Zwei Versionen eines Abends Ende März dieses Jahres in einer Not- beziehungsweise Anschlussunterkunft im westlichen Bodenseekreis hatte Amtsrichter Alexander von Kennel jetzt in Überlingen zu bewerten. Die Staatsanwaltschaft legte dem 31-jährigen Angeklagten zur Last, einem Bewohner mit einem ein Meter hohen Standventilator eine Platzwunde zugefügt und in einem spontan gefassten Entschluss dessen Handy an sich genommen zu haben. Entweder, um es zu behalten oder zu Geld zu machen.
Schon Konflikt Wochen zuvor
Der drogenabhängige Arbeitslose, für den die Verhandlung mit einer Verurteilung endete, und sein Verteidiger legten die Ereignisse jedoch anders dar. Der Angeklagte, der aktuell selbst in einer anderen Notunterkunft im Bodenseekreis lebt, erklärte: „Ich wollte eigentlich mein E-Bike holen.“ In der Zeit, in der er angeblich den Akku des Fahrrads aufladen musste, habe er den jungen Mann auf einen Vorfall drei Wochen zuvor angesprochen. Der 23-jährige, arbeitslose Mechaniker hatte die Polizei gerufen. „Er hat mich rauswerfen lassen. Ich dürfte dort nicht sein“, schilderte der Angeklagte und verstrickte sich in teils wirre Erzählungen zu dem Streit und der schweren Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl, wegen der sich nun zu verantworten hatte.
Sein Verteidiger ergriff das Wort und sprach über den Anfangsdisput. Der 23-Jährige habe Schulden in Höhe von 50 Euro bei seinem Mandanten gehabt. Der Geschädigte habe die Polizei gerufen, als der 31-Jährige nach dem Geld fragte. Vermutlich, um ihn loszuwerden. Das Zusammentreffen einige Zeit später erläuterte der Verteidiger so: Sein Mandant habe aus Ärger mit der Hand gegen den Standventilator geschlagen. Das Gerät sei dadurch umgefallen und kaputt gegangen. „Dann ist der Geschädigte auf ihn losgegangen. Zur Verteidigung hat er ein Skateboard hochgehalten.“
Sowohl der Angeklagte als auch der Verteidiger äußerten vor Gericht die Annahme, dass sich der 23-Jährige daran verletzt habe, und zeigten ein Skateboard vor, das sie in Tüten verpackt mitgebracht hatten. „Hier sind Blutantragungen drauf“, sagte der Verteidiger und ging davon aus, dass es sich, wenn man das Skateboard untersuchte, um das Blut des jungen Mannes handeln würde. Zum Verbleib des Mobiltelefons äußerte sich der Angeklagte abweisend.
„Dann ist der Geschädigte auf ihn losgegangen. Zur Verteidigung hat er ein Skateboard hochgehalten.“Verteidiger
Richter von Kennel ging allerdings nicht auf die Äußerungen ein. „Es war klar, dass so eine Einlassung kommt. Das muss ein guter Verteidiger machen“, erklärte er. Der Amtsrichter fragte den Angeklagten, weshalb er das so nicht bei der Polizei gesagt habe. Den Beamten hatte er laut Protokoll erklärt, gar nicht in dem Zimmer des Geschädigten gewesen zu sein. Ebenfalls der 23-Jährige verwickelte sich in seiner Zeugenaussage in Widersprüche zu seinen Äußerungen bei der Polizei. Hatte er geschlafen, als es zu dem Angriff gekommen war, oder nicht? War der Angeklagte unvermittelt auf ihn losgegangen, oder hatten sie vorher miteinander gesprochen? Hatte er wirklich ein Messer bei dem Angeklagten gesehen, oder es nur bei ihm vermutet? Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung mussten sich allmählich herantasten – auch aufgrund von Sprachbarrieren. Nur zögerlich gab der Bewohner zu, dass es um Drogenschulden gegangen war.
„Es war klar, dass so eine Einlassung kommt. Das muss ein guter Verteidiger machen.“Alexander von Kennel, Richter
Für Alexander von Kennel ergab sich aus den Zeugenaussagen von Geschädigtem, Nachbar und Polizist ein schlüssiges Bild der Ereignisse. Der Richter verurteilte den bereits vorbestraften 31-Jährigen zu neun Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung und ging damit um zwei Monate über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß hinaus. „Sieben Monate sind einfach zu wenig.“ Er habe einen verheerenden Lebenslauf, sagte von Kennel zu dem 31-Jährigen, der nach eigenen Angaben keine abgeschlossene Berufsausbildung hat und jeden Tag Betäubungsmittel konsumiert. „Sie haben bisher keinerlei Beratung, keine Hilfe, keine Therapie in Anspruch genommen.“ Von Kennel sah keine gute Zukunftsprognose voraus. Der 31-Jährige mache einfach weiter mit den Betäubungsmitteln. Rechtskräftig war das Urteil zu dem Zeitpunkt noch nicht.