Um kurz nach 8 Uhr hängen die Bärte. Lukas und Christof Keller stehen als Nikolaus und Knecht Ruprecht verkleidet im Familienwohnzimmer in Lippertsreute und sind startklar. Christof Keller hält seine Rute in der Hand, der Jutesack liegt über der Schulter. Der Tradition zufolge schleift er böse Kinder darin fort. Ob er das heute auch tun wird? „Hoffentlich nicht“, sagt er und lacht.

Bärte ersetzen den Mundschutz
Lukas Keller, der an diesem Morgen in die Rolle des Nikolauses geschlüpft ist, zupft sich den weißen Bart zurecht und albert: „Wir brauchen keinen Mundschutz. Die Bärte sind sicher gegen eine Ansteckung.“ Zum Abschied klopft sein Großonkel und langjähriger Nikolaus Hermann Keller ihm auf die Schulter. Nachdem dieser mehrere Jahrzehnte den Rauschebart trug, hat er die Tradition an die Neffen und Söhne weitergegeben. Lukas, Christof und Viktor Keller besuchen mittlerweile im zweiten Jahr die Kinder in Überlinger Grundschulen, Kindergärten und Haushalten.
Kinder drücken bei Nikolaus-Ankunft ihre Nasen an die Fenster
Beide sind froh, dass sie Familientradition trotz des Lockdowns fortführen können. „Wir haben weniger Anfragen in diesem Jahr“, gibt Christof Keller auf dem Weg zur Grundschule Lippertsreute zu, „auch der Umzug mit dem Wagen am Dorfplatz ist dieses Jahr leider nicht möglich.“ Ursprünglich hätten sie überlegt, Geschenke vor die Häuser zu legen, damit der Sicherheitsabstand auf diese Weise gewährleistet ist. „Aber die aktuelle Lösung ist besser, damit sind wir sehr zufrieden“, meint Christof Keller.
Das Nikolaus-Wochenende in Überlingen
Draußen vor der Grundschule Lippertsreute läutet Christof Keller alias Knecht Ruprecht die Klingel. Aufgeregte Kinder rennen an die Fenster, pressen ihre Nasen ans Glas und winken dem Mann mit dem weißen Bart zu. Wenige Minuten später haben sie ihre Schuhe und Jacken angezogen: Im Halbkreis und mit Sicherheitsabstand stehen sie auf dem Schulhof vor dem hohen Besuch.

Knecht Ruprecht hat „Rabauken“ immer im Blick und den Sack zur Hand
„Von drauss‘ vom Walde komm ich her“, spricht der Nikolaus die Verse von Theodor Storms Nikolaus-Gedicht. Mit tiefer Stimme nickt Knecht Ruprecht ihm immer wieder zu. Sein Gehilfe hat die Kinder im Blick und seinen Sack griffbereit. Von ihm macht er aber keinen Gebrauch. Die Schulkinder sind nämlich „artig, fleißig und hilfsbereit“, so der Nikolaus. „Und auch toll wie ihr die Hausaufgaben immer macht. Aber manchmal stört ihr auch den Unterricht und macht euren Lehrerinnen die Arbeit schwer.“ Ein paar „Rabauken“ müssen ehrfürchtig vor den Nikolaus treten. Doch bestraft werden sie nicht, sie erhalten Schokoladen-Nikoläuse zum Abschied.

„Der Nikolaus-Besuch ist eine liebgewonnene Tradition bei uns“, sagt Carmen Kindler, Schulleiterin der Lippertsreuter Grundschule und geschäftsführende Schulleiterin der Überlinger Schulen. „Die Kinder waren voller Vorfreude. Denn von Klasse eins bis vier ist der Nikolaus-Besuch immer ein absolutes Highlight.“
Enger Zeitplan für Nikolaus und Knecht Ruprecht
Die großen und freudigen Kinderaugen seien für sie die größte Freude am jährlichen Ritual, erklären Lukas und Christof Keller auf dem Weg zur nächsten Besuchsstation – dem Lippertsreuter Kindergarten. Ihnen geht es dabei aber nicht nur um eine „bloße Geschenke-Verteilerei“, wie sie es ausdrücken, sondern: „Es ist wichtig, dass den Kindern Vorbilder gezeigt werden und sie sich an Figuren wie dem Heiligen Nikolaus von Myra orientieren können.“ Daher erzählen sie bei jedem Besuch über die Taten des Heiligen.
Zur Ankunft am Kindergarten, klopft Knecht Ruprecht mit seiner Rute an die Fenster. Kinderstimmen erschallen: „Im Garten hinter dem Haus, dort ist der Nikolaus!“ Ein paar Minuten zu früh seien sie, sagt eine Mitarbeiterin der Kindergartens. Aber die ersten Kinder stürmen bereits aus dem Haus, spähen über den Zaun und heißen ihn mit Weihnachtsliedern willkommen.
„Der Nikolausbesuch ist eine wichtige Tradition bei uns im Jahresverlauf“, sagt die Leiterin des Kindergartens Barbara Marquardt. „Die Kinder freuen sich schon Wochen vorher immer riesig auf dieses Ereignis. Es war klar, dass es auch in diesem Jahr stattfinden muss. Das Wetter hat heute auch gut mitgespielt.“

Auch hier tragen die Kinder dem Nikolaus Gedichte vor und erhalten am Ende Geschenke. Aber dann muss er bereits weiter: sein Zeitplan ist an diesem Tag eng getaktet. Die Kinder im Montessori-Kindergarten in Überlingen erwarten ihn bereits. Auch Hausbesuche stehen am Samstag und Sonntag noch an. Erst am Montag und können er und Knecht Ruprecht die Beine hochlegen. Dann werden sie sich wieder auf freudige Besuche im kommenden Jahr freuen – möglicherweise nicht mehr unter Corona-Bedingungen.