby bezeichnet, fokussiert sich aktuell auf den 10. November – Wahlsonntag in Überlingen. Die Stadt stimmt darüber ab, wer ihr nächster Oberbürgermeister sein wird. Darf‘s Amtsinhaber Jan Zeitler weitere acht Jahre machen, oder soll einer seiner Herausforderer ran?
Seit diesem Freitag zählt Hildebrandt zum Kreis der Gegenkandidaten. Sein Entschluss sei schon länger gereift, er habe mit der eigenen Kandidatur gezögert, als er von der Kandidatur des Grünen Landtagsabgeordneten Martin Hahn erfuhr; nach dem Motto, dass es dann ja einen Gegenentwurf zum jetzigen OB schon gibt. Nach Ermunterung aus seinem Umfeld steckte Hildebrandt am Freitag, drei Tage vor Ende der Bewerbungsfrist, seine Unterlagen in den Rathausbriefkasten.

„Ich bin kein AfD-Anhänger“
Hildebrandt bewirbt sich ohne Parteibuch. Als er Unterstützerunterschriften für die Kandidatur sammelte, sei er gefragt worden, ob er von der AfD sei. Das weist Hildebrandt von sich. „Ich bin kein AfD-Anhänger.“ Auf die Frage, wo im politischen Spektrum er sich verortet, antwortet er spontan: „Ich kann mich keiner Partei zuordnen“, denkt dann angestrengt nach. „Schwierig.“ Und schiebt hinterher: „Ich sehe mich in der politischen Mitte.“
Wie beurteilt es Hildebrandt, dass die AfD mit zwei Personen im Überlinger Gemeinderat sitzt? „Das war eine Entscheidung der Überlinger Bürger.“ Darf man trotz des Wahlgeheimnisses fragen, ob er zu dieser Entscheidung beigetragen hat? „Wahlgeheimnis! Ich habe nicht die Grünen gewählt.“
„Ich bin für Naturschutz“
Das ist ein gutes Stichwort, um auf Hildebrandts Einstellung zu Ökologie und Klimaschutz zu blicken. „Manche Ansätze der Grünen finde ich gut“, sagt Hildebrandt im Interview. „Ich bin absolut für Naturschutz.“ In der Natur liege viel zu viel Müll herum. Und Klimaschutz? „In vernünftigen Maßen, ja.“ Was bedeutet das? „Eine sinnvolle Umstellung von Heiz- und Antriebssystemen, aber nicht mit der Axt-im-Wald-Methode“. Und wie er gedenke, als OB hier zu wirken? „Ich kann Einfluss darauf nehmen, ob Windräder in unserer Region sinnvoll sind oder nicht.“ Sind sie es? „Ich glaube nicht. Weil sie nicht die Effektivität erreichen werden, die ihnen zugesprochen wird. Ich glaube, bei uns gibt es zu wenig Wind.“
„Bürokratie verbesserungswürdig“
2009 kandidierte Hildebrandt auf der ÜfA-Liste für den Gemeinderat und landete auf Platz 19 von 21 Kandidaten. Seitdem bewarb er sich nicht mehr um ein kommunalpolitisches Amt. Die Erfahrung, die er als Handwerker macht – „ich übe meinen Beruf gerne aus“ – sind ihm aktuell Antrieb für seine OB-Kandidatur. „Die Bürokratie hier in der Stadt ist verbesserungswürdig“, sagt er, und berichtete folgende Geschichte: Für eine Baustelle in der Altstadt hätte er einen Container gebraucht. Anruf im Rathaus: Er solle per E-Mail ein Antragsformular beantragen. E-Mail verschickt, keine Antwort erhalten, nach der zweiten E-Mail aufgegeben. Statt Container parkte er einen Anhänger im Park- oder Halteverbot, „kam sofort der Stadtsheriff, hab‘ insgesamt drei Strafzettel bekommen“. Unterm Strich, denkt er, fuhr er mit dem Bußgeld vielleicht sogar günstiger als mit den Gebühren fürs Aufstellen eines Containers.
„Genug fürs erste Interview“
Hildebrandt leitet aus seiner Container-Geschichte, oder der Erfahrung, im Bürgerbüro Ü-Punkt ohne Terminanmeldung nicht vorsprechen zu dürfen, eine fehlende Bürgernähe ab. Das wolle er verbessern. Weitere Punkte auf seiner Agenda sind: „Ein vernünftiges Verkehrskonzept entwickeln, das für alle Seiten akzeptabel ist, zum Beispiel ein Parkhaus unter der Zimmerwiese“, „den Einzelhandel stärken und versuchen, ihn wiederzubeleben, sofern man darauf Einfluss hat“, „ich möchte die Verwaltung vereinfachen für die Bürger“, „Überlingen familienfreundlich gestalten, dass junge Familien nicht wegziehen, sondern passenden Wohnraum finden“, „Ausbau von Schule und Kindergärten“. Und weiter? Vielleicht etwas konkreter auf Überlingen zugeschnitten? „Ich denke, das muss fürs erste Interview reichen.“
Berufserfahrung in einer Verwaltung bringt Hildebrandt nicht mit. „Ich glaube, dass ein offenes Ohr wichtiger ist wie der Verwaltungswirt. Ich bin ja nicht alleine, ich bin ein Teamleader. Ich muss schauen, dass die Verwaltung funktioniert, dass praktische Lösungen gefunden werden, und dass keine Verwaltungsakte über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden werden.“
„Alle Meinungen anhören“
Was politisierte ihn? „Die Pandemie“, antwortet Hildebrandt. Er berichtet davon, dass er sich an den Montags-Demonstrationen beteiligt, „gegen die extremen Entscheidungen bei den Corona-Maßnahmen und gegen die Maskenpflicht“ demonstriert habe. „Ich hätte die Dinge eher hinterfragt, genauso wie ich es als OB machen würde: Alle Meinungen anhören und nach einem Konsens suchen.“
Hildebrandt spricht von der „Impfpflicht“, die es in Wahrheit nie gab, und korrigiert sich auf Nachfrage: Die Menschen seien zum Impfen „gedrängt“ worden, indem sie mit Konsequenzen im Beruf zu rechnen gehabt hätten, wenn sie sich nicht impfen ließen. Was hätte Hildebrandt denn getan, wenn er in Berlin in Verantwortung gestanden hätte? „Ich hätte auf Abstand plädiert“, den er sich im Supermarkt übrigens auch heute manchmal wünsche, wenn ihm jemand in den Nacken hustet. Die Pandemie ist vorbei, die Montagsdemos blieben: „Es kam immer mehr der Schwenk Richtung Friedensdemos, da habe ich mich von den Montagsdemos zurückgezogen.“
„Ich glaube, dass ich eine Chance habe“
Hildebrandt stattet Räume aus, verlegt Fließen, nun will er die ganze Stadt gestalten. Wahlplakate muss er noch drucken lassen, eine Internetseite bauen und Wahlkampftermine vereinbaren. Mit alledem startet er jetzt am Wochenende. „Ich glaube tatsächlich, dass ich eine Chance habe. Wenn nicht, dann habe ich es in jedem Fall versucht. Wer politisch etwas verändern will, muss sich beteiligen.“