Es war eine friedliche Friedensdemo, die am Samstagnachmittag von der Wiestorhalle durch die Altstadt zum Landungsplatz zog. Organisatorin Ruth Meishammer gab den laut Polizeischätzung rund 600 Teilnehmern – 300 waren angemeldet – noch ein paar Regeln mit auf den Weg. Etwa „kein Alkohol“ oder „Hunde brauchen Leine und Maulkorb – also nur die Hunde“. Gelächter. Meishammer war während der Corona-Pandemie als Organisatorin von Demonstrationen gegen eine Imfpflicht in Erscheinung getreten.

Auch die Polizei schien während des Protestzugs gelöst. Andreas Rieß vom Überlinger Polizeirevier besprach Route und Straßenabsperrung, lehnte eine gewünschte Gedenkminute unterwegs ab, erlaubte einen Fotostopp unterm Franziskanertor und begrüßte hier und dort Teilnehmer. Denn viele von ihnen sind sozusagen Stammgäste, man kennt sich von zahlreichen Corona-Demos.
Und so zog der Tross durch die Altstadt Richtung Landungsplatz. Vereinzelt schallten Parolen durch ein Megafon, hier und dort ein Querdenken-Sticker. Doch insgesamt dominierten Friedensplakate à la „Waffen schaffen keinen Frieden“, die an die Friedensdemos der 1980er-Jahre erinnerten.
Friedensdemo wie in den 1980ern, aber ohne Grüne
Wobei sich eines verändert hat: Die Grünen sind nicht mehr Teil der Bewegung, sondern eher ihr Feindbild. „Ich habe mein Leben lang grün gewählt“, sagt ein alter Mann, „aber jetzt kann ich das nicht mehr.“ Die Panzerlieferungen hätten den Ausschlag gegeben, jetzt wieder auf die Straße zu gehen, sagt Veranstalterin Meishammer.
Irgendjemand hat ein altes Grünen-Wahlplakat aufgetrieben. „Keine Waffen in Kriegsgebiete“ steht dort. Aber was sind die Alternativen? „Die Welt ist leider nicht so einfach, wie man sie sich wünscht“, sagt dazu ein Teilnehmer.
Schuld wird vor allem bei den USA gesucht
Was in Gesprächen ebenfalls deutlich wird: Die Schuld für die ganze Tragödie wird vor allem bei den USA gesucht. Der Einmarsch in den Irak, an dem sich „Deutschland Gottseidank nicht beteiligt hat“, wie eine Teilnehmerin anmerkt, bleibt in Erinnerung. Und das Misstrauen – in die Politik, die Medien und überhaupt – ist fast physisch greifbar. Ein Schild mit der Aufschrift „Wir alle werden belogen“ scheint synonym dafür zu stehen.
Auf diese Gefühlslage konnte der eingeladene Gastredner Florian Pfaff, ehemaliger Bundeswehrmajor, perfekt aufbauen. Er sagte Dinge wie „wir haben eine Scheindemokratie“, das Massaker von Butscha hätten nicht die Russen, sondern die Ukrainer zu verantworten, die Amerikaner strebten nach der Weltherrschaft, ihr „Endziel“ sei es, „die Chinesen anzugreifen“, schon Angela Merkel habe beim Minsk-Abkommen Krieg und nicht Frieden gewollt.

Putin und Selenskyj hätten schon im April 2022 Frieden schließen wollen, glaubt Pfaff, doch der eigens nach Kiew angereiste Boris Johnson hätte es ihnen „verboten“, Putin wolle Frieden, „da bin ich mir sicher“ – und einiges mehr. Oder er führte aus, dass „die Russen ja auch Menschen“ seien – den Zuhörern damit suggerierend, dass andere das Gegenteil behaupten würden.
Zuhörer glauben den Theorien des Ex-Majors
In der anschließenden Fragerunde befeuerte Pfaff die Ängste nochmals. Auf die Frage einer Teilnehmerin nach der Sicherheit in Deutschland malte er Szenarien von Bomben und Stromausfällen „wie in der Ukraine“ an die Wand – „und niemand dürfte uns helfen“. Und was sagen die Zuhörer dazu? „Ich bin nicht so tief im Thema“, sagt einer, „aber er ist für mich glaubwürdig.“
Pfaff verweist auf Star der Verschwörungsszene
Zur Überprüfung seiner Aussagen verweist Pfaff immer wieder auf „das Internet“ – um am Ende dann doch konkret zu werden: namentlich die Website von Daniele Ganser, dem „Star der verschwörungstheoretisch-populistischen Gegenöffentlichkeit“, wie der Tübinger Professor Michael Butter ihn nennt. Oder „Kla TV“, die Online-Videoplattform des Schweizers Ivo Sasek, Gründer der Sekte „Organische Christus-Generation“ (OCG).
Manch ein Teilnehmer mag mit einem flauen Gefühl nach Hause gegangen sein – und einer Wahlempfehlung. Denn Pfaff ist Mitglied der Partei Die Basis, mit deren Logo er auftritt. Manche wählten die AfD, so der Ex-Militär, andere Die Linken. Die Basis dagegen stehe für „die Mitte“. Von den etablierten Parteien, die Tag für Tag um Deutschlands Energiesicherheit oder die richtige Reaktion auf Russlands Aggression ringen, kein Wort.
Florian Pfaff und Kla TV
Doch was hat die AfD mit der Friedensbewegung zu tun? „Warum werden wir immer wieder damit in Verbindung gebracht“, wird ein Mitorganisator sichtlich emotional. Ruth Meishammer, die nach eigenem Bekunden bereits in den 1980er-Jahren gegen Pershing II und nukleare Aufrüstung demonstriert hat, versucht eine Erklärung. Es gebe einen entscheidenden Unterschied zu damals. „Es fehlt heute eine echte Opposition.“ Und in diese Lücke sei nun die AfD gesprungen. Das lasse sie nicht ohne Sorge.
Ruth Meishammer: Friedensinitiativen rücken näher zusammen
Auf regionaler Ebene indes freut sich die Veranstalterin, dass mit der Überlinger Demo die unterschiedlichen Friedensinitiativen am Bodensee wieder näher zusammengerückt seien. Denn die waren sich in den vergangenen drei Jahren über die Corona-Maßnahmen alles andere als einig.