Den Führerschein muss man sich verdienen. Das gilt sowohl in kognitiver Hinsicht als auch finanziell. Der „Lappen“, der inzwischen eine Karte ist, erfordert Zeit und Geld. Die Durchfallquote der Theorieprüfung liegt deutschlandweit allerdings bei fast 50 Prozent. In Baden-Württemberg liegt der Anteil der Erstbewerber, die die Prüfung nicht bestehen, bei 47 Prozent, also kaum darunter. Aber woran liegt das?

Theorie nähert sich immer mehr der Praxis

Etwa 1200 Fragen müssen Fahrschüler derzeit lernen. Immer wieder kommen neue hinzu, doch die Lernmenge sei nur marginal größer geworden. Was sich seit den Papierbögen jedoch geändert hat, sind Videofragen und Variationsfragen. „Diese Fragen sind nicht anhand des Bildes mit der immer gleichen Antwort identifizierbar“, erläutert Joel Matutis, der eine Fahrschule in Überlingen hat. Das Bild verändere sich, auch die negativen Antwortmöglichkeiten. „Die Theorie kommt der Praxis immer näher“, fasst er zusammen.

In diesem Sinne sei die Theorie auch schwieriger geworden, weil den Schülern zumindest teilweise die Möglichkeit genommen wurde, Antworten auswendig zu lernen und stattdessen das Verkehrsverständnis gefordert wird. Laut Jochen Klima, dem Vorsitzenden des Fahrlehrerverbands, ist das einer der größten Einflussfaktoren für steigende Durchfallquote in der Theorieprüfung. Auch verlange die Prüfung inzwischen längere Konzentration, da die Dauer von 45 auf 55 Minuten erhöht wurde.

Teils lange Lernzeiten

Joel Matutis verpflichtet seine Schüler, zum Lernen der Theorie eine bestimmte App zu nutzen. Darüber plane er auch Termine und Fahrstunden. Nach 11 Stunden in der Lern-App seien die Schnellsten bei ihm durch. Dabei spiele immer häufiger die Sprachbarriere eine Rolle: Ein Schüler verbrachte bereits 14 Tage mit den Fragebögen, 336 Stunden. Die Lernfortschritte seiner Schützlinge kann Joel Matutis jederzeit einsehen. Erst wenn die Ampel grün ist, lässt er sie zur Prüfung zu. Grün wird sie bei einem Lernfortschritt von 97 Prozent, ergänzt er.

Die Prozentzahl im gelben Kreis zeigt den Lernfortschritt an. Erst bei 97 Prozent zeigt sie grün. Für Fahrlehrer Joel Matutis ist dann ...
Die Prozentzahl im gelben Kreis zeigt den Lernfortschritt an. Erst bei 97 Prozent zeigt sie grün. Für Fahrlehrer Joel Matutis ist dann erst der Zeitpunkt, jemanden für eine theoretische Prüfung anzumelden. | Bild: Rasmus Peters

Feinmotorik schwindet

Dass die Quote allgemein sinke, liegt an Grundsätzlichem: Es werde zu wenig Fußball gespielt und Rad gefahren, meint Matutis. All das fördere die Feinmotorik und das räumliche Vorstellungsvermögen. „Viele gucken bei den Eltern nicht mehr aus dem Autofenster, sondern aufs Handy.“ Durch die Zweidimensionalität der Bildschirminhalte verringert sich nach Einschätzung des Fahrlehrers das räumliche Vorstellungsvermögen, und es fehlen Verkehrserfahrungen durch das bloße Zuschauen.

Fahrlehrer-Verbandsvorsitzender Jochen Klima stellt fest: „Der Führerschein wurde durch Kommunikation mit dem Handy ersetzt.“ Die Menschen müssten sich nicht mehr sehen, um miteinander zu sprechen. Zudem würden Kinder von klein auf darauf geprägt, „überallhin kutschiert zu werden“, wie es Klima formuliert. Da sie dabei selten beobachten, wie ihre Eltern das Auto steuern und gleichzeitig weniger Fahrrad fahren, sinke das Verständnis für Verkehr, meint Klima.

Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbands Baden-Württemberg
Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbands Baden-Württemberg | Bild: Fahrschullehrerverband Baden-Württemberg

Schüler haben auch anderes im Kopf

Joel Matutis schätzt, etwa 90 Prozent seiner Schützlinge können Kupplung, Bremse und Gas nicht korrekt benennen. Überhaupt fehlten oft Motivation und Vorbereitung. „Teilweise muss ich mit Schülern diskutieren, dass ihre Freunde bei einer anderen Fahrschule nicht so viel lernen müssen“, sagt Matutis. Er hat aber auch Verständnis: „Vor allem in der Abi-Phase haben viele anderes im Kopf.“

Viele wollten den Führerschein nebenher machen und seien aufgrund der Prioritäten nicht so effektiv, wie sie sein könnten. Nicht zuletzt sei es auch eine soziale Frage: Wer für seinen Führerschein selbst aufkommt, ist vermutlich motivierter, als wenn ihn die Eltern bezahlen. Hier sieht Fahrschullehrerverbandsvorsitzender Jochen Klima auch ein starkes Gefälle zwischen Stadt und Land: „Im ländlichen Raum ist die Führerschein-Nachfrage deutlich höher als in städtischen Gebieten.“

Fahren ja, aber nur mit Automatik

Neben der eingeschränkten Motorik kommt mit der Technisierung der Fahrzeuge noch ein weiteres Phänomen hinzu: „Ich bekomme eigentlich keine Anmeldungen mehr für die Klasse B, bei denen Fahrschüler die gesamte Ausbildung und Prüfung ausschließlich auf einem Schaltfahrzeug absolvieren“, sagt Joel Matutis. 2021 wurde die Klasse B 197 eingeführt. Die ermöglicht, nach zehn Fahrten mit Schaltwagen auf Automatik zu wechseln und hinterher für beides berechtigt zu sein, erklärt der Fahrlehrer. Diese Klasse macht bei ihm einen Großteil der Anmeldungen aus.

In Zukunft könnte die Schaltausbildung ausschließlich an Simulatoren wie diesem stattfinden. Für Fahrschulen ein Kosten-Faktor, da die ...
In Zukunft könnte die Schaltausbildung ausschließlich an Simulatoren wie diesem stattfinden. Für Fahrschulen ein Kosten-Faktor, da die Geräte ähnlich viel kosten wie ein Kleinwagen. | Bild: Rasmus Peters

Zukünftig könnte laut Fachkreisen die Schaltausbildung samt Überprüfung der Schaltkompetenz sogar vollständig auf Fahrsimulatoren stattfinden, erwähnt Matutis. Das sei zwar gut, um den Fahrschülern die erste Angst zu nehmen, allerdings: „Egal, was Sie tun – Sie können sich sicher sein, dass keiner von hinten hupt, sodass sie ganz ohne Druck anfahren und schalten können – anders als in der Realität“, sagt der 37-Jährige.

Kosten im Verhältnis ähnlich

Bei Matutis pendelt sich der Durchschnittspreis für einen Auto-Führerschein zwischen 3000 und 4200 Euro ein. Lohnkosten, Nebenkosten, Miete, Kraftstoff, Versicherungen, Reparaturen, alles sei teurer. „Früher waren die Fahrzeugkosten am höchsten, heute sind es die Personalkosten.“ Die laufenden Kosten seien über die vergangenen Jahre um 40 Prozent gestiegen, sagt Matutis. „Diese Kosten müssen wir umlegen.“ Im Verhältnis sei der Führerschein immer noch gleich teuer wie früher, meint Matutis. „Die Führerscheinkosten für die Klasse B entsprechen im Durchschnitt seit Langem etwa einem Brutto-Monatslohn und liegen heute etwas darunter“, sagt der Fahrlehrer in Anbetracht eines Bundesdurchschnittsgehaltes von rund 4600 Euro.

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Unterm Strich errechnet sich der immer höher werdende Preis für den Führerschein also aus höheren Unterhaltskosten der Fahrschule und der Lebenssituation der Fahrschüler.