Er bezeichnet sich als „konsequent, vielleicht unbequem“. Andrej Michalsen, Hänselemitglied in Überlingen, kämpfte mit juristischen Mitteln bis vor wenigen Tagen um die Frage, ob es rechtens war, dass die Polizei beim abgeblasenen Hänselejuck 2021 nach seinem Personalausweis verlangte. Er sieht sich in seinen Grundrechten verletzt.

Fastnacht 2021? War in der Corona-Pandemie abgesagt, Versammlungen verboten. Laut damals gültiger Corona-Verordnung gab es zwar keine Ausgangssperre, aber man durfte sich im Freien nur mit Personen des eigenen Hausstands und einer weiteren Person treffen, „und nur aus triftigem Grund“, wie die Polizei betonte, worunter sie die Narretei nicht zählte. Laut Polizei hielten sich an Fastnachtssamstag in der Öffentlichkeit 250 Menschen auf, davon etwa 50 Narren im Hänselehäs.

Polizeibeamte in Uniform und in Zivil kontrollieren ein Hänsele am Fastnachtssamstag 2021. Archivbild.
Polizeibeamte in Uniform und in Zivil kontrollieren ein Hänsele am Fastnachtssamstag 2021. Archivbild. | Bild: Jürgen Gundelsweiler

Der Überlinger Arzt Andrej Michalsen war einer der Hänsele. Er spazierte, gemeinsam mit einem Freund, zu einer Uhrzeit durch die Stadt, in der in normalen Jahren der Hänselejuck startet. Es war aber nichts normal damals.

Ist die Hänselenummer nicht Ausweis genug?

Michalsen wurde rund 150 Meter vom Hänselebrunnen entfernt kontrolliert. Ganz in der Tradition des Hänsele, dachte Michalsen, dass die Mitgliedsnummer am Häs Ausweis genug sei und versuchte es auf die närrische und allefänzige Art. Es entwickelte sich „ein gewisser Wortwechsel“, wie Michalsen einräumt. Er weigerte sich so lange, seinen Ausweis zu zücken, bis die Beamten ihm damit drohten, ihn mit aufs Revier zu nehmen.

Hermann Josef Faupel, Jahrgang 1947, mittlerweile „Rechtsanwalt in Ruhe“. Seine Zulassung als Rechtsanwalt, die er seit 1975 besaß, gab ...
Hermann Josef Faupel, Jahrgang 1947, mittlerweile „Rechtsanwalt in Ruhe“. Seine Zulassung als Rechtsanwalt, die er seit 1975 besaß, gab er zurück. | Bild: Hilser, Stefan

Rechtsanwalt Hermann Faupel, der Michalsen rechtlich vertritt, fasst den Abend so zusammen: „Der Hänselebrunnen war um 19 Uhr geräumt, und massiv durch Polizei besetzt. Einen Veranstalter gab es nicht. Hänsele haben sich maximal zu zweit öffentlich bewegt und keine Ansammlungen gebildet, weil solche Bußgeldtatbestände auch nicht festgemacht wurden. Also sollten Angst, Druck, Erschrecken und Einschüchterung den Fastnachtssamstag bestimmen. Ist das unsere Fasnet?“

Polizei im Auftrag der Stadt unterwegs?

Im Subtext des Prozesses geht es um den Vorwurf Michalsens und Faupels an die Stadt und namentlich an OB Jan Zeitler, dass er „den Geist des Überlinger Brauchtums nicht verstanden“ habe. Als Beispiele dafür ziehen sie weitere Bußgeldverfahren heran, mit denen einst Skifahrer sowie der damalige Hänselevater Harry Kirchmaier belangt wurden. Ihrer Ansicht nach hätte Zeitler das Opportunitätsprinzip nutzen und die Narren gewähren lassen können. Laut ihrer Darstellung sei die Polizei an jenem Samstag von der Stadtverwaltung „beauftragt“ worden.

Die Stadtverwaltung betont, dass die Landespolizei eigenständig in Aktion getreten sei. Zeitlers Pressestelle, die nicht weiter auf die Angelegenheit eingehen möchte: „Die Corona-Verordnung war eine zum damaligen Zeitpunkt legitimierte und gültige Verordnung, zu deren Durch- und Umsetzung sowohl die Polizeibehörde als auch der Polizeivollzugsdienst befugt und auch verpflichtet waren.“

Bußgeldbescheid über die Summe von 108 Euro

Wie sich einem Brief des Polizeireviers vom 3. März 2021 an das Ordnungsamt der Stadt entnehmen lässt, übergab sie Anzeigen in zehn Fällen. Interessant aus Sicht von Faupel und Michalsen ist der Umstand, dass die Stadt das Bußgeldverfahren nicht wegen eines Verstoßes gegen die Corona-Verordnung des Landes angestrengt habe. Sondern, so wie es im Bescheid steht, wegen renitenten Verhaltens laut Ordnungswidrigkeitengesetz (Paragraf 111). Der Bußgeldbescheid beläuft sich inklusive Gebühren und Auslagen auf 108,50 Euro.

Polizei sieht Gericht auf ihrer Seite

Das Polizeipräsidium bewertet die Sache so: „Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Personalienfeststellung nicht auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgt, sondern zur Sicherung eines möglichen Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach der Strafprozessordnung in Verbindung mit dem Ordnungswidrigkeitengesetz.“ Das Verwaltungsgericht hat in der Sache zwar keine Entscheidung getroffen. Es sei ihrer Argumentation aber „vollumfänglich gefolgt“. Das sehe man daran, dass das Gericht sich für nicht zuständig erklärt, eben genau mit dem Hinweis darauf, dass die Kontrolle nicht der Gefahrenabwehr präventiv gedient habe, „sondern auf dem Gebiet der Strafverfolgung“.

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Das Verwaltungsgericht verwies Michalsens Klage im März dieses Jahres an das Amtsgericht. Michalsen zog seine Klage dort zurück: „Nach reiflicher Überlegung“, wie er mitteilte. „Zumal unseres Erachtens nach klargestellt wurde, dass ich mich keiner Ordnungswidrigkeit schuldig gemacht habe.“ Das eigentliche Verfahren über 108,50 Euro ruhte während der Verfahrensdauer am VG und ist mittlerweile verjährt, weshalb Michalsen das Bußgeld nicht zahlen muss. Ums Geld, sagt er, sei es ihm aber nie gegangen, sondern ums Recht.